Motor, Rückgrat, tragende Säule: Ist vom Mittelstand die Rede, geht es oft um seine Kraft, Ausdauer und Stärke. Mit Blick auf den Abschwung müssen sich kleine und mittlere Unternehmen nicht bange machen lassen: Ihre Eigenkapitalquote konnten sie in den vergangenen Jahren stark erhöhen. Auch der Kreditmarkt läuft rund. Alles prima, 2020?

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Michael Schwartz, Ökonom und Mittelstandsexperte bei KfW Research
KMU stemmten zusätzliche Investitionen 2018 vollständig über externe Finanzierungsquellen. Das Kreditvolumen stieg stark und hat ein Allzeithoch von 75 Milliarden Euro erreicht. Bevorzugt wurden langfristige Bankkredite.
Die Eigenkapitalquoten erhöhten sich von durchschnittlich 18 Prozent im Jahr 2002 auf durchschnittlich 31 Prozent im Jahr 2018. Mit Basel IV werden die Eigenkapitalanforderungen an die Banken tendenziell weiter steigen.
Bei der Umsetzung in europäisches Recht gibt es aber Spielräume, um die Kreditvergabe an den Mittelstand zu begünstigen. Aufgrund des hohen Wettbewerbsdrucks am Kreditmarkt dürfte es den Instituten schwerfallen, höhere regulatorische Lasten an die Kunden weiterzureichen.

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Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING-DiBa
Die Probleme in der Industrie, und dabei natürlich auch in der Automobilindustrie, haben mittlerweile auch den Mittelstand erreicht. Dünnere Auftragsbücher hinterlassen Spuren.
Hinzu kommen der Generationswechsel im Management und ein großer Nachholbedarf bei Investitionen und Innovationen.
Das kann die Kapitallage einiger Unternehmen sicherlich angreifen, wird aber durch die Niedrigzinspolitik der Geldpolitik wiederum auch teilweise kompensiert.

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Andreas Wagner, Leiter Förderkreditgeschäft sowie Gründungs- und Nachfolgefinanzierung, HypoVereinsbank
Die Finanzierungssituation deutscher Unternehmen ist nach wie vor ausgesprochen positiv – trotz der schwächelnden Konjunktur.
Dabei ist insbesondere der Mittelstand mit Blick auf Eigenkapital und Liquidität insgesamt sehr gut aufgestellt und hat genug Wasser unter dem Kiel, um unbeschadet durch eine mögliche Rezession zu kommen.
Die weiterhin gute Finanzierungslage ist vielmehr eine gute Ausgangslage für Mittelständler, um das Geschäft durch M&A, digitale Innovationen oder internationale Expansion weiter auszubauen.
Regulierung: Das erwartet Deutschlands Banken
Basel IV ist ein Sammelbegriff für regulatorische Neuerungen des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht. Im Zentrum stehen dabei neue Standards, nach denen Banken ihre Kapitalanforderungen berechnen müssen.
Die neuen Vorschriften sollen in den kommenden zwei Jahren in europäisches Recht umgesetzt werden. Sie wirken sich auch auf die Frage aus, wie viel Eigenkapital Banken einsetzen müssen, wenn sie Kredite an mittelständische Unternehmen vergeben.
Eine Studie des Bundesverbands deutscher Banken (BdB) kommt zu dem Ergebnis, dass die Kapitalanforderungen für deutsche Institute um mehr als 20 Prozent steigen könnten.
Das Problem: Die Institute seien verpflichtet, die Höhe der Eigenmittelanforderung bei der Bepreisung ihrer Angebote an die verschiedenen Kunden zu berücksichtigen, so der Verband.

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Stefan Schneider, Chefvolkswirt Deutsche Bank Research
Wir erwarten keine Rezession im Mittelstand, rechnen aber mit erheblichen Anpassungsproblemen bei Teilen der Automobilzulieferungsindustrie, aufgrund zyklischer Nachfrageschwäche ebenso wie struktureller Veränderungen weg vom Diesel, hin zu E-Mobilität und autonomem Fahren.
Vorausgesetzt, eine Eskalation des Handelsstreits und damit eine echte Rezession werden tatsächlich vermieden, ist nicht von einer nennenswerten Verschlechterung der Finanzierungslage von Mittelständlern auszugehen.
Zwar sind die Banken etwas vorsichtiger bei der Kreditvergabe geworden und der jahrelange Margenverfall dürfte gestoppt sein; zudem ist vermehrt mit negativen Einlagenzinsen auch für Mittelständler zu rechnen.
Klassisches Kreditgeschäft mit Unternehmen ist für viele Banken in den letzten Jahren aber attraktiver geworden, der Wettbewerb bleibt daher hoch.
Allerdings: Auch wenn die Umsetzung von Basel IV noch Jahre dauern wird, sollte sich der Output-Floor mittelfristig negativ auf den Kreditzugang von Unternehmen ohne externes Rating, das betrifft viele Mittelständler, auswirken.

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Pia Jankowski, Direktorin Volkswirtschaft beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband
Der Mittelstand kann sich natürlich nicht grundsätzlich von der allgemeinen wirtschaftlichen Situation abkoppeln. Wir sehen eine Zweiteilung: Bei den exportintensiven Industriebranchen geht die Dynamik zurück.
eher binnenorientierten Branchen bauen ihr Wachstum aus. Die Unternehmen haben in den letzten Jahren vorgesorgt und ihre Kapitalreserven gestärkt. Das ist in diesem Segment besonders wichtig, da gerade der Handel und die Bauwirtschaft in der Vergangenheit relativ kapitalschwach waren.
Es ist auch hervorzuheben, dass die Unternehmen trotz der aktuellen (Stimmungs-)Lage kräftig investiert haben. Bereits Ende 2018 lagen die Investitionen auf dem höchsten Niveau der letzten Jahre.
Die Zahlen der Sparkassen zur Vergabe von Investitionskrediten im ersten Halbjahr 2019 stützen diesen Trend. Inwiefern sich dies realwirtschaftlich auswirkt, bleibt vor dem Hintergrund der jüngsten konjunkturellen Entwicklungen abzuwarten.

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Dr. Andreas Bley, Chefvolkswirt beim Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken
Umfragen lassen erkennen, dass die Finanzierungsbedingungen vom Mittelstand selbst derzeit kaum als Problem wahrgenommen werden.
Der Fachkräftemangel und die Bürokratie werden deutlich häufiger als Problemfelder benannt. Wichtig ist, dass von der Bankenregulierung keine negativen Impulse auf die Kreditvergabefähigkeit der Banken ausgehen.
So sollte bei der Umsetzung von Basel IV kleinen und nicht-komplexen Kreditinstituten ein Wahlrecht eingeräumt werden, statt des neuen Kreditrisiko-Standardansatzes weiter den aktuellen Standardansatz zu nutzen.

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Dominik Lamminger, Mitglied der Geschäftsleitung beim Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands, VÖB
Wenn Basel IV das Geschäftsmodell europäischer und insbesondere deutscher Banken einschränkt, sind die Leidtragenden in letzter Konsequenz die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Realwirtschaft.
Umso wichtiger ist es, dass es bei der Umsetzung von Basel IV zu keinem deutlichen Anstieg der Kapitalanforderungen kommt und damit eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit oder der Kreditversorgung der Realwirtschaft unterbleibt.
weitere Ergebnisse der Bankenumfrage 2019/2020
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