Rund drei Viertel der Unternehmen in der Pharmaindustrie sind überzeugt, dass die Branche in einer strategischen Krise steckt. Das hat die Unternehmensberatung Roland Berger in ihrer Studie „Pharma’s fight for profitability“ herausgefunden. Der Grund für die sinkenden Margen sind Preis- und Kostendruck, regulatorische Veränderungen und auslaufende Patente.
„Die globale Pharmabranche steht vor einem wesentlichen Strukturwandel. Denn obwohl die weltweiten Umsätze der Pharmaindustrie in den vergangenen Jahren gestiegen sind, sind die Gewinnmargen deutlich gesunken“, sagt Michael Dohrmann, Partner von Roland Berger Strategy Consultants. „Eine Neuausrichtung der Geschäftsmodelle auf verschiedene Produkt-Markt-Konstellationen und deren Anforderungen ist daher sehr wichtig für den Unternehmenserfolg.“
Wachstum in Schwellenländern
So sind auch 78 Prozent der Studienteilnehmer der Meinung, dass Pharmakonzerne ihre Geschäftsmodelle an die neuen Marktanforderungen anpassen sollten. Dabei sollten die wachstumsstarken Schwellenländer den Investitionsfokus darstellen, denn diese werden bis 2016 für fast 40 Prozent des globalen Pharmamarktes verantwortlich sein. Eine Perspektive, die schon viele Pharma-Unternehmen teilen: Fast die Hälfte der befragten Konzerne sind bereit ihre administrativen Tätigkeiten, Forschungsaktivitäten und Vertrieb in Richtung Schwellenländer zu verschieben. Dazu schildern die Roland-Berger-Experten in der neuen Studie vier Konstellationen, die sich aus dem Markttyp (reifer Markt oder Entwicklungsmarkt) und Lebenszyklus der Produkte (etablierte oder innovative Produkte) ergeben.
Obwohl die Top-10-Pharmakonzerne zwischen 2009 und 2010 ihre Umsätze um rund 13 Prozent steigern konnten, fiel die EBIT-Marge im gleichen Zeitraum um fast vier Prozent. Das entspricht einem Gewinnverlust von 34 Milliarden Dollar. Die Gründe dafür liegen in der Entwicklung der reifen Märkte: „Pharmamärkte wie Europa oder die USA erleben eine Stagnation aufgrund des zunehmenden Preisdrucks, der regulatorischen Veränderungen im Gesundheitssystem und der schärferen Zulassungsbedingungen für neue Wirkstoffe „, erklärt Roland Berger-Stratege Martin Erharter. „Auf der anderen Seite erleben wir ein starkes Wachstum in den Schwellenländern, das allerdings geringere Margen abwirft und sehr stark durch nicht patentgeschützte Produkte getrieben ist.“
Kooperationen anstreben
Die Kosten für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten sind in den vergangenen zehn Jahren weltweit um mehr als 80 Prozent gestiegen. Auf der anderen Seite hat die Zahl der Produktneueinführungen um 43 Prozent abgenommen. Fast die Hälfte der befragten Unternehmen ist daher der Meinung, dass der Return-on-Investment (ROI) im F&E-Bereich eher negativ ist. Eine höhere Effizienz in den Forschungsbemühungen und stärkere Kooperationen mit Drittanbietern werden in Zukunft immer wichtiger.
Einen Ausweg aus dieser schwierigen Lage können die wachstumsstarken Schwellenländer bieten. Denn sie werden in den kommenden Jahren zum Wachstum des globalen Pharmamarktes maßgeblich beitragen. Wird der globale Markt für pharmazeutische Produkte bis 2016 durchschnittlich um nur 4,5 Prozent pro Jahr wachsen, so wird er in den Schwellenländern jährlich um fast zwölf Prozent zunehmen. Vor allem China, Brasilien, Indien und Russland wachsen überdurchschnittlich stark. Insgesamt erwarten die Roland Berger-Experten, dass die Schwellenländer bis 2016 einen Anteil von knapp 40 Prozent am globalen Markt für pharmazeutische Lösungen erreichen werden.
Strategisch planen
„Die zunehmende Kaufkraft der Bevölkerung in diesen Regionen, die wachsende Mittelschicht sowie ein verbessertes Gesundheitssystem führen zu einer höheren Nachfrage nach Medikamenten“, sagt Roland Berger-Partner und Co-Autor der Studie, Moris Hosseini. „Da wundert es nicht, dass viele Pharmakonzerne ihren Fokus zunehmend in Richtung Schwellenländer verschieben, um das erhebliche Wachstumspotenzial dieser Regionen besser nutzen zu können.“ So ergibt die neue Roland Berger-Umfrage, dass immer mehr Pharmakonzerne bereits planen, ihre Verwaltung (44 Prozent), ihre F&E-Aktivitäten (43 Prozent) und ihren Vertrieb (51 Prozent) in diese wachstumsstarken Länder zu verschieben.
Um erfolgreich auf dem umkämpften Markt zu agieren, müssen Pharmaunternehmen jedoch ihre Strategien überdenken. „Eine allgemein gültige Strategie gibt es nicht“, warnt Michael Dohrmann. „Vielmehr müssen Unternehmen in verschiedenen Dimensionen strategisch denken und planen. Da spielt es eine wesentliche Rolle, ob das Unternehmen auf einem reifen oder einem aufstrebenden Markt agiert und mit welchen Produkten es dort vertreten ist.“ (al)p>