Das Gespräch führte Ingo Schenk
Herr Keller, einerseits befürchten viele unserer Leser eine Verschlechterung ihrer Finanzierungsbedingungen, gerade auch mit Blick auf Basel III – andererseits sitzen weite Teile des Mittelstands Ihrer jüngsten Studie zufolge auf durchschnittlich jeweils 3,1 Millionen Euro Liquidität, die angelegt werden wollen. Wie passt das zusammen?
Es ist richtig, dass sich bei vielen Betrieben im Zuge des sich fortsetzenden wirtschaftlichen Aufschwungs der Finanzanlagebedarf deutlich erhöht hat. Die Hortung dieser Liquidität ist unserer Meinung nach aber weniger im Zusammenhang mit der Erwartung sich verschlechternder Finanzierungsbedingungen zu sehen als vielmehr mit der Unsicherheit durch die Staatsschuldenkrise! Sie führte zu einer Reihe von sehr guten Maßnahmen – unter anderem aber eben auch zu einem Zurückstellen von Investitionen. Hierdurch und bei für viele so nicht erwarteter stabiler wirtschaftlicher Entwicklung kam es zum Aufbau von Liquidität. Ein weiteres Abklingen der Krise verbunden mit der zurückkehrenden Zuversicht, immer handlungsfähig zu sein, sollte daher auch zu einem Umdenken bei den Unternehmen führen …
Eines der Kernergebnisse der Studie „Finanzanlageverhalten und Finanzanlagebedürfnis mittelständischer Unternehmen“, mit der Sie die Fachhochschule des Mittelstands beauftragt haben, lautet: Der Anlagebedarf der Unternehmen hängt maßgeblich von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Das klingt wie eine Binsenweisheit – welchen Anlagehorizont haben die Betriebe denn?
Einerseits konnten wir in Deutschland ein robustes Wirtschaftswachstum verzeichnen, was dazu führte, dass Unternehmen vermehrt Liquidität aufgebaut haben – andererseits blieb die Angst vor einer erneuten Verschärfung der Krise jedoch bestehen. In der Folge nahm das Horten von Liquidität bei gleichzeitiger Zurückhaltung bei den Realinvestitionen weiter zu. Die Studie belegt, dass der Anlagehorizont des Mittelstandes seit 2009 immer kürzer wurde. 77 Prozent der Unternehmen legen ihre liquiden Mittel mit einer Laufzeit von unter einem Jahr an. Diese Gelder sind überwiegend Liquiditätspolster und werden kurzfristig geparkt! Aufgrund der bestehenden Unsicherheit dieser Anleger wird ein Bodensatz der Liquidität sicherheitsorientiert im Tagesoder Festgeldbereich angelegt. Viele Mittelständler verlängern jedoch über Jahre hinweg monatlich diese Anlagen, ohne sie tatsächlich abzurufen. Diese Flexibilität geht natürlich zu Lasten einer möglichen Rendite für diese Gelder. Seit dem Anstieg der längerfristigen Zinsen stellen wir allerdings einen gegenläufigen Trend fest: Es werden wieder vermehrt auch längere Laufzeiten angefragt!
Ist die Unsicherheit bei den Unternehmern also nach wie vor dermaßen hoch, dass sie Millionenbeträge lieber in renditearme Anlageformen stecken statt Realinvestitionen vorzunehmen? Was wäre nötig, um diese Verweigerungshaltung zu durchbrechen?
Sicherheit steht nach wie vor an vorderster Stelle bei den meisten Unternehmen. Mit den ersten Anzeichen einer Entspannung der Krise – verbesserte Konjunkturdaten in Europa, sinkende Renditen in den Peripherieländern – sollte auch die Investitionsbereitschaft der Unternehmen wieder ansteigen, wodurch der Liquiditätspuffer allmählich schrumpfen wird. Zusätzlich erleichtert das unverändert niedrige Zinsniveau einerseits die Investitionen und erschwert andererseits die Anlageentscheidung am Geld- und Kapitalmarkt.
Die Renditeerwartungen der Unternehmer sind mit 1,8 Prozent beinahe rührselig bescheiden geworden – wenn man bedenkt, dass 2009 noch mehr als 5 Prozent gefordert wurden. Selbst die zurechtgestutzten Erwartungen jedoch dürften sich mit kurzfristigen Anlagen schwerlich erfüllen lassen …
Die Studie arbeitet heraus, dass über drei Viertel der befragten Unternehmen überwiegend im Geldmarkt tätig ist – einem Marktsegment mit historisch niedriger Verzinsung. Wenn Unternehmen eine höhere Rendite als im klassischen Einlagengeschäft erzielen möchten, müssen sie – der Kapitalmarkttheorie folgend – bereit sein, längere Laufzeiten oder ein höheres Risiko einzugehen. Hierfür steht eine Vielzahl von Anlagemöglichkeiten zur Verfügung. Eine „Stellschraube“ zur Steigerung der Rendite stellt das Rating eines Emittenten dar. Statt die freie Liquidität in Form eines Festgeldes bei einer Bank anzulegen, könnte ein Unternehmen etwa Unternehmensanleihen oder Pfandbriefe kaufen. Wir beobachten auch, dass insbesondere Exporteure ihre Umsätze in Fremdwährung nicht unmittelbar in Euro tauschen, sondern zunächst auf einem Fremdwährungskonto belassen und als Festgeld anlegen. Diese grundgeschäftsbezogene Anlageform über die Veredelung eines solchen Fremdwährungsfestgeldes in Form eines Enhanced Deposit führt im Ergebnis zu einer sehr interessanten Verzinsung. Weitere, sehr beliebte Anlageprodukte sind Aktien und Aktienanleihen. Laut Studien nehmen diese nach Sichteinlagen und Festgeldern Rang drei bei den gängigsten Anlageinstrumenten ein. Wir beobachten außerdem Investments in die Assetklasse Rohstoffe in Form von Anleihen und Zertifikaten auf Rohstoffindizes. Aufgrund der negativen Korrelation des Rohstoffmarktes zum Renten- und Aktienmarkt bietet sich das aus Diversifikationsüberlegungen ja durchaus auch an.
Zuerst erschienen: „Creditreform“ 11/2013