Wer seine Schulden nicht bezahlen kann, wartet häufig viel zu lange, ehe er sich professionellen Rat holt. Die Schuldnerhilfe Köln versucht über eine Zusammenarbeit mit Gläubigern schneller in Kontakt mit Betroffenen zu kommen.
Am Anfang steht häufig ein ständig überzogenes Girokonto. Sorgen löst das zunächst bei den wenigsten Betroffenen aus: Halb so schlimm, mit der nächsten Gehaltszahlung ist alles wieder im Lot. Doch dann wird eine größere, unerwartete Ausgabe fällig, weil die Waschmaschine oder das Auto kaputt ist, und schon gerät das Budget erstmals aus den Fugen. Richtig schlimm wird es, wenn der Arbeitsplatz plötzlich weg ist, ein Unfall passiert oder die Ehe geschieden wird. „Dann ist der Weg bis zur Überschuldung oft nicht mehr weit“, weiß Michael Eham, Geschäftsführer der Schuldnerhilfe Köln e.V. Auch jetzt, wo die wirtschaftliche Situation der meisten Deutschen besser denn je ist und die Arbeitslosigkeit so niedrig ist wie nie zuvor in den vergangenen 25 Jahren, geht Eham und seinen 20 Mitarbeitern am Kölner Gotenring die Arbeit nicht aus. „Das Problem der privaten Überschuldung hat inzwischen auch die Mittelschicht erreicht“, beobachtet er.
Der SchuldnerAtlas der Creditreform Wirtschaftsforschung zählte in Deutschland zum Stichtag 1. Oktober 2016 mehr als 6,8 Millionen Menschen über 18 Jahren, die überschuldet waren und nachhaltige Zahlungsstörungen aufwiesen. Das waren 131.000 mehr als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. Hauptursache dafür war der Anstieg der Fälle mit sogenannter hoher Überschuldungsintensität. Das sind Fälle, denen juristische Sachverhalte wie zum Beispiel eine eidesstattliche Versicherung zugrunde liegen und die oft mit einem höheren Schuldenvolumen verbunden sind. Hier eine Lösung zu finden, ist auch für Experten wie Eham und sein Team von der Schuldnerhilfe nicht leicht. „Oft müsste es aber gar nicht so weit kommen, wenn sich die Betroffenen früher professionell helfen lassen würden“, sagt der Geschäftsführer. Er blättert in seinen Unterlagen und zeigt eine Grafik mit einem Zeitstrahl, auf dem die Stationen eines typischen Überschuldungsprozesses illustriert sind. Die wichtigste Erkenntnis: Zwischen dem üblichen „Worst Case“ eines Schuldners (Arbeitslosigkeit, Krankheit, Scheidung) und dem Zeitpunkt, bei dem er eine Schuldnerberatung aufsucht, vergehen üblicherweise drei Jahre. In der Zwischenzeit hat es Mahnverfahren, Vertragskündigungen, Pfändungen und Zwangsvollstreckungen gegeben. Warum kommen die Schuldner erst, wenn fast nichts mehr geht? „Scham, Ignoranz und die Hoffnung, es doch noch irgendwie aus eigener Kraft zu schaffen“, vermutet Eham. Seit langem macht er sich Gedanken darüber, wie es möglich ist, früher mit Schuldnern in Kontakt zu kommen.
Hilfreiche Hotline
Ein erster Schritt war vor zehn Jahren die Einrichtung der Schuldenhelpline, der ersten bundesweiten Schuldnerberatungs-Hotline. Unter der Nummer 0180 – 456 456 4 können sich Betroffene Rat holen, wenn beispielsweise die Stadtwerke die Stromversorgung wegen Zahlungsrückständen einstellen wollen, eine fristlose Kündigung der Wohnung droht oder sich der Gerichtsvollzieher angesagt hat. Am Telefon, und falls gewünscht anonym, fällt es vielen Menschen leichter, über ihre Probleme zu sprechen als im Büro der Schuldnerhilfe – von Angesicht zu Angesicht mit einem Berater. Für die erfahrenen Juristen, Wirtschaftsfachleute und Sozialarbeiter der Schuldnerhilfe Köln geht es dann zunächst vor allem darum, Transparenz in die Situation zu bringen: Wie viele Gläubiger gibt es?
