Grundsätzlich gilt: Bei der Umsatzsteuer sitzt der Fiskus im Insolvenzfall wieder am längeren Hebel. Während die Finanzämter ihre Steuerforderungen seit 1999 wie andere Gläubiger auch zur Insolvenztabelle anmelden mussten, wurde ihre ehemalige Vorzugsstellung zwischenzeitlich teilweise wieder eingeführt.
So hatte der Bundesfinanzhof (BFH, Az.: V R 22/10) entschieden, dass – sofern die Masse ausreicht – Insolvenzverwalter auch bei der Sollbesteuerung nach vereinbarten Entgelten künftig die komplette Umsatzsteuer aus den nachträglich von ihnen vereinnahmten Entgelten an das Finanzamt abführen müssen. Und zwar selbst dann, wenn die betreffenden Lieferungen und Leistungen lange vor Verfahrenseröffnung erbracht wurden. Dennoch bleiben trotz ihrer wieder erstarkten Vorzugsstellung sogar die Finanzämter oft genug auf ihren Steuerforderungen sitzen. Grund dafür sind freilich nicht nur die im Regelfall überschaubaren Restvermögen, sondern auch die erst kürzlich erschwerte Aufrechnung offener Steuerforderungen aus Umsätzen vor der Insolvenzeröffnung mit Erstattungsansprüchen der Insolvenzschuldner.
Gegenüber weniger bevorzugten Gläubigern steht den Finanzbehörden allerdings die Möglichkeit offen, drohende Forderungsverluste durch eine rasche und unnachgiebige Vollstreckung in die Privatvermögen nachlässiger Geschäftsführer, Prokuristen und Gesellschafter von Personengesellschaften zu begrenzen. Denn grundsätzlich haftet dieser Personenkreis für die fristgerechte Entrichtung geschuldeter Steuern und kann bei grob fahrlässigen Pflichtverletzungen vom Finanzamt im späteren Insolvenzfall als Haftungsschuldner selbst in Anspruch genommen werden. In der Praxis sind davon insbesondere GmbH-Geschäftsführer als gesetzliche Vertreter ihrer Kapitalgesellschaft betroffen. So wertet die ständige BFH-Rechtsprechung die Nichtabführung von Lohnsteuer regelmäßig als eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Geschäftsführerpflichten. Die Finanzgerichte erwarten vielmehr von einem GmbH-Geschäftsführer, dass dieser bei Liquiditätsengpässen alle zur Zahlung anstehenden Nettolöhne so weit kürzt, dass er aus den ihm zur Verfügung verbliebenen Mitteln noch die anteilige Lohnsteuer abführen kann. Mehr noch: Selbst in einer plötzlichen und unvorhersehbaren wirtschaftlichen Krise muss er persönlich für die Abführung der Lohnsteuer einstehen, solange und soweit liquide Mittel zur Lohnsteuerzahlung vorhanden sind.
Aus ihrer Haftung werden Geschäftsführer erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens entlassen. Bis dahin gelten folgende Grundsätze: Nach Beantragung des Insolvenzverfahrens bestimmt das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Sowohl dessen Befugnisse als auch die Haftung des Geschäftsführers hängen davon ab, ob ein schwacher oder starker vorläufiger Verwalter eingesetzt wird. So bleibt im ersten Fall die Geschäftsführung beim Schuldner. Er ist bei Vermögensverfügungen jedoch auf die Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters angewiesen. Setzt sich der Geschäftsführer grob fahrlässig darüber hinweg, haftet er auch nach Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens persönlich für verursachte Steuerausfälle.
Einem starken vorläufigen Insolvenzverwalter wird die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners übertragen, sodass der Geschäftsführer nicht mehr haftet. Doch Vorsicht: Allein der Eröffnungsantrag befreit ihn nur von der persönlichen Haftung, wenn bei Fälligkeit keine liquiden Mittel zur Entrichtung der einbehaltenen Lohnsteuer mehr vorhanden sind. Ansonsten besteht die Zahlungsverpflichtung bis zur Bestellung eines Insolvenzverwalters oder bis zur Eröffnung des Verfahrens fort.
