In amerikanischer Umgangssprache steht der Begriff „Dog“ schnell für ein hässliches Mädchen oder für eine minderwertige Sache. An der Börse wird er daher für Aktien mit einer schlechten Kursentwicklung in der Vergangenheit verwendet. Schließlich fallen auch Papiere mit einer schlechten – gleichsam hundsmiserablen -Kursentwicklung unter diesen Begriff.
Doch das ist irreführend: Bei der Anlagestrategie „Dogs of the Dow“ nämlich werden nicht zwingend Aktien mit schlechter Kursentwicklung gekauft, sondern jene mit einer hohen Dividendenrendite. Damit ist dieser Begriff zugleich also doch passend: Die Dow-Hunde kommen nämlich oft deshalb auf eine hohe Dividendenrendite, weil deren Kurse im Vorjahr stark gefallen sind.
Zur Erinnerung: Unter der Dividendenrendite verstehen wir die Dividende, ausgedrückt als Anteil am Aktienkurs. Kostet eine Aktie also 43 Dollar und beträgt die Dividende 2 Dollar, so rechnet man 2 Dollar durch 43 Dollar – multipliziert mit 100 Prozent, was eine Dividendenrendite von 4,7 Prozent ergibt. Fällt der Kurs und behält das ausschüttende Unternehmen dennoch seine attraktive Dividende bei, erhöht sich die Dividendenrendite entsprechend weiter. Die theoretischen Grundlagen für diesen Investmentstil schuf Benjamin Graham, der auch die Ermittlung von Kurskennzahlen vorantrieb und so in den 1930er-Jahren etwa das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) ableitete. Der legendäre Value-Investor und Professor an der Columbia University gilt übrigens als geistiger Vater von Warren Buffett. Nach ARD-Informationen war der heutige Star-Investor nämlich der einzige Student, der jemals eine „Eins mit Sternchen“ von Graham bekommen haben soll. Auch heute noch ist Grahams erstmals 1934 veröffentlichtes Buch „Security Analysis“ (Wertpapieranalyse) für viele Anleger eine Bibel.
Als „Erfinder“ der „Dogs of the Dow“-Strategie wird dennoch häufig Michael O’Higgins genannt. Der amerikanische Anlageprofi hat das Konzept in seinem Buch „Beating the Dow“ 1991 beschrieben. Das Prinzip beider Vordenker jedoch ist dasselbe: Die Verlierer eines Jahres könnten die Gewinner des nächsten sein – und unterbewertete Titel mit hoher Dividendenrendite gelten häufig als attraktive Kaufgelegenheiten.
Mehrwert? Nicht immer!
Und in der Tat: Historisch betrachtet habe man mit der „Dogs of the Dow“-Strategie jährlich etwa fünf Prozent mehr Performance erzielt als mit dem Dow-Jones-Index selbst, stellte etwa Zertifikate-Experte Peter Bösenberg von der Société Générale vor rund einem Jahr im ARD-Gespräch fest. O’Higgins selbst rechnete in „Beating the Dow“ für die Jahre 1973 bis 1989 übrigens vor, die Dogs-Strategie habe mit 17,9 Prozent rentiert – verglichen mit 11,1 Prozent für den Dow. Zwischen 1957 und 2003 schafften die Hunde eine durchschnittliche jährliche Performance von 14,3 Prozent – drei Prozentpunkte mehr als der Dow-Jones-Index.
Doch es gibt durchaus auch andere Jahres-Endergebnisse: In Hausse-Jahren wie den späten 1990ern schien die Dog-Strategie zu versagen, und auch bei Ausbruch der Finanzkrise 2008 brachten die per Ende 2007 ausgewählten Dogs dem Anleger einen Verlust von 41,6 Prozent. Der Dow Jones fiel hingegen leicht weniger, um 36,9 Prozent. Schuld an der Underperformance der gekauften „Dogs“ waren die 2007 noch dividendenstarken Banken-Titel, die nach Ausbruch der Finanzkrise besonders panisch verkauft wurden.
Als mögliches Problem der Strategie zeigt sich somit klar, dass sie nur auf die zuletzt bezahlten Dividenden abstellt – während der Aktienkurs bereits in Vorwegnahme eines schlechteren Wirtschaftsumfelds gesunken sein könnte. Daraus resultieren schnell vermeintlich attraktive Dividendenrenditen, die den Anleger in die Irre führen.
Verfeinerte Strategieansätze setzen daher nicht auf die zuletzt ausgeschüttete, sondern auf die künftige Dividende. Und Experten zufolge lohnt es sich, an Dividendenstrategien festzuhalten und deren Schwächen zu modifizieren – gerade im aktuellen Tiefzinsumfeld, das hohe Ausschüttungen besonders attraktiv macht. Zudem deuten Analysen darauf hin, dass Aktien mit konstant hoher Dividendenrendite längerfristig besser abschneiden als Titel mit niedrigerer Ausschüttung. Das liest sich einleuchtend, schließlich haben dividendenstarke Unternehmen häufig solide Bilanzen und Geschäftsmodelle und entsprechend stabile Cashflows.
