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Angst, Unsicherheit, Euphorie, Übermut: Gefühle können an der Börse zur Falle werden. Die wissenschaftliche Disziplin Behavioral Finance deckt sie auf – und zeigt Auswege.
Auch wenn sie selbst vom Gegenteil überzeugt sind: Anleger handeln weniger rational, als sie glauben. Ein beliebtes Experiment aus der Verhaltensökonomie macht das deutlich. Dabei sollen Probanden eine Münze werfen.
Bei Kopf gehen sie leer aus, bei Zahl gewinnen sie 200 Euro. Verzichten sie auf den Münzwurf, bekommen sie 100 Euro. In dieser Konstellation gehen die meisten kein Risiko ein und nehmen die sicheren 100 Euro, anstatt die Münze zu werfen.
Es folgt die zweite Versuchskonstellation: Bei Zahl verlieren die Probanden 200 Euro, bei Kopf haben sie keinen Verlust. Wer auf den Münzwurf verzichtet, verliert 100 Euro. Und siehe da: Auf einmal entscheiden sich die meisten für den riskanten Münzwurf. „Wir nennen das den Dispositionseffekt“, erklärt Martin Weber.
„Wenn Gewinne in Gefahr geraten, spielen die Menschen auf Sicherheit. Wenn Verluste drohen, steigt die Risikobereitschaft.“ Der Seniorprofessor an der Fakultät für Betriebswirtschaftslehre der Universität Mannheim erforscht seit vielen Jahren, welche Rolle die menschliche Psyche bei finanziellen Entscheidungen spielt – und warum sich Anleger oft widersprüchlich zu Modellannahmen verhalten.
An der Börse führt der Dispositionseffekt dazu, dass Anleger geneigt sind, Kursgewinne früh mitzunehmen, damit sie nicht wieder kleiner werden. „Sie handeln also eigentlich risikoavers“, sagt Weber. Bei Verlusten hingegen warten sie ab und hoffen, dass sie sich wieder verringern. Auch wenn sie, objektiv betrachtet, noch größer werden könnten.
Gewinn macht Anleger übermütig
Ein weiterer Streich, den das Bauchgefühl Anlegern spielt: Gewinne und Erfolge machen mutiger. Eine mögliche Erklärung dafür sehen Verhaltensökonomen in einem Phänomen, dass sie „Gambling with the House-Money“ nennen.
„Jemand, der mit 50 Euro ins Casino geht und dort 50 Euro gewinnt, neigt dazu, mit dem Gewinn risikofreudiger umzugehen als mit dem ursprünglichen Einsatz“, erklärt Weber.
Dabei verbuchen die Spieler das gewonnene Geld mental nicht als ihr eigenes, sondern verhalten sich so, als würden sie mit dem Geld des Kasinos, eben des Hauses, spielen.
Was aber tun, um nicht in die genannten Fallen zu tappen? Der sicherste Weg ist laut Martin Weber: „Kaufen und halten“, wenngleich dieser in den aktuellen Börsenzeiten nicht einfach auszuhalten ist. Wer häufiger handelt, dem empfiehlt der Experte eine andere Methode: ein Börsentagebuch.
Darin sollten Anleger regelmäßig Kauf- und Verkaufsargumente notieren – und erst recht, wenn sie nichts unternehmen. „Diese Methode schützt vor dem sogenannten Hindsight Bias“, erklärt Weber. Zu Deutsch: Rückschaufehler.
Das Gehirn nimmt bevorzugt solche Informationen auf, die die eigene Meinung stützen, während andere, möglicherweise ebenso wichtige Details ausgeblendet werden. „Wir erinnern uns falsch an unsere Vorhersagen, sobald wir das tatsächliche Ergebnis kennen“, sagt Weber.
Der Blick ins Tagebuch helfe dabei, „sich selbst und seine Entscheidungen rückblickend zu relativieren“.