Im Insolvenzfall erlangt überwiegend die Haftung bei Organschaften praktische Bedeutung, mit der neben gewerbe- und körperschaftsteuerlichen Forderungen vor allem Umsatzsteueransprüche bei einem anderen Unternehmen als dem Insolvenzschuldner geltend gemacht werden können. Bei einer Organschaft handelt es sich um gemeinsam besteuerte Unternehmen einer Unternehmensgruppe, in der eine Kapitalgesellschaft (Organgesellschaft) nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein anderes Unternehmen (Organträger) eingegliedert ist. Eben diese Organgesellschaft haftet nach § 73 AO für die Steuern des Organträgers, für die die Organschaft gilt. Handelt es sich um eine rein umsatzsteuerliche Organschaft, gilt die Haftung der Tochtergesellschaft nicht für die Gewerbe- oder Körperschaftsteuer der Muttergesellschaft. Voraussetzung für eine Inanspruchnahme der Tochtergesellschaft als Haftungsschuldner bleibt zudem die organisatorische Eingliederung der Organgesellschaft. Hierzu haben die Finanzbehörden zuletzt klargestellt (Az.: IV D 2 – S 7105/11/10001), dass die aufgrund einer finanziellen Eingliederung gegebene Möglichkeit zur Beherrschung der Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung tatsächlich wahrgenommen wird. Dafür spricht meist eine Personenidentität in den Leitungsgremien der Gesellschaften.
Bernhard Lindgens
– Haftungsvergütung: Ihre in den letzten Jahren stetig gestiegenen Haftungsrisiken lassen sich Geschäftsführer und Unternehmensvertreter oftmals bezahlen. Darauf kann Umsatzsteuer fällig werden. Zwar hatten die Finanzbehörden noch 2007 klargestellt, dass Haftungsvergütungen einer Personengesellschaft an einen persönlich haftenden Gesellschafter grundsätzlich nicht im Rahmen eines eigenen Leistungsaustauschverhältnisses gewährt werden. Das hat sich nach einem Urteilsspruch des Bundesfinanzhofs geändert: Nach dem Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE Abschn. 1.6 Abs. 6) zählt eine Festvergütung, die der geschäftsführungs- und vertretungsberechtigte Komplementär einer KG von dieser für seine Haftung erhält, nun zum umsatzsteuerpflichtigen Entgelt für seine einheitliche Gegenleistung bestehend aus Geschäftsführung, Vertretung und Haftung.
– Pflichtenkollision: Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers ist nicht mehr ausgeschlossen, wenn die Nichtzahlung der fälligen Steuern in die dreiwöchige Schonfrist nach § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG zur Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit fällt. Die in der Vergangenheit nahezu unvermeidbare zivilrechtliche Haftung des Geschäftsführers gegenüber seiner insolvenzreifen GmbH wegen Verstoß gegen das gesellschaftsrechtliche Gebot der Massesicherung hatte der Bundesgerichtshof (BGH) kürzlich erneut verneint (Az.: II ZR 196/09). Die Zahlung rückständiger Umsatz- und Lohnsteuern nach Eintritt der Insolvenzreife begründet keine Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG. Gleiches gilt für die Zahlung rückständiger Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die Einzugsstelle. Im strittigen Fall half dem Geschäftsführer der Hinweis auf seine rechtliche Zwangslage nicht, wonach er sich zum Zeitpunkt der Lohnsteuerfälligkeit noch innerhalb der dreiwöchigen Schonfrist zur Massesanierung zwischen Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der GmbH und dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 64 Abs. 1 GmbHG) befunden habe.
– Steuerberater: Auch Steuerberater werden von ihren Mandanten immer häufiger belangt. Bei einer Insolvenz dürfte dies Gläubigern aber nur im Ausnahmefall gelingen. Zwar beschränkt sich die Beratungspflicht eines Steuerberaters nicht nur darauf, Mandanten bei der Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten zu helfen. Er hat sie auch vor finanziellem Schaden zu bewahren und ihnen sichere Möglichkeiten zu angestrebten Steueroptimierungen aufzuzeigen. Im Rahmen eines Dauermandats muss er laut BGH seine Auftraggeber sogar auf außerhalb seines Beratungsauftrags liegende Risiken hinweisen, wenn er mit der Sach- und Rechtslage vertraut ist oder die drohenden Steuernachteile selbst für einen durchschnittlichen Steuerberater auf den ersten Blick erkennbar sind. Allerdings sind Steuerberater nach der aktuellen BGH-Entscheidung vom 7. März 2013 (Az.: IX ZR 64/12) im Rahmen eines allgemeinen Dauermandats mit einer GmbH nicht verpflichtet, ihre Mandanten oder den Geschäftsführer auf eine mögliche Überschuldung bei Unterdeckung in der Handelsbilanz hinzuweisen. Die Begründung der Richter: Eine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne kann nur durch Aufstellung einer Überschuldungsbilanz festgestellt werden.