Zusammenfassend scheint die „Dogs of the Dow“-Strategie vornehmlich eine Anlagestrategie für schlechte bis leicht gute Börsenjahre zu sein. Ihre Überlegenheit stellte sie nach ARD-Berechnungen überdies vor allem bei langen Anlagehorizonten von 15 Jahren und mehr unter Beweis.
Unter dieser Prämisse konnte für fast alle Zeiträume eine Outperformance der Strategie im Vergleich zum Index nachgewiesen werden. Immerhin investieren Privatanleger nach dieser Methode stets in Blue Chips, also hochliquide Aktien großer Unternehmen. Sie streuen zudem ihr Risiko, da die „Dogs“ in aller Regel aus allen möglichen Branchen vom Pharma- über den Finanz- bis hin zum Automobilsektor stammen. Und: Es handelt sich um eine relativ beschauliche Anlagestrategie, da man sich nur einmal im Jahr um sein Depot kümmern muss. Der Zeitaufwand ist gering, die Transaktionskosten halten sich in Grenzen.
Disziplin und Ausdauer nötig
Anleger aus dem Nicht-Dollar-Raum sollten zwar unbedingt das Währungsrisiko beachten, wenn sie US-Aktien kaufen – doch gibt es diese Strategie längst auch bei uns: In Anlehnung an den amerikanischen Ausdruck werden die dividendenstärksten Aktien in Frankfurt zum Teil als „Dogs of the DAX“ und die dividendenstärksten Aktien innerhalb des EuroStoxx 50 als „Dogs of the Eurostoxx 50“ bezeichnet. Abgeleitet von der dargestellten Grundidee gibt es zudem mittlerweile mehrere Varianten. So sieht etwa die Variante „Low Five“ vor, aus den zehn dividendenstärksten Aktien nur die jeweils fünf billigsten zu kaufen. Eine andere Abwandlung besteht in der Einschränkung, dass von den zehn Dividendenstars nur jene gekauft werden sollen, die im abgelaufenen Geschäftsjahr Gewinne gemacht haben – da eine Dividendenzahlung bei Verlust die Substanz des Unternehmens schmälert. Generell warnen Kritiker dieser Anlagestrategie, dass durch hohe Dividendenzahlungen die Eigenkapitalbasis der Gesellschaft geschwächt werde, was dann in der Folge sowohl Auswirkungen auf die Kursentwicklung wie auch die zukünftige Dividendenrendite haben dürfte, falls die Aktiendividende im Folgenden doch reduziert werden muss.
Optimisten halten dagegen, dass Manager von Aktiengesellschaften, die regelmäßig eine hohe Dividende ausschütten, durch die Dividendenzahlung diszipliniert würden. Da der Gewinn vergangener Jahre durch die Dividendenzahlung aus dem Unternehmen abfließe, könne sich das Management nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen – sondern sorge stets für neue Gewinne. Dies führe zu einem kontinuierlichen Unternehmenserfolg und damit auch zu steigenden Aktienkursen.
Welches Argument auch gilt: Längst hat die Finanzbranche die Dogs-Idee aufgegriffen und mehrere Aktien- und Indexfonds (ETF) aufgelegt, die nach dieser Strategie oder einer Abwandlung davon Aktien auswählen (siehe Tabelle). Die Deutsche Börse hat 2005 einen eigenen Indexgeschaffen, den DivDAX, der nur die 15 dividendenstärksten DAX-Werte enthält. Darüber hinaus existieren auch Anlagezertifikate, die auf der Aktienauswahl nach der Höhe der Dividendenrendite beruhen.
Wer sich die Hunde selbst ins Depot legen möchte, sollte jedoch Disziplin mitbringen und über einen langen Atem verfügen: Das tägliche Börsengeschehen und die Aufs und Abs dürfen „Dogs of the Dow“-Anleger nicht beeindrucken. Eine solche Strategie will durchgezogen werden, der Privatanleger darf sich nicht zu zwischenzeitlichen Käufen oder Verkäufen verführen lassen – egal, was kommt. Die „Dogs of the Dow“-Strategie dürfte damit auch nichts für Privatanleger sein, die auf schnelle Gewinne aus sind. Wer ohnehin nur einen Anlagehorizont von ein paar Jahren hat, sollte besser auf andere Anlagestrategien ausweichen. Denn nur in der langen Frist können „echte Hundejahre“ an der Börse, die es auch mit dieser Strategie gibt, ausgeglichen werden.
Eike Schulze/Ingo Schenk