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Gewaltfreie Kommunikation

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Schon in den 1960er-Jahren setzte sich der US-amerikanische Psychologe Marshall B. Rosenberg mit Konflikten auseinander und entwickelte eine Methode zu ihrer Lösung. Mittlerweile hat die sogenannte Gewaltfreie Kommunikation ein Update erfahren. Führungskräfte meistern mit ihrer Hilfe selbst Trennungsgespräche erfolgreich.

 

Leere Worte hören die knapp zwei Dutzend Mitarbeiter in Claudia Seljes Team in der Regel nicht. Die Führungskraft weiß auch mit Vorwürfen, Anschuldigungen und Wutausbrüchen umzugehen. Die Regionalleiterin bei Bautrocknung Matter geht auf die Gefühle und Bedürfnisse ihres Gegenübers ein – ebenso auf ihre eigenen.

Ein wertschätzendes Gespräch entsteht, in dem sich selbst „schlechte“ Nachrichten einfacher überbringen lassen. Dafür nutzt die Führungskraft eine Methode des US-amerikanischen Psychologen Marshall B. Rosenberg: die Gewaltfreie Kommunikation (GFK).

 

Kontroverse Themen friedlich besprechen

Entwickelt Anfang der 1960er-Jahre, verwirrt zunächst der Begriff „gewaltfrei“, der an physische Auseinandersetzungen denken lässt. Doch darum geht es meist nicht. Rosenbergs Konzept zielt darauf ab, den Bedürfnissen und Gefühlen von Gesprächsteilnehmern Raum zu geben. Das wirkt hitzigen Debatten entgegen – selbst kontroverse Themen können friedlich besprochen werden.

 

Austausch auf Augenhöhe

Zu abstrakt? Selje berichtet von einem Gespräch, in dem sie einen Mitarbeiter auf eine Stelle mit weniger Verantwortung versetzte. „In so einem Führungsgespräch kann ich die schönsten Worte sagen. Die kommen aber nur an, wenn sich der andere auf Augenhöhe fühlt“, sagt die Regionalleiterin. „Gelingt eine echte Verbindung, kann ich kommunizieren: Ich bin traurig darüber, dass ich dir das sagen muss.“

 

Spannungen gemeinsam lösen

Auch der ­Gesprächspartner kann besser ­zeigen, was er fühlt und braucht. Spannungen können auf diese Weise gemeinsam gelöst werden. Resultat von Seljes Gespräch: Der Mitarbeiter, der zuvor häufiger wegen Überlastung ausgefallen war, begriff die Versetzung auch als Chance.

Wie das funktioniert? Bei der GFK kommt es auf vier Unterscheidungen an:

Beobachtungen versus Bewertungen
Bleiben wir bei dem Beispiel Versetzung eines Mitarbeiters und betrachten dessen mögliche Sichtweisen. Die Beobachtung ist: „Ich werde versetzt.“ Die Bewertung: „Meine Arbeit wird im Unternehmen nicht geschätzt.“

Gefühle versus Gedanken
„Ich bin verletzt“ versus „Ich fühle mich veräppelt“.

Bedürfnis versus Strategien
„Das trifft meinen Selbstwert“ versus „Ich brauche eine Führungsposition“.

Bitten versus Forderungen
Bei einer Bitte kann das Gegenüber eigene Vorschläge einbringen, eine Forderung kann nur angenommen oder abgelehnt werden. In dem Versetzungs-Beispiel könnte der Mitarbeiter so kommunizieren: „Ich möchte meine Leistung verbessern. Würden Sie mich mit einer Fortbildung unterstützen?“ So hat die Führungskraft die Chance, sich zu überlegen, wie das ausschauen könnte, und etwa eine Fortbildung anzubieten.

 

Selbstververantwortung übernehmen

Voraussetzung für die GFK ist, Verantwortung für die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu übernehmen. „Konflikte entstehen, wenn wir unsere Gefühle auf andere projizieren“, sagt Kommunikationstrainer Markus Fischer. Das könne zu Wut führen und zu Ausfälligkeiten im Gespräch. Nicht okay, sagt Fischer: „Wir neigen dazu, Verantwortung für unsere Gefühle und unerfüllte Bedürfnisse wegzuschieben. Dabei bin ich selbst für meine Reaktionen verantwortlich.“

 

Feedback- und Konfliktkompetenz

Verantwortung für die eigenen Bedürfnisse und Gefühle zu übernehmen, setzt wiederum voraus, dass man sie kennt und wahrnimmt. In ihren Workshops zur Feedback- und Konfliktkompetenz motiviert Trainerin Maya Biersack, diese Wahrnehmung mit Gefühlslisten zu üben: „Erfüllte Bedürfnisse verursachen beispielsweise Freude, Zuversicht und Dankbarkeit. Unerfüllte Bedürfnisse können stressen, verärgern und Ängste verursachen.“

 

Wurzeln in der Kindheit

Die Wahrnehmung der eigenen Bedürfnisse und Gefühle kann Teil einer längerfristigen Persönlichkeitsentwicklung sein. Denn: Die Gründe dafür, warum wir was in welcher Situation brauchen und fühlen, liegen häufig in unserer Kindheit.

 

Trigger erkennen

Dass es sich lohnt, so tief einzutauchen, weiß Friedrich Witek. Die GFK hilft dem Senior Manager des Anlagenbauers SENTECH, die familieninterne Unternehmensnachfolge zu meistern: „Wenn ich in Konfliktsituationen komme, habe ich Angst wie als Schuljunge, der von der Clique ausgeschlossen werden könnte “, sagt der 32-Jährige.

Dahinter stecke das Bedürfnis nach Gemeinschaft und Selbstwert. „Nimmt die Angst überhand, kommen Trotz und Wut dazu. Keine Grundlage für eine gute Zusammenarbeit von Erwachsenen.“ Er führe bessere Gespräche, seitdem er weiß, was ihn in einer solchen Situation triggert: „Wenn ich den Mangel verstehe, kann ich empathisch mit mir selbst umgehen und mir eine andere Strategie suchen, statt laut zu werden.“

 

Wertschätzender Austausch

Die GFK ermöglicht einen wertschätzenden Austausch – selbst dann, wenn die eigenen Bedürfnisse dem widersprechen, was das Gegenüber braucht. Ein anderes Versetzungsgespräch von Claudia Selje verlief nicht so glimpflich, die Mitarbeiterin fühlte sich degradiert.

Die Führungskraft sagte daraufhin: „Ja, deine Versetzung ist eine Degradierung, ich möchte, dass du weniger Verantwortung trägst. Für die jetzige Stelle fehlen dir die Skills.“ Mittlerweile habe sich die Mitarbeiterin vom Unternehmen getrennt. Auch das verlief friedlich: „Wenn sie sich mehr zutraut, ist es ihr gutes Recht zu gehen. Ich sagte ihr: Ich bedauere deine Entscheidung, aber ich kann sie verstehen.“