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Lieferantenkredite sind ein wichtiges Finanzierungsinstrument. Oft beginnen Insolvenzen damit, dass Warenkreditversicherer ihre Deckungszusagen zurückziehen. Die Bundesregierung hat mit einem Schutzschirm vorerst eine wichtige Voraussetzung dafür geschaffen, dass sie weiterhin gewährt werden. Eine Dauerlösung ist das nicht.
Bis zum Ende dieses Jahres können Unternehmen aufatmen. So lange übernimmt der Bund eine Garantie für Entschädigungszahlungen der Kreditversicherer von bis zu 30 Milliarden Euro. Im Gegenzug überlassen die bislang beteiligten Versicherer Atradius, Coface, Euler Hermes, R+V und Zürich (Stand 27.05.2020) dem Bund 65 Prozent ihrer Prämien für 2020, tragen Verluste bis zu einer Höhe von 500 Millionen Euro selbst und übernehmen die Ausfallrisiken, die über die Bundesgarantie hinausgehen.
Die im April geschlossene Vereinbarung greift rückwirkend ab März und läuft bis zum Ende des Jahres. Ein wichtiger Schritt zur Sicherung der Liquidität in der Corona-Krise. Denn als Finanzierungsinstrument sind Lieferantenkredite alles andere als profan. Die Deutsche Bundesbank hat Bilanzen von deutschen Unternehmen für das Jahr 2017 ausgewertet.
Das Resultat: Während die Summe aller kurzfristigen Bankkredite 205 Milliarden Euro ergibt, beläuft sich das Volumen der Lieferantenkredite auf 337 Milliarden Euro. Für das Jahr 2019 spricht die Branche selbst von 411 Milliarden Euro, die sie abgesichert hat.
Ein weiterer Aspekt: Zieht der Versicherer seine Deckungszusage ganz oder teilweise zurück, gibt es Ware oft nur noch gegen Vorkasse – kaum machbar für Unternehmen. Daher leistet der Schutzschirm des Bundes einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Lieferketten. Oder, wie Finanzminister Olaf Scholz sagte: „Mit dem Schutzschirm sichern wir den Warenverkehr ab und sorgen so für einen reibungslosen Warenstrom, den wir gerade jetzt dringend brauchen.“
Kreditversicherer könnten mithilfe des Schutzschirms bestehende Deckungszusagen weiter aufrechterhalten und – trotz erheblich gestiegener Ausfallrisiken – neue übernehmen. Eine Chance für Unternehmen, die sich in der Krise verstärkt absichern wollen. Denn bei Warenkreditversicherungen gibt es noch reichlich Luft nach oben: Laut Creditreform nutzen bislang nur circa 40.000 deutsche Unternehmen diese Policen.
Doch gerade bei großen Mittelständlern und Konzernen spielen sie eine wichtige Rolle. Was Unternehmer zum Ausnahmezustand in der Warenkreditversicherung wissen sollten:
Wie läuft es ab, wenn ein Versicherer seine Deckungszusage ganz oder teilweise zurückzieht?
Ein einheitliches Vorgehen gibt es laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) nicht. Allen gemein ist: Die Versicherer haben die Bonität der Kunden ständig im Blick – in der aktuellen Lage mehr denn je. Dazu zählt, dass sie mit Auskunfteien wie Creditreform zusammenarbeiten, Bilanzen prüfen, BWAs und vieles mehr.
Auch die Erfahrungen der Versicherungsnehmer fließen in die Bewertung ein, erläutert Alexander Beuther, Abteilungsleiter Kredit bei R+V, mit einem Beispiel: „Stellen Sie sich vor, zehn Versicherungsnehmer haben alle denselben Abnehmer und einer meldet, dass der Kunde seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Auch wenn er in anderen Fällen noch zahlt, würden wir trotzdem die anderen warnen. In diesen Fällen reduzieren wir die Deckung oder heben sie ganz auf.“
Eine neue Lieferung wäre nach Zugang des entsprechenden Schreibens nicht mehr versichert. Ausnahme: Der Versicherungsnehmer hat eine vertragliche Lieferzusage getroffen, aus der er nicht herauskommt.
Bei Atradius, dem weltweit zweitgrößten Kreditversicherer, heißt es, der Versicherungsnehmer habe vertragsgemäß einen Vorlauf, wenn Deckungszusagen ganz oder teilweise zurückgezogen werden sollen. „Manche Entwicklungen sind im Vorfeld zu beobachten“, sagt Thomas Langen, Senior Regional Director Deutschland, Mittel- und Osteuropa bei Atradius. „Deshalb erhalten wir im Normalfall die Deckung nach einer Mitteilung noch 30 Tage lang aufrecht. Es sei denn eine Insolvenz steht unmittelbar bevor.“
Was bedeutet das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz für die Warenkreditversicherung?
Das Gesetz befreit von der Corona-Pandemie betroffene Unternehmen bis zum 30. September von der Pflicht, Insolvenz anzumelden. „Wir haben den Bedarf für ein solches Gesetz von Anfang an gut nachvollziehen können“, sagt Nils Hellberg, Abteilungsleiter Kreditversicherung beim GDV. „Gleichwohl wird es damit unmöglich, die Bonität einzelner Unternehmen nachzuvollziehen.“
Unter normalen Umständen als insolvent zu bewertende Unternehmen würden weiter am Geschäftsverkehr teilnehmen. Die Unsicherheit bei der Bewertung des wirtschaftlichen Zustands mache es den Kreditversicherern sehr viel schwerer, eine Einschätzung vorzunehmen.
Was bedeutet die Vereinbarung der Kreditversicherer mit der Bundesregierung für Unternehmen?
