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Creditreform

Die Ideen der EU für eine Sanierung außerhalb der Insolvenz eröffnen kriselnden Unternehmen Perspektiven – lösen aber nicht alle Probleme. Eine Bestandsaufnahme. Text: Stefan Weber

Karl-Heinz Thiele hat sich etwas getraut. Als die familieneigene Eisengießerei im westfälischen Bünde vor ein paar Jahren in Zahlungsnöte geriet, beantragte er Insolvenz. Das war mutig. Schließlich war der vom Großvater gegründete Betrieb im Ort eine bekannte Adresse und Thiele ahnte, dass ihm als vermeintlichem Pleitier ein unangenehmes Spießrutenlaufen bevorstehen würde. Trotzdem wagte er den Schritt – zum Glück. Denn der frühzeitige Gang zum Insolvenzgericht eröffnete ihm die Chance, sein Unternehmen im Rahmen eines Eigenverwaltungsverfahrens erfolgreich zu sanieren.

Je früher, desto aussichtsreicher

So viel Mut wie Thiele haben nicht alle, deren Unternehmen ins Schlingern gerät. Aus Sorge um ihren Ruf und aus Angst, im Fall einer Insolvenz auch persönlich in Existenznöte zu geraten, versuchen sie den Weg zum Gericht unter allen Umständen zu vermeiden – so lange, bis eine Sanierung der Firma nicht mehr möglich ist. Dabei wäre die Krise bei einer frühzeitigen Anmeldung in vielen Fällen zu bewältigen – über eine Sanierung unter Insolvenzschutz. „Aber die Insolvenz ist immer noch mit einer Stigmatisierung des Unternehmers verbunden“, beobachtet Professor Hans Haarmeyer, Leitender Direktor des Deutschen Instituts für angewandtes Insolvenzrecht. Das ist auch der Grund, weshalb sich viele mittelständische Unternehmer ein gesetzlich geregeltes Restrukturierungsverfahren außerhalb einer förmlichen Insolvenz wünschen. Damit befinden sie sich auf einer Linie mit der EU-Kommission.

Die Brüsseler Behörde hat Ende 2016 einen Entwurf für eine Richtlinie zu einem außerinsolvenzlichen Sanierungsverfahren vorgestellt. Das Ziel: Unternehmen zu retten, die in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, aber gute Überlebenschancen haben. Voraussetzung ist, dass der Betrieb weiterhin zahlungsfähig ist und damit noch keine Pflicht besteht, einen Insolvenzantrag zu stellen. Der Entwurf der EU-Kommission hat Parallelen zum deutschen Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), das seit März 2012 in Kraft ist. Auch hier soll der Firmenchef mit fachlicher Unterstützung durch versierte Berater ein Sanierungskonzept erstellen, über das die Gläubigergemeinschaft dann abstimmt. Während des gesamten Verfahrens behält der Unternehmer die volle Kontrolle über seine Firma.

»Die Insolvenz ist noch immer mit einer Stigmatisierung des Unternehmers verbunden.«
Prof. Hans Haarmeyer, Deutsches Institut für angewandtes Insolvenzrecht

Häufig gefährdet eine Insolvenz auch die wirtschaftliche Existenz des handelnden Geschäftsführers oder Gesellschafters. Deshalb schlägt die EU-Kommission eine verkürzte Restschuldbefreiung von bisher fünf auf drei Jahre vor. Sie soll es dem Unternehmer möglich machen, wieder vollständig befreit von Schulden am Geschäftsleben teilzunehmen. Diese Aussicht könnte nach Einschätzung des Bundesverbands ESUG und Sanierung (BVESUG) tatsächlich Geschäftsführer und Gesellschafter motivieren, früh eine Sanierung außerhalb der Insolvenz anzustreben.

Gleichwohl wird der Entwurf der Brüsseler Behörde wohl nicht jedem kriselnden Unternehmen zurück in die Spur helfen können. „Der Entwurf eignet sich nur für Unternehmen mit einem funktionierenden Geschäftsmodell, aber unpassender oder zu komplexer Finanzierungsstruktur. Die leistungswirtschaftliche Sanierung wird von der Richtlinie nicht angesprochen. Aber ohne die wird eine reine Bilanzsanierung wirkungslos bleiben“, urteilt BV-ESUG-Vorsitzender Robert Buchalik.

