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Creditreform

Am 18. Februar 2015 hat die EU-Kommission ein sogenanntes Grünbuch zum Thema Kapitalmarktunion veröffentlicht. Es enthält zahlreiche Ideen, wie die europäischen Kapitalmärkte weiterentwickelt und besser integriert bzw. standardisiert werden könnten. So soll die Finanzierung der Wirtschaft verbessert und die Kosten gerade für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) gesenkt werden.

Auch attraktive neue Anlagemöglichkeiten in Europa sollen so geschaffen werden. Das Grünbuch enthält ebenso insgesamt 31 Fragen, aber noch keine konkreten Regulierungsvorschläge. Das bleibt einem für den Sommer geplanten Weißbuch vorbehalten. Aber die Diskussion über die Kapitalmarktunion ist spätestens seit dem Grünbuch in vollem Gange.

Was wird da eigentlich alles diskutiert?

Es nennt eine ganze Reihe kurzfristig möglicher Maßnahmen:

  • Förderung hochwertiger Verbriefungen (so würden Kreditvergaben durch Verbriefungs-getriebene Senkung des regulatorischen Eigenkapitalbedarfs von Banken erleichtert),
  • Überarbeitung der Prospektrichtlinie (zur Vereinfachung der grenzüberschreitenden Kapitalaufnahme, insbesondere für KMU),
  • Verbesserung der Verfügbarkeit von Kreditinformationen über KMU,
  • Förderung von Direktinvestitionen in KMU durch europaweite (marktgetriebene) Regelung für Privatplatzierungen und
  • schnelle Schaffung der neuen europäischen langfristigen Investmentfonds (ELTIF) zur Förderung von Infrastruktur- und anderen Langzeitprojektinvestitionen.

Aber auch etwas längerfristige Planungen werden im Grünbuch zur Diskussion gestellt:

  • Die Verbesserung des Zugangs zu Finanzmitteln für alle europäischen Unternehmen, z.B. durch (i) vereinfachte einheitliche Rechnungslegungsstandards (eine Art „IFRS light“), (ii) einen europäisierten Markt für gedeckte Schuldverschreibungen (das hieße in Deutschland eventuell Änderungen im Pfandbriefgesetz) oder (iii) die Förderung grenzüberschreitenden Crowdfundings.
  • Die Ausweitung und Diversifizierung von Finanzierungsquellen, z.B. durch (a) ein EU-weit standardisiertes Produkt für die persönliche Altersvorsorge oder (b) die Stärkung von privatem Beteiligungs- und Risikokapital sowie von (c) Business Angels.
  • Und die Schaffung effizienterer Märkte gerade auch durch verbesserte rechtliche Bedingungen und Regeln, z.B.
  • die Förderung der Schaffung eines „konsolidierten Datentickers“ für die Aktienmärkte.
  • Das Target-to-Securities (T2S)-Projekt der EZB, d.h. die Schaffung eines neuen, harmonisierten und zentralen Wertpapierabwicklungssystems in Zentralbankgeld, soll unterstützt werden.
  • Ein Regelungsvorschlag zur Sanierung und Abwicklung zentraler Gegenparteien und anderer systemisch relevanter Finanzinstitute soll folgen.
  • Die EU-weite Regelung von Anlegerrechten in Wertpapieren (d.h. das alte SLL-Projekt der Kommission), aber auch
  • neue Corporate Governance-Anforderungen sowie
  • eine Harmonisierung von Insolvenzvorschriften und
  • die Überarbeitung von Steuerregeln zur einheitlichen Behandlung von Kredit- und Beteiligungsfinanzierung und
  • Vorschriften des regulatorischen Eigenkapitals für Banken (CRR) zum gleichen Zwecke werden angeregt.

Viele, wenn nicht die meisten, der jetzt diskutierten Themen sind nicht neu, sondern werden unter dem Stichwort Kapitalmarktunion vielmehr neu kompiliert. Das sollte der Sache keinen Abbruch tun. Aber es gibt auch erste Kritik an dem vorgeschlagenen Projekt und auch die ist durchweg beachtenswert: Die wichtige Regulierung von Schattenbanken könnte durch den Fokus auf die Kapitalmarktunion verdrängt werden. Fast alle Kommissionsvorschläge liefen auf weitere Standardisierung in Europa hinaus. Der Blick der Kommission auf die USA und deren starke Kapitalmarktorientierung sei eher unkritisch. Und das obgleich die strukturellen Probleme von US-Wirtschaft und -Gesellschaft (einschließlich deren Kurzfrist-Orientierung und künstlichen Trennung von wirtschaftlicher und sozialer Verantwortung der Unternehmen) diese den meisten Europäern kaum als Vorbild erscheinen lassen wird.

Warum jetzt?

Europa erholt sich von der internationalen Finanzmärktekrise viel langsamer als z.B. die USA. Selbst in Deutschland sehen wir heute nachlassendes Wachstum. Politische und in der Folge auch wirtschaftliche Unsicherheiten über die Zukunft Griechenlands im Euro-Raum (Stichwort Grexit) und der Ukraine-Konflikt belasten die Konjunktur. Deflation als Gefahr für die Euro-Zone ist weit realer als die früheren Inflationsängste einiger Deutscher. Die durch die Sünden der Vergangenheit notwendig gewordene restriktive Haushaltspolitik vieler EU-Mitgliedsstaaten erschwert die wirtschaftliche Erholung. Und so kämpft z.Zt. vor allem die EZB mit ihrer Geldpolitik um die Ankurbelung des Wirtschaftswachstums. Aber diese Geldpolitik läuft über die Banken. Die Idee einer Kapitalmarktunion nähert sich der Problematik von einer anderen Seite: Sie soll die bankenunabhängige Finanzierung der Wirtschaft, eben die Unternehmensfinanzierung via Kapitalmärkte stärken und auf diese Weise das Wirtschaftswachstum in Europa fördern.

Nächste Schritte

Am 18. Februar hat die EU-Kommission nicht nur das Grünbuch zur Kapitalmarktunion veröffentlicht, sondern zugleich auch Konsultationen über hochwertige Verbriefungen und eine Reform der Prospektrichtlinie gestartet und eine weitere zu gedeckten Schuldverschreibungen angekündigt.

Jetzt ist die Zeit, die Kommissionsvorschläge ebenso wie die Kritik daran noch einmal zu überdenken, die Grünbuch-Fragen zu beantworten und eigene Projekte der Finanzindustrie zu einzelnen dieser Themen voranzutreiben. Wenn das Weißbuch vorgelegt werden wird, sind die konkreten Regulierungsvorschläge zu kommentieren und ggfs. neue zu machen. Das Ziel ist jedenfalls des Schweißes der Edlen wert.

Peter Scherer ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei GSK Stockmann + Kollegen