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Creditreform

Jährlich 235 Millionen Euro extra für die Staatskasse – das verspricht sich die Bundesregierung von der jüngst beschlossenen Reform der Erbschaftssteuer. Der mittelständischen Wirtschaft bringt der neue Vorstoß aus Berlin vor allem eines: lang ersehnte Rechtssicherheit. Doch wie teuer wurde sie erkauft?  

Bislang waren selbst große Erbschaften komplett von der Steuer ausgeklammert, wenn dabei Betriebe übertragen wurden. Schließlich gelten Unternehmer und Unternehmen als Basis für unseren Wohlstand. Und Steuern – ganz gleich welche – sind grundsätzlich ein Hemmnis für Investitionen und damit für Wachstum und Arbeitsplätze.

Rein monetäre Erbschaften hingegen werden mit 16 Prozent versteuert.

Wenn jemand seiner Nichte überschaubare 100.000 Euro vermacht, fordert der Fiskus ohne Wenn und Aber 16.000 Euro Steuern.

„Und so kommt es, dass die Erbschaftsteuer dem Fiskus heute nur halb so hohe Einnahmen beschert wie etwa die jährlich anfallende Grundsteuer“, kommentiert das „Handelsblatt“.

Dschungel aus Verschonungsregeln bleibt bestehen

Eine Ungleichbehandlung, welche über kurz oder lang die Gerichtsbarkeit auf den Plan rief. Die Regierung musste gegensteuern und machte Vorschläge, die weite Teile der Unternehmerschaft gegen sie auf- und ungewöhnliche Allianzen hervorbrachten (wir berichteten).

So viel Lobbying habe sich ausgezahlt, resümmiert nun das „Handelsblatt“ mit Blick auf den jüngsten Entwurf von Mitte Juni: „Eine für alle Erben einheitliche Steuer wird in Deutschland nicht geben.“ Darauf hätten sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und CSU-Chef Horst Seehofer verständigt. Sofern auch die in zehn Ländern mitregierenden Grünen von der großkoalitionären Erbschaftsteuerreform überzeugt werden und sie den Plan im Bundesrat mitabsegnen, gebe es künftig „ein kaum noch durchschaubares Geflecht aus allgemeinen Verschonungsregeln, individueller Verschonungsbedarfsprüfung und Verschonungsabschlagsmodell, das die Herzen vieler Steuerberater höher schlagen lassen dürfte“.

Und was sagen Unternehmer …

Der Kompromiss sieht unter anderem vor, dass den Familienunternehmen, die Verfügungsbeschränkungen für ihre Gesellschafter vorsehen, ein Steuerabschlag auf den Firmenwert gewährt wird und so die Arbeitsplätze gesichert werden. „Gut ist, dass diese für Familienunternehmen so charakteristische Bindung des Kapitals im Unternehmen berücksichtigt wurde“, lobt ASU-Präsident Lutz Goebel, der auch im Creditreform-Magazin bereits Stellung bezogen hat. Der Unternehmer kritisiert jedoch, dass gerade große Familienunternehmen stärker als noch nach den ersten Gesetzesvorschlägen belastet werden sollen: „Gerade hier bauen die Gesellschafter doch das nötige Kapital über Generationen auf, indem sie sich vertraglich verpflichten, ihr Kapital im Unternehmen zu belassen und die Gewinne zu reinvestieren.“ Eine verschärfte Erbschaftsteuer dürfte hier mehr aufs Spiel setzen, als am Ende durch Steuereinnahmen gewonnen werden könnte.“

Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sieht den jüngsten Entwurf als Verschlechterung zum CDU-SPD-Kompromiss von Anfang Februar: Die selbstverständlich für einen Betrieb notwendigen Finanzmittel wie

  • Forderungen,
  • Barmittel und
  • Bankguthaben

würden in geringerem Umfang verschont, beklagt DIHK-Präsident Eric Schweitzer.

Ursprünglich wurden 20 Prozent dieser Mittel zum begünstigten Vermögen gerechnet, jetzt sollen es nur noch 15 Prozent sein.

Damit wird laut DIHK die ohnehin schon vorgesehene steuerliche Belastung bei Übertragungen von Familienunternehmen nochmals erhöht. „Die Unternehmen zahlen die Rechtssicherheit mit höheren Belastungen“, kommentiert Schweitzer.

