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Mit sinkenden Corona-Infektionszahlen im Frühjahr 2021 stieg die Hoffnung auf eine schnelle wirtschaftliche Erholung. Sie wurde gedämpft von Lieferkettenproblemen, Inflation, einer Delta- und einer Omikron-Welle. Und nun? Immerhin für die zweite Jahreshälfte 2022 gibt es optimistische Szenarien.
Ein wirtschaftlich schwieriger Winter, Erholung ab dem Frühjahr, Aufschwung in den Sommermonaten, stets abhängig von der Entwicklung der Corona-Pandemie.
So weit die Prognose der Volkswirtinnen und Volkswirte deutscher Banken und Bankenverbände für das Jahr 2022 in Kürze. Dabei fällt auf: Sie ähnelt erschreckend der Vorhersage, die sie bereits für 2021 gemacht hatten.
Ergänzt um Einschätzungen zu aktuellen Herausforderungen, die zeitweise als Folgeerscheinung der weltweiten Pandemie auftreten, ergibt sich ein differenzierteres Bild.
So gehen nahezu alle Institute und Verbände davon aus, dass der extrem starke Anstieg der Inflation „vorübergehend“ sei, dass die „Materialengpässe abflauen“ und dass sich die Wirtschaft nach der Corona-Welle im Winter „auf einen Aufschwung freuen kann“.
Nachfrage und Auftragsbestand sind hoch
Die Wachstumsprognose schwankt zwischen einem BIP-Anstieg von 3,5 bis fünf Prozent. „Die deutsche Wirtschaft steht aufgrund der Klimawende und Digitalisierung unter großem Innovationsdruck, ihre Produkte sind aber auch während der Pandemie weiterhin auf der ganzen Welt gefragt“, sagt Michael Holstein, Chefvolkswirt der DZ Bank.
Dafür spricht, dass der Auftragsbestand der Industrie ebenso hoch ist wie die Nachfrage nach industriellen Produkten aus Deutschland. „Die hohen Energiepreise, Lieferengpässe und die Corona-Pandemie belasten Privatkonsum und Industrie. Spätestens mit dem Frühjahr wird sich die Lage aber ändern und Deutschland kehrt zurück als europäischer Wachstumsmeister“, sagt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING für Deutschland und Österreich.
Eine Garantie dafür, dass es so kommt, gibt es aber nicht. Das gilt für den Verlauf der Pandemie, wie die inzwischen dominierende Virusvariante Omikron zeigt. „Störungen in den globalen Lieferketten werden wieder wahrscheinlicher, wenn es wegen Omikron zu Schließungen von Produktionsanlagen oder Logistikdrehkreuzen kommt“, erwartet KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib.
Inflation mittelfristig um zwei Prozent
Es gilt aber auch für die Inflation. Im November berechnete das Statistische Bundesamt eine Teuerungsrate von 5,2 Prozent. So stark hatten die Preise nur nach der Wiedervereinigung im Jahr 1992 angezogen.
Mittelfristig hofft die Europäische Zentralbank jedoch, dass sie im Jahresverlauf ihr Inflationsziel von zwei Prozent erreicht. „Mit dem Ende der pandemiebedingten Basis- und Sondereffekte auf die Inflationsrate sowie einer voraussichtlichen Überwindung der Lieferengpässe dürfte die Inflation im Jahr 2022 wieder deutlich zurückgehen“, sagt Köhler-Geib.
Pia Jankowski erklärt die zuletzt hohe Inflation unter anderem mit einem rechnerischen Effekt durch die vorübergehende Absenkung und Wiederanhebung der Mehrwertsteuer.
„Diese Sonderentwicklungen dürften sich 2022 zurückbilden“, sagt die Direktorin und Abteilungsleiterin Volkswirtschaft, Finanzmärkte und Wirtschaftspolitik beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV). Sie warnt zugleich vor bleibenden strukturellen Entwicklungen: „Es besteht die Gefahr, dass die Inflationsdynamik mittelfristig stark bleibt, wenn die aktuellen Steigerungsraten Zweitrundeneffekte bei Löhnen und Folgepreisen entfalten und die EZB darauf nicht zeitig genug mit einer geldpolitischen Kehrtwende reagiert.“
Ähnlich argumentiert Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Er geht davon aus, dass der Inflationsdruck zwar nachlasse, die Teuerung aber grundsätzlich anziehe. „Dafür spricht die zu hohe Liquidität durch die EZB, der sinkende Anteil der Arbeitsbevölkerung in vielen Weltregionen, der Klimawandel sowie die Deglobalisierung.“
Sorte vor der Lohn-Preis-Spirale
Unternehmen beobachten die Inflationsentwicklungen auf jeden Fall mit Sorge. Bei einer Umfrage unter mehr als 800 Mitgliedern der Verbände Die Familienunternehmer und Die Jungen Unternehmer antworteten 86 Prozent, dass sie eine längerfristige Inflationsrate über der Zwei-Prozent-Marke fürchten.