Wie hoch sind die Gesamtverbindlichkeiten? Wie stellt sich die Einkommenssituation dar? Welche Rate kann der Schuldner leisten? Erst dann können sich die Experten daranmachen, mit den Gläubigern Kontakt aufzunehmen und eine Lösung auszuhandeln.
Doch auch das reicht Eham noch nicht. Trotz Schuldenhelpline verstreicht oft immer noch viel wertvolle Zeit, bis Betroffene erstmals Expertenrat einholen. Seine Idee: „Nur wenn wir die Gläubiger mit ins Boot holen, können wir noch früher mit Schuldnern in Kontakt kommen und sie coachen. Denn die Gläubiger wissen als Erste, wenn ihre Vertragspartner in finanzielle Probleme geraten.“ So hat die Schuldnerhilfe Köln großen Wohnungsunternehmen, Krankenversicherern, Energieversorgern und Geldinstituten eine Zusammenarbeit vorgeschlagen – aus Datenschutzgründen zunächst als passives Angebot. Denn die Unternehmen dürfen ohne Zustimmung der Betroffenen keine persönlichen Informationen an Dritte weitergeben. Zulässig ist jedoch ein Hinweis auf die Dienstleistungen der Schuldnerhilfe.
»Das Problem der privaten Überschuldung hat inzwischen auch die Mittelschicht erreicht. Oft müsste es aber gar nicht so weit kommen, wenn sich die Betroffenen früher professionell helfen lassen würden. « Michael Eham, Schuldnerhilfe Köln
Beispiel LEG: Seit zwei Jahren kooperiert die Düsseldorfer Immobiliengesellschaft, die bundesweit etwa 130.000 Wohnungen besitzt, mit Eham und seinem Team. Jedem Schreiben an Mieter in Nordrhein-Westfalen, in dem die LEG eine fristlose Kündigung ausspricht, legt sie einen Flyer der Schuldnerhilfe Köln bei. Darin bieten Eham und Co. eine für Betroffene kostenlose Telefonberatung an und versprechen: „Wir helfen Ihnen dabei, Ihre Wohnung zu behalten.“ Eine erste Bilanz zeigt: Etwa jeder siebte Schuldner wählt die Nummer. „Das ist für den Anfang eine ordentliche Quote, aber noch deutlich zu wenig“, sagt der Berater. Doch die Erfolge des Mietschuldenservices sprechen für sich: In 80 Prozent der Fälle hat die LEG die fristlose Kündigung zurückgezogen. Noch in der Startphase befinden sich die bundesweit angelegten Kooperationen zwischen der Schuldnerhilfe Köln und dem Energieversorger Eon sowie einem großen privaten Krankenversicherer. Auch mit einigen Sparkassen im Rheinland ist Eham im Gespräch über eine Zusammenarbeit.
„Wir könnten noch effektiver arbeiten, wenn wir Schuldner von uns aus ansprechen könnten“, sagt der Geschäftsführer der Schuldnerhilfe. Noch verbietet das das Datenschutzgesetz. Aber das könnte sich mit der möglichen Überführung europäischer Bestimmungen in nationales Recht in den kommenden Jahren ändern. Die Arbeit wird Eham so rasch nicht ausgehen. Im Gegenteil. Denn die Erfahrung zeigt: Sobald die Konjunktur an Dynamik verliert und sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt wieder verschlechtert, geraten noch mehr Menschen in einen Schuldenstrudel. Hinzu kommt der Trend zur Altersüberschuldung. Der SchuldnerAtlas von Creditreform zeigt, dass immer mehr Menschen jenseits der 60 ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen. Die entsprechenden Verschuldungsquoten sind zwar noch sehr viel niedriger als in anderen Altersgruppen. Doch die Steigerungsraten sind überdurchschnittlich hoch. In der Altersgruppe der 60- bis 69-Jährigen registrierten die Wirtschaftsforscher ein Plus von sieben Prozent auf 504.000 Fälle. Die Zahl überschuldeter 70-Jähriger ist zuletzt sogar um 16 Prozent gestiegen. Und sehr oft stand am Anfang nicht mehr als ein überzogenes Girokonto.