© Privat

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„Ein gerichtlich kontrolliertes Verfahren bleibt der Königsweg“

Fünf Fragen an Professor Hans Haarmeyer, Leitender Direktor des Deutschen Instituts für angewandtes Insolvenzrecht (DIAI).

Viele Unternehmer verschlechtern die Chancen für eine erfolgreiche Sanierung ihres Betriebs, indem sie erst dann Insolvenz anmelden, wenn kaum noch etwas zu retten ist. Jetzt will die EU-Kommission eine Sanierung auch außerhalb der Insolvenz möglich machen. Ist das der richtige Ansatz, um mehr existenzbedrohte Unternehmen am Leben zu halten?

Da der Weg zu einer Sanierung unter Insolvenzschutz nicht nur in Deutschland massiv unter der Stigmatisierung eines gerichtlichen Verfahrens leidet und die rechtzeitige Antragstellung verhindert, ist der Weg der EU-Kommission zu einem außergerichtlichen Verfahren konsequent und richtig.

Die EU-Richtlinie hat die Entschuldung des bedrohten Unternehmens zum Ziel. Das heißt, sie hat den Fokus auf der Bilanz, weniger auf dem operativen Geschäft. Gehört aber im Fall einer Schieflage nicht auch das Geschäftsmodell auf den Prüfstand? Anderenfalls wird die Insolvenz doch nur in die Zukunft verschoben.

Gerade in der Leistungswirtschaft liegen ja vielfach die Probleme begraben, die dann zu bilanziellen Folgen führen. Daher sollte der deutsche Gesetzgeber dafür sorgen, dass in einem rechtlich abgegrenzten Umfeld auch operative Sanierungen dann außergerichtlich durchgeführt werden können, wenn ohne diese Maßnahme eine nachhaltige Sanierung nicht zu erreichen ist.

Sanierungs- und Überbrückungskredite, die Banken in der Sanierungsphase zur Verfügung stellen, sollen Vorrang vor allen ungesicherten Verbindlichkeiten erhalten. Ist das sinnvoll?

Solche Kredite sind auch schon heute in Deutschland privilegiert und belohnen letztlich die Bereitschaft, auch in einer verdichteten Krise Kredite auszureichen. Ohne eine solche Privilegierung wird niemand wirklich bereit sein, frisches Geld in den Sanierungsprozess einzuschießen. Sie sollte sich dann aber auch nicht auf Banken beschränken, sondern jede Form der Krisenfinanzierung betreffen.

Kreditversicherer sollen das Recht haben, das Versicherungsrisiko des Schuldners bei dessen Lieferanten zu kürzen oder gar zu streichen. Das könnte dazu führen, dass Lieferanten nur noch gegen Vorkasse liefern – was aber die Liquidität des bedrohten Unternehmens gefährdet.

Genau an dieser Stelle sollte dann in der gesetzlichen Regelung die Möglichkeit für ein befristetes Moratorium als „Stand-still“ eingefügt werden, sodass bestehende Vertragsverhältnisse für eine gewisse Zeit, zum Beispiel für 30 Tage, von einer die Sanierung belastenden Veränderung ausgenommen werden können.

Das ESUG geht weit über die Möglichkeiten hinaus, die sich aus der EU-Richtlinie ableiten lassen. Ist die Sanierung unter Insolvenzschutz somit nicht die wesentlich bessere Option für angeschlagene Unternehmen?

ESUG und Richtlinie liegen in der Tat weit auseinander, so dass auch künftig bei leistungswirtschaftlichen Sanierungen mit Liquiditätsschöpfung durch Insolvenzgeld, Steuervergünstigungen und Eingriffen in bestehende Vertragsverhältnisse ein gerichtlich kontrolliertes Verfahren der Königsweg bleiben wird. Gelingt es jedoch, die außergerichtliche Sanierung mit zumindest einigen vergleichbaren Eingriffsmöglichkeiten für Gläubigergruppen zu versehen, dann wird ein solches Verfahren zu einer grundlegenden Veränderung und frühzeitigeren Einleitung von Sanierungsprozessen führen. Denn sonst bleibt nur der Weg zum Insolvenzgericht.