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Im Mai und Juni bieten, je nach Bundesland, einige Feiertage die perfekte Chance für einen Kurztrip. Christi Himmelfahrt nach Friesland, Pfingsten nach Polen und Fronleichnam in die Lombardei? Drei Geheimtipps für Kurzentschlossene.
Leeuwarden – Zu Gast bei Friesen
Von Backsteinbauten gesäumte Grachten, mit Blumen geschmückte Brücken, kleine Cafés an den Straßen und rundherum Fahrräder. Das ist eindeutig Amsterdam. Stimmt. Aber eben auch Leeuwarden, Hauptstadt der Provinz Friesland ganz im Norden der Niederlande. Stolz, historisch, schön – und doch weitgehend unbekannt.
Wenn deutsche Touristen in Westfriesland urlauben, dann eher auf den Nordseeinseln wie Terschelling und Ameland oder am Ijsselmeer. Leeuwarden, rund 30 Kilometer von der Küste entfernt, lassen die meisten links liegen. Spätestens jetzt will die Stadt das ändern. Als Kulturhauptstadt Europas 2018, gemeinsam mit Valetta auf Malta, erwarten die Veranstalter im laufenden Jahr rund 1,4 Millionen Besucher – mehr als das Zehnfache der Einwohnerzahl Leeuwardens.
Groß waren Überraschung und Skepsis, als der Zuschlag nach Friesland ging und die Stadt bekanntere nationale Mitbewerber wie Den Haag, Eindhoven und Maastricht aus dem Rennen geworfen hatte. Doch die Friesen sehen dem Kulturhauptstadtjahr offen entgegen. Das Motto lautet „iepen mienskip“, was auf Friesisch so viel bedeute wie „offene Gemeinschaft, für einander da sein“, erklärt Radboud Droog.
Und diese Offenheit ist wörtlich zu nehmen. Der 46-Jährige ist einer von rund 200 Einheimischen, die bei der Aktion „Leen en Fries“ teilnehmen. Täglich bis zum Jahresende können Besucher einen Friesen oder eine Friesin für ein paar Stunden ausleihen. „Das ist eine Initiative der friesischen Büchereien“, sagt Droog.
Die Aktion soll Menschen für einen Tag oder ein paar Stunden zusammenbringen. Sei es während einer Kneipentour durch die Altstadt, bei einer Kanutour auf der Stadtgracht oder beim Shoppen in den Boutiquen der Kleinen Kerkstraat, die schon mehrmals als schönste Einkaufsstraße der Niederlande ausgezeichnet wurde. Europa soll erfahren, was Friesland alles zu bieten hat, lautet ein Ziel der Kulturhauptstadt.
Und zwar mehr als Grachten, grüne Weiden und schwarz-weiß gefleckte Kühe. Droog verantwortet als Pressesprecher die Kommunikation rund um Leeuwarden 2018. „Wir möchten etwas verändern. Und das mit einer ausgestreckten Hand gegenüber jedem, der etwas beitragen oder dazulernen möchte.“
Die Chancen stehen gut, dass das gelingt. Besser jedenfalls als im 16. Jahrhundert beim Bau des Oldehove, einem unvollendeten Kirchturm im Zentrum. Um die Bedeutung ihrer Stadt zu unterstreichen, dachten sich die Leeuwardener damals: Wir bauen die größte Kirche der Niederlande mit einem 100 Meter hohen Turm, sozusagen die friesische Antwort auf den Kölner Dom.
Doch noch während der Bauarbeiten begann das Fundament abzusacken, die Kirche wurde nie vollendet. Ebenso wenig der nur 40 Meter hohe Backsteinturm. Er neigt sich bis heute bedrohlich zur Seite – und erinnert statt an Köln dann doch eher an Pisa.
So schnell sind Sie in Leeuwarden:
Mit dem Flugzeug: nach Amsterdam Schiphol, von dort mit dem Mietwagen in eineinhalb Stunden weiter nach Leeuwarden
Mit dem Auto: circa 3 Stunden aus Hannover, Hamburg, dem Rheinland und dem Ruhrgebiet
Mit der Bahn: circa 4 Stunden ab Düsseldorf, 6 Stunden ab Frankfurt a. M.
Wrocław – Geballte Geschichte
Das polnische Wrocław ist dem friesischen Leeuwarden zwei Jahre voraus – zumindest in Sachen Kulturhauptstadt. 2016 durfte die Stadt an der Oder, den Titel tragen. Aktuell schmückt sie sich mit der Auszeichnung „Bestes europäisches Reiseziel 2018“. Bei einer Online-Abstimmung der Tourismus-Organisation „European Best Destinations“ votierten mehr als 41.000 Nutzer für Wrocław. Warum?
