Die Themen reichten dabei von einer Analyse der päpstlichen Enzyklika „Caritas in veritate“ (lat. „Die Liebe in der Wahrheit“) über Vor- und Nachteile der Bankenunion bis zur von James Tobin vorgeschlagenen Finanztransaktionssteuer.
Die Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise hat viele dieser wirtschaftspolitischen Probleme ins Rampenlicht gebracht. Der Kurs Wirtschaftspolitik, gemeinsam von Kursleiter Ass. Prof. Dr. Richard Hule und Prof. Dr. Helmut Rödl und Dr. Michael Munsch, Vorstand Creditreform Rating AG, mit einem Seminarteil abgehalten, greift diese Fragestellungen auf und nimmt sie als Ausgangspunkt für eine theoretische und empirische Analyse. Wirtschaftspolitik ist nur am Biertisch einfach, sie wird komplex, wenn man tiefer und nachhaltiger sehen will. Einerseits ist eine klare Analyse der Fakten, Möglichkeiten und Rahmenbedingungen einer Fragestellung notwendig, was andererseits wiederum auf detailliertem Wissen und Verständnis über Institutionen und Mechanismen im Finanzmarkt aufbaut.
Dieses Verständnis für den Finanzmarkt wurde im Seminar von Helmut Rödl und Michael Munsch vermittelt: Ausgehend von der Bedeutung der Finanz- und Kapitalmärkte für die Unternehmensfinanzierung wird ein Verständnis für das Verhalten von Banken, Finanzdienstleistern, Unternehmen und Ratingagenturen aufgebaut.
Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Rolle von Kreditmanagement, der Bedeutung von Kreditinformationen und Ratings sowie dem Verhältnis von Unternehmen und Banken. Darauf aufbauend werden Veränderungen in den Kreditmärkten in den letzten Jahren diskutiert, die Entwicklung neuer Produkte, insbesondere von strukturierten Finanzierungen und Derivaten, die steigende Bedeutung von Hedgefonds und Ratingagenturen und vor allem Veränderungen im Informationsmanagement. Es ergeben sich Trade-offs zwischen Mikro- und Makroebene oder zwischen Effizienz und Stabilität, die durch die Finanzkrise beinhart aufgezeigt wurden. Mit der hervorragenden Grundlage des Seminars setzt die Vorlesung zwei theoretische Schwerpunkte. Der erste ist ein allgemeines Analyseschema, das das systematische Vorgehen unterstützen soll, die Modellierung als Spiel vorbereitet und speziell für wirtschaftspolitische Fragen geeignet ist. Ausgehend von einer Fragestellung wird als erstes nach den wichtigsten beteiligten Spielern und ihren Handlungsmöglichkeiten gesucht. Das beinhaltet natürlich schon Vereinfachungen und Reduktion der Komplexität, die aber auf das Untersuchungsziel zugeschnitten sein sollen. Im nächsten Schritt werden die Interessen der beteiligten Parteien untersucht, geht es doch bei Politik vornehmlich um den Ausgleich unterschiedlicher Interessen. Schlussendlich müssen die verschiedenen Trade-offs, die Vor- und Nachteile bestimmter Aktionen klar herausgearbeitet werden. In der Vorlesung wurde anhand dieses Analyserahmens dann konkrete Fragen im Zusammenhang mit der Krise bearbeitet: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit eines Austritts Griechenlands aus dem Euro; welche Prioritäten sollen unterschiedliche Ziele wie Budgetkonsolidierung, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und andere in der momentanen Krise haben; soll die EZB den Banken Liquidität zur Verfügung stellen?
Der zweite theoretische Schwerpunkt waren Spiele mit asymmetrischer Information, weil diese für das strategische Verständnis des Finanzmarktes zentral sind. Je nach Konstellation der Information kann es zu adverser Selektion, zu Moral Hazard oder zu Kosten bei der Verifizierung kommen. Ein wichtiges Beispiel aus der Diskussion der Ursachen der Krise ist der Moral Hazard, der durch systemisches Risiko ausgelöst wird. Wenn die Externalitäten beim Zusammenbruch eines wichtigen Players zu groß sind und am Ende die Stabilität des Finanzsystems gefährdet ist, dann weiß dieser Player, dass er gerettet wird, und kann dementsprechend ein höheres Risiko eingehen. Das verstärkt seinerseits die Krisengefahr, wodurch eine Regulierung des Marktes, wie zum Beispiel in den Maßnahmen von Basel III vorgesehen, begründbar ist.
Die Studenten hatten dann die Aufgabe, in einem kurzen Seminarpaper eine selbst gestellte Fragestellung zu bearbeiten. Julian Degan stellte sich in seiner Arbeit die Frage, ob der Papst der Wirtschaft etwas zu sagen hat. Dazu befasste er sich intensiv mit der päpstlichen Enzyklika „In caritas veritate“ und arbeitete daraus die Perspektive und Lösungsansätze des Papstes heraus. Trotz Skepsis bezüglich „idealistischer“ Vorstellungen, dass Liebe im weitesten Sinn zu mehr Vertrauen und Regeleinhaltung und damit auch zu einer Lösung von Moral Hazard Problemen führen kann, glaubt Degan doch, dass moralische und ethische Faktoren in Märkten eine wesentliche, oft unterschätzte Rolle spielen. Handfestere, aber nicht weniger wichtige Themen stellten sich Matthias Praxmarer, der auf Probleme einer Bankenunion einging, und Tobias Mikula, der die ökonomische Sinnhaftigkeit einer europäischen Tobin-Steuer untersuchte. Vor dem Hintergrund der Krise kamen beide zum Ergebnis, dass sowohl die Bankenunion als auch eine Finanztransaktionssteuer einen Schritt zur Reform des Finanzsystems in Richtung Stabilität darstellen können. Allerdings können sie höchstens ein Beitrag sein, wobei die Wirkung wesentlich von der institutionellen Gestaltung beeinflusst wird.
Die Qualität der Arbeiten bestätigte wieder einmal das dem Kurs zugrunde liegende Konzept einer Kombination von Theorie, Empirie und ökonomischem Verständnis. Die Lösung der Finanzkrise wird noch einige schwierige wirtschaftspolitische Entscheidungen erfordern – es ist zu hoffen, dass sie nicht von politischen Zufällen geprägt, sondern wohlfundiert, eben wissenschaftlich getroffen werden.