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Selten war eine Konjunkturprognose mit so vielen Unsicherheiten versehen wie in diesem Jahr. Doch in der Summe überwiegt die Hoffnung – auf einen schnell überwundenen Winter-Lockdown und den wirtschaftlichen Aufschwung ab den Sommermonaten 2021.
Konjunkturforscher haben im vergangenen Jahr ganz neue Indikatoren kennengelernt. Anstatt sich nur mit Bruttoinlandsprodukt, Arbeitslosenzahlen, Inflation und Co. zu beschäftigen, mussten sie auch R-Wert, Inzidenzen und Infektionszahlen berücksichtigen – was ihre Aufgabe nicht einfacher machte. Denn mit jeder neuen Nachricht verändern sich die Annahmen und Variablen, auf die sie ihre Prognosen stützen.
Die Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten verspricht, die internationale Politik wieder berechenbarer zu machen. Auch die Zulassungen der ersten Impfstoffe gegen das Coronavirus sind ein positives Signal. Gleichzeitig befindet sich Deutschland seit Mitte Dezember in einem zweiten harten Lockdown.
Die Frage, ob die Konjunkturkurve eine V-Form, eine W-Form oder die eines spiegelverkehrten Wurzelzeichens annehmen wird, ist also schwer zu beantworten. Hinzu kommt: Es fehlt die Erfahrung. Maßnahmen wie einen Lockdown hat es in der Form noch nie gegeben, ebenso wenig die begleitenden Hilfsmaßnahmen.
„Mit den wieder stark gestiegenen Coronavirus-Neuinfektionen sowie den Anfang November eingeleiteten und Mitte Dezember verschärften Lockdown-Maßnahmen hat nun der schwierige Teil der Erholung begonnen“
Fritz Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW
Immerhin: Einige Schlüsse auf die Zukunft lassen sich auch aus der Rückschau ziehen. „Das deutsche BIP hat sich nach dem historischen Einbruch im ersten Halbjahr 2020 über den Sommer kräftig erholt und erreichte im Herbst wieder 96 Prozent des Vorkrisenniveaus“, beschreibt Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW, das bisherige Ab und Auf. „Mit den wieder stark gestiegenen Coronavirus-Neuinfektionen sowie den Anfang November eingeleiteten und Mitte Dezember verschärften Lockdown-Maßnahmen hat nun jedoch der schwierige Teil der Erholung begonnen“, warnt sie vor zu großer Euphorie.
Ebenso wie Dominik Lamminger, Mitglied der Geschäftsleitung des Bundesverbands Öffentlicher Banken Deutschlands: „Wir erwarten zwar, dass die Politik alles unternehmen wird, um die wirtschaftliche Aktivität so weit wie möglich zu schonen“, sagt er. Doch alle Prognosen bleiben mit großen Unsicherheiten behaftet.
Sie hängen im Wesentlichen von drei Faktoren ab. „Virus, Lockdown und Impfstoff“, sagt Carsten Brzeski, Chefökonom der ING Deutschland. „In unserem Basisszenario gehen wir von einem Ende der Lockdowns im ersten Quartal sowie einem langsamen Ausrollen des Impfstoffes im Lauf des ersten halben Jahres aus.“
Erholung ab Frühjahr 2021
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung erwartet in seinem aktuellen Jahresgutachten, dass die Wirtschaftsleistung Deutschlands 2020 um 5,1 Prozent schrumpft. Im Juni 2020 lautete die Prognose noch minus 6,5 Prozent.
Für das Jahr 2021 erwarten die Wirtschaftsweisen einen Anstieg von immerhin 3,7 Prozent. Damit bewegt sich ihre Vorhersage in etwa im Bereich dessen, was auch die Volkswirte der größten deutschen Banken und Bankenverbände prognostizieren.
Wenngleich Michael Holstein, Leiter Volkswirtschaft bei der DZ Bank betont, dass zunächst noch schwierige Monate bevorstehen: „Die Wirtschaft durchläuft im Winterhalbjahr 2020/2021 noch eine leichte Rezession.“ Erst ab dem Frühjahr setze eine kräftige Erholung ein.
Köhler-Geib beobachtet derzeit zwar, dass „Rückgänge in den eingeschränkten Dienstleistungsbereichen von der zuletzt wieder aufstrebenden Produktion im Verarbeitenden Gewerbe größtenteils kompensiert werden können“.