… Unternehmensberater …

Das sehen die Unternehmensberater bei Rödl & Partner ähnlich: „Während nach geltendem Recht Verschonungsabschläge von 85 bis 100 Prozent möglich sind, wenn die Beschäftigung, gemessen an der Lohnsumme, gehalten und das Unternehmen nicht verkauft wird, droht nun ab einem Wert des übertragenen Unternehmens/Anteils von 26 Mio. Euro eine hohe steuerliche Belastung der Nachfolge“, rechnen sie vor. Für mittelgroße Unternehmen werde die bisherige Begünstigung schnell bis auf 0 abgeschmolzen, für große Unternehmen ab 90 Mio. Euro Übertragungswert komme eine Verschonung nur noch in Betracht, wenn die Erwerber eine Bedürftigkeit nachweisen.

„Je größer der wirtschaftliche Erfolg, je höher der Beitrag zur Beschäftigung und je mehr Steuern die Unternehmen in Deutschland zahlen, desto teurer wird künftig die Nachfolge“,

warnt Prof. Christian Rödl. „Wir schwächen dadurch unsere mittelständisch geprägten Weltmarktführer im internationalen Wettbewerb.

… Gewerkschaftler …

Die arbeitnehmernahe Hans-Böckler-Stiftung beurteilt derweil die soziale Ausgewogenheit des neuen Regierungsvorstoßes – und unter diesem Aspekt gingen die Änderungen noch „lange nicht weit genug“: Der gewachsenen sozialen Ungleichheit in Deutschland werde damit zu wenig entgegengewirkt: „Unter dem Strich bringt sie weitere Aufweichungen bei der Privilegierung von Betriebsvermögen“, kritisiert Katja Rietzler vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Konkret nennt sie unter anderem

  • die Investitionsklausel,
  • den Bewertungsabschlag für Familienunternehmen,
  • die voraussetzungslose zinslose Stundung im Erbfall sowie
  • die deutliche Absenkung des Kapitalisierungsfaktors.

Sogar Mindereinnahmen für den Staat hält sie für möglich –  ein harscher Kontrast zu den eingangs erwarteten Mehreinnahmen, die Siegmar Gabriel in Aussicht stellt.  „Angesichts des ohnehin geringen Aufkommens aus der Erbschaftsteuer ist das ein irritierendes Ergebnis der Reform“, findet die Forscherin.

… und Steuerberater?

Andreas Rohde und Klaus Altendorf, Steuerexperten und Partner bei der DHPG, kommentieren das Gesetzesvorhaben wie folgt:

 „Inhaltlich haben sich im Vergleich zu den letzten Entwürfen nur wenige Änderungen ergeben. So sinkt die Grenze für die Anwendung des Lohnsummenkriteriums nicht auf drei, sondern auf fünf Mitarbeiter ab.“

Geblieben sei die „wohl umstrittenste Neuregelung für die Behandlung von Großunternehmen“: Hier soll künftig eine erwerberbezogene Freigrenze von 26 Mio. EUR gelten. „Das ist aus unserer Sicht verfassungsrechtlich bedenklich und nach wie vor zu niedrig angesetzt“, heißt es bei DHPOG: „Bei diesen Unternehmen sollen entweder eine Bedürfnisprüfung unter einer systemwidrigen Einbeziehung des Privatvermögens oder ein Abschmelzmodell zur Anwendung kommen.“

Kurz vor Schluss ins Gesetz gekommen seie eine nach Auffassung der Steuerexperten „überfällige Änderun“g bei der Unternehmensbewertung: Das vereinfachte Bewertungsverfahren habe aufgrund des niedrigen Zinsniveaus zu erheblich überhöhten Unternehmenswerten geführt.

„Wir freuen uns über die politische Einigung in letzter Minute. Gerade für die betroffenen Unternehmen ist dies ein wichtiges Signal“, resümieren die Steuerprüfer. Inhaltlich befürchten sie jedoch, dass auch das neue Gesetz „nicht verfassungskonform“ sei: „Für alle Beteiligten ist dieser Zustand nach wie vor sehr unbefriedigend, aber wohl nur durch eine grundlegende strukturelle Änderung des Gesetzes zu ändern.“