Jochen Böhm, Risk Underwriting Director bei Coface, betont, dass der Schutzschirm für warenkreditversicherte Kunden geschaffen wurde und nicht für die Versicherer selbst. „In unseren Gesprächen mit dem Bundeswirtschaftsministerium haben wir klargemacht, dass wir selbst nicht von einer Insolvenz bedroht sind. Aber wir haben Modelle, um uns selbst vor Liquiditätsengpässen zu schützen. Und die hätten vorgesehen, beträchtliche Summen an Deckungen aus dem Markt zu nehmen.“
Dank des Schutzschirms sei das abgewendet worden. Für Kunden ändere sich zunächst nichts, die bestehenden Verträge würden bedient. Das Abkommen sei aber kein Freifahrtschein für riskante Geschäfte: „Im Zuge des Abkommens ist es den Versicherern untersagt, Unternehmen zu stützen, die sich bereits vor Corona in einer Schieflage befanden“, stellt Böhm klar.
Was bedeutet die Garantie des Bundes für Auslandsgeschäfte?
Der GDV schätzt, dass es sich bei 40 Prozent der im Jahr 2019 abgesicherten 411 Milliarden Euro um Exportgarantien handelt. „Der Schutzschirm wendet sich an deutsche Versicherungsnehmer, auch an solche, die ihre Exportrisiken abgedeckt haben.
Importieren deutsche Abnehmer, profitieren sie nicht von diesem Modell, sondern sind auf ausländische Modelle angewiesen“, sagt GDV-Experte Nils Hellberg. Er wirbt dafür, dass andere EU-Länder ähnliche Garantien implementieren – bislang sei das nur selten der Fall.
Wie werden sich die Tarife entwickeln, wenn der Schutzschirm zum Jahresende ausläuft?
Bereits geschlossene Verträge bleiben weiterhin gültig, auch die vereinbarten Tarife. Auf diese haben die Situation und der Schutzschirm also keinen Einfluss. Doch bei Neuabschlüssen werden Kunden mit den Versicherern neu verhandeln müssen. Sie planen trotz des Abkommens nicht, die Prämien zu senken. Im Gegenteil. R+V-Abteilungsleiter Beuther rechnet mit einer massiven Zunahme an Insolvenzen im dritten und vierten Quartal des Jahres.
„Das Pricing ist in den vergangenen Jahren konstant gesunken“, sagt er. Die Preise hätten sich schon vor der Krise stabilisiert und stiegen jetzt aufgrund steigender Nachfrage und erhöhter Risiken an. Der Abteilungsleiter rechnet mit bis zu 30 Prozent höheren Prämien. „Wir werden das nicht allein durchsetzen können, die Tendenz ist aber auch bei anderen Anbietern spürbar.“
Und was passiert Ende 2020, wenn der Deal endet?
„Es zeichnet sich stark ab, dass die Krise zeitversetzt stattfindet“, sagt Jochen Böhm von Coface. „Die Insolvenzwelle wird sich nicht nur ins Jahr 2021 hineinziehen, sondern auch in eine Aufschwungphase. Die kommenden zwei bis drei Jahre haben wir sicher verstärkt mit Insolvenzen zu tun.“
Die Bundesgarantie für Warenkreditversicherungen beinhalte eine Option auf eine Verlängerung, über die drei Monate vor ihrem Ende verhandelt werden könne. „Falls Konsens unter den Verhandlungspartnern herrscht, kann diese Option gezogen werden. Falls nicht, müssen wir, je nach Risikoentwicklung, wieder stärker eingreifen, bestehende Limite einschränken oder ganz aufheben und sehr viel genauer bei der Übernahme neuer Risiken hinschauen“, so Böhm.
Atradius-Experte Langen sieht das anders: „Die schwierigste Phase sehen wir in den kommenden Wochen und Monaten als Folge des Lockdowns – die Talsohle werden wir im zweiten Quartal durchschreiten.“ Im dritten Quartal erwartet er einen langsamen Anstieg und im vierten ein deutliches Hochfahren der Produktion. „Ich gehe deshalb nicht davon aus, dass die Bundesgarantie noch einmal verlängert werden muss.“
Wozu Versicherer in der aktuellen Situation raten
Neben Warenkredit- und Forderungsausfallversicherungen empfiehlt Versicherer Atradius, seine Abnehmer so genau wir möglich einzuschätzen: „Wir haben eine historisch einmalige Entwicklung, die sehr dynamisch voranschreitet“, sagt Langen. „Viele Unternehmen haben ihre Umsatzbasis von einem Tag auf den anderen verloren.“
Bonität und Geschäftsmodelle gehörten also auf den Prüfstand. Und: Wie in der Finanzkrise lautet auch jetzt das Motto „Cash is King“. Der Experte empfiehlt daher, möglichst Vorkasse mit Neukunden zu vereinbaren. „Ein wichtiges Instrument sind auch Eigentumsvorbehalte. Im Falle einer Insolvenz ist ein Lieferant damit wesentlich besser aufgestellt als ohne.“
Was Kreditversicherer jetzt noch dürfen
Im Zuge der Bundesgarantie dürfen Kreditversicherer in den folgenden Fällen Limite senken oder aufheben:
Wenn Hinweise für eine signifikant gestiegene Insolvenzwahrscheinlichkeit vorliegen, etwa ein KfW-Kredit, der beantragt, aber nicht bewilligt wurde
Wenn ein Schaden gemeldet wurde
Wenn Limite nicht mehr gebraucht werden, zum Beispiel wegen einer Umsatzreduzierung
Wenn das Unternehmen unter Sanktionen steht, beispielsweise wegen Compliance-Verstößen