Doch tatsächlich wird viel davon abhängen, wie lange noch Einschränkungen des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens zugunsten des Infektionsschutzes notwendig sind. „Ich rechne ab dem Sommer mit weniger konjunkturellem Gegenwind durch Corona aufgrund der dann hoffentlich beginnenden Impfung großer Teile der Bevölkerung“, sagt Andreas Bley, Chefvolkswirt des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR).
Auf stabileren Füßen steht das erhoffte Wachstum durch mehrere Impulse. „Aus der hohen Sparquote von 2020 und ablesbar an den hohen Girokontoguthaben bestehen gute Potenziale für ein Nachholen beim Konsum“, sagt Pia Jankowski, Leiterin der Abteilung Volkswirtschaft, Finanzmärkte und Wirtschaftspolitik im DSGV.
Entscheidend wird aber auch der Außenhandel sein, sei es mit China, dessen Konjunktur 2020 stärker wuchs als erwartet, mit den USA oder innerhalb eines Europas ohne Großbritannien.
Weitere Einschätzungen der Volkswirte:
Bankenumfrage Teil 2: Kreditversorgung im Mittelstand
Bankenumfrage Teil 3: Was tun gegen die Insolvenzwelle?
Konjunkturprognosen im Zeichen der Corona-Pandemie
Der Artikel gibt transparent wieder, welche Unsicherheiten – verbunden mit dem Prinzip Hoffnung – bei den Vorhersagen bestehen. Dies zeigen die Bandbreiten bei den Prognosen zum BIP-Wachstum der Banken (siehe Tabelle im Artikel) und diverser Institutionen (siehe hier: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunkturprognose114.html). Diese reichen bei der erstgenannten Gruppe von 3,0% bis 4,5% und bei der zweitgenannten von 3,2% bis 5,1%. Somit ein Unterschied von 150 bzw. 160 Prozent. Bemerkenswert!
Die Faktoren, von denen ein erforderliches Wachstum abhängt, sind vielfältig. Nicht nur „Virus, Lockdown und Impfstoff“ als wesentliche Gründe, sondern auch durch die Krise entstehende Insolvenzen werden hierbei entsprechenden Einfluss ausüben. Und hiervon können viele Branchen und Unternehmen jeder Größe betroffen sein. Zuvorderst die hart Betroffenen wie Veranstaltungsbranche, Messebau, Reisebranche, Gastronomie. In der Folge der wirtschaftlichen Schieflage dieser Unternehmen werden auch Banken und Sparkassen durch Wertberichtigungen und Kreditabschreibungen die negativen Auswirkungen zu spüren bekommen. Nach meinem Dafürhalten stärker als in der inzwischen gut eine Dekade zurückliegenden Bankenkrise. Zusammenschlüsse sind die logische Folge. Die bisherigen politischen Entscheidungen sind für eine noch nie dagewesene Krise in vielen Aspekten gut gewesen. Manche dürfen dennoch zu Recht hinterfragt werden:
1. Die Milliardenhilfe für die Lufthansa ist wirkungslos verpufft, hat dennoch zig-tausende Arbeitsplätze gekostet und als zusätzliche Finanzhilfe vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen gefehlt. Obwohl gerade die KMUs der konjunkturelle Motor sind. Zu diesem Themenkomplex habe ich in meinem Blog „Kommentar am Freitag“ mehrfach kommentiert (https://hf-unternehmensfinanzierung.de/kaf/?s=Lufthansa).
2. Die nachträglich vorgenommenen Einschränkungen bei der Überbrückungshilfe II haben zu gravierenden negativen Auswirkungen bei den betroffenen Unternehmen geführt. Dies bedeutet (teilweise) Rückzahlung von bereits erhaltenen Hilfen bzw. eine massive Reduzierung bei neu beantragten Zuschüssen (https://www.haufe.de/steuern/kanzlei-co/corona-ueberbrueckungshilfen-ungedeckte-fixkosten_170_534018.html). Diese Änderungen beziehen sich auch auf die November- und Dezemberhilfe plus sowie voraussichtlich auch auf die Überbrückungshilfe III.
Wie schnell und mit welcher Kraft sich die Konjunktur tatsächlich erholt, bleibt abzuwarten. Die Determinanten sind zu unterschiedlich und zu komplex, um eine tragfähige Prognose zu wagen. Als Optimist verbleibe ich mit dem Leitspruch: Think positive – stay negative!
Herzlich, Ihr Holger Feick
Geschäftsführer HF Finanzconsulting GmbH
http://www.hf-finanzconsulting.de