84 Prozent schätzen die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale als groß oder sehr groß ein. Sie entsteht, wenn Arbeitnehmer oder Gewerkschaften zum Ausgleich der Inflation höhere Löhne verhandeln. Diese Lohnkosten wiederum verteuern die Produktion der Unternehmen, die ihrerseits mit Preissteigerungen reagieren.
Ökonomen sprechen im Zusammenhang mit der Inflation gerne vom Ketchup-Effekt. Lange Zeit – so wie in den vergangenen Jahren – klopfen die Akteure auf den Boden der Flasche, ohne dass etwas passiert. Bis mit einem Mal viel zu viel Ketchup herausläuft.
Erste Anzeichen dafür gibt es bereits. Das ifo Institut fragt Unternehmen monatlich nach ihren Plänen für Preiserhöhungen. Im Oktober 2021 lag der Wert des Index der ifo-Preiserwartungen bei 41, im November bei 45 – und im Dezember bei XX Punkten. Wer macht den Deckel wieder drauf?
Noch mehr Einschätzungen aus der Finanzbranche:
Teil II: Wie die Banken die Kreditversorgung im Mittelstand sehen
Lange Zeit hat die EZB eine Geldpolitik betrieben, um die Inflationsrate auf das angestrebte Niveau von etwa zwei Prozent zu heben. Trotz der massiven Maßnahmen1 mit Dauerniedrigzinsen, ausgedehnten Wertpapierkäufen, gesenkten Anforderungen an Sicherheiten… ist dies bis Mitte 2021 nur ansatzweise gelungen.
Seit Juli des letzten Jahres steigt die Inflationsrate stetig auf aktuell fünf Prozent und erreicht damit den höchsten Stand seit fast drei Jahrzehnten. Ausgelöst nicht etwa durch eine gesteuerte sinnvolle Geldpolitik, sondern in erster Linie durch die Energiepreise. Heizöl ist innerhalb Jahresfrist um satte 61 Prozent gestiegen. Weitere Energieträger, Nahrungsmittel und des Deutschen liebstes Kind tun ihr Übriges dazu. Gegenmaßnahmen der EZB durch bspw. Erhöhung des Leitzinses? Fehlanzeige! Sparer verlieren massiv ihre Guthaben – bis September 2021 deutschlandweit rund 47 Milliarden. Verbraucher müssen darum bangen, Heizöl und Gas nicht bezahlen zu können. Unternehmen müssen in der bereits sehr schwierigen pandemischen Lage die steigenden Kosten für Energie und weitere Kostenträger stemmen. Ökonomen sprechen zwar nur von einem vorübergehenden Phänomen – belegen können Sie diese Aussage freilich nicht. Der Hinweis des Chefs des DIW auf die erfolgreichen Wirtschaftsjahre2 1957 bis 1998 hinkt gewaltig – immerhin wurden in dieser Zeit für die Guthaben Zinsen vergütet, die die Inflationsrate mehr als ausgeglichen haben. In den Jahren 2021 und 2022 bestehen andere Verhältnisse.
Sofern sich die EZB weiterhin defensiv verhält und keine Gegensteuerungsmaßnahmen ergreift, drohen Sparern massive Geldvermögensverluste und den Verbrauchern sowie den Unternehmen zu hohe Preise. Insbesondere bei den Energiekosten. Die Folgen hieraus sind aktuell nur zur erahnen – zudem sind die Auswirkungen der Pandemie noch nicht abschließend absehbar. Einer deutlichen Inflation von aktuell fünf Prozent, die seit Monaten kontinuierlich steigt, muss durch die EZB dringend entgegengewirkt werden. Ansonsten droht ein nicht absehbarer Schaden für die gesamte Volkswirtschaft Deutschlands. Ein vorübergehendes Phänomen ist diese Entwicklung jedenfalls nicht.
Herzlich, Ihr Holger Feick
Geschäftsführer HF Finanzconsulting GmbH
http://www.hf-finanzconsulting.de
1 https://www.handelsblatt.com/finanzen/geldpolitik/geldpolitik-sechs-dinge-mit-denen-die- ezb-die-finanzmaerkte-beruhigen-will/25661594.html
2 https://www.zeit.de/news/2021-10/13/droht-eine-dauerhaft-hoehere-inflation?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F