Vielleicht weil die Stadt in ihrer mehr als 1.000-jährigen Geschichte so viel erlebt hat wie kaum eine andere in Polen? Oder weil es den Bürgern gelungen ist, die im Zweiten Weltkrieg zerstörten Straßen, Häuser und Plätze mustergültig wieder aufzubauen?
Liegt es am Charme der vom Flusslauf durchzogenen Stadt mit ihren zwölf Inseln und mehr als 100 modernen und historischen Brücken – einer Kombination, die Wrocław immerhin den Beinamen „Das Venedig Polens“ einbrachte. Oder sind es zu guter Letzt die Menschen? Ganz sicher spüren Besucher in Wrocław, dass die Vergangenheit zwar präsent, aber der Blick vor allem nach vorn gerichtet ist.
Das macht es deutlich einfacher, die Stadt zu entdecken. Denn angesichts der jüngeren Kapitel ihrer Geschichte könnte auch durchaus Beklommenheit aufkommen, wie die Ausstellung „1000 Jahre Wrocław“ im Historischen Museum im Stadtschloss vor Augen führt. Ende des 19. Jahrhunderts, sie hieß damals noch Breslau, war sie die drittgrößte Stadt Deutschlands – nach Berlin und Hamburg.
Während des Zweiten Weltkriegs war sie eine Hochburg des NS-Regimes. Umso radikaler der Umbruch nach Kriegsende. Rund 300.000 deutsche Bürger wurden vertrieben. An ihrer Stelle kamen Menschen aus Ostpolen, die nach der Annexion der Sowjetunion ihre Heimat verlassen mussten.
Mehr als 70 Jahre später gilt Wrocław als liberale Hochburg in Polen und setzt auf die europäischen Ideen von Verständigung und Toleranz. Gut sichtbares Zeichen des freien Geistes sind auch die vielen Zwerge, die als gut 30 Zentimeter hohe Bronzefiguren an allen Ecken der Stadt zu finden sind, an Fassaden klettern oder auf Fensterbänken hocken.
Einst erfunden von politischen Künstlern, wurden sie Ende der 1980er-Jahre während der „Revolution der Zwerge“ zum Symbol der Freiheitsbewegung gegen die Kommunistische Partei. Heute sind die Wichte eine beliebte Touristenattraktion mit eigener Website (www.krasnale.pl). Mehr als 230 sind es schon und immer wieder kommen neue hinzu. Sie alle an einem Wochenende zu entdecken – trotz GPS-Ortung so gut wie unmöglich.
So schnell sind Sie in Wrocław:
Mit dem Flugzeug:zum Flughafen Wrocław Airport, von dort mit der Bahn gut 50 Minuten bis ins Stadtzentrum
Mit dem Auto: ca. 3 Stunden ab Dresden, 4 Stunden ab Leipzig und Berlin
Mit der Bahn: Bis Ende 2018 verkehrt am Wochenende der „Kulturzug“ der DB in knapp 4 Stunden von Berlin über Cottbus nach Wrocław. Eine einfache Fahrt kostet 19 Euro
Bergamo – „Verehrungswürdige Unbekannte“
Touristen, die auf dem Orio al Serio International Airport landen, zieht es meist nach Mailand oder zum Gardasee. Bergamo, die Stadt, auf deren Gebiet der Flughafen eigentlich liegt, lassen sie dabei links liegen. Dorthin reisen vor allem Geschäftsleute.
Die Region Lombardei mit Bergamo im Zentrum erwirtschaftet gut ein Fünftel des italienischen Bruttoinlandsprodukts. War es früher die Textilbranche, insbesondere mit hochwertigen Seidenstoffen, die den Wohlstand der Stadt sicherten, dominieren heute Stahl- und Maschinenbau, Chemie und Forschung.
Und doch ist Bergamo keine reine Industriestadt und weit mehr als eine Ansammlung von Gewerbegebieten. Der Name bedeutet so viel wie „Heim am Berg“ und beschreibt eine städtebauliche Besonderheit. Die Città Alta, die Oberstadt, liegt auf einem Alpenausläufer, umgeben von einer fast sechs Kilometer langen Stadtmauer aus dem 16. Jahrhundert.
Die Stadt prosperierte und weil die Hügellage keine Erweiterung zuließ, bauten die Menschen im 19. Jahrhundert in der Ebene eine Unterstadt, die Città Bassa – beide verbunden durch kurvenreiche Straßen, Treppen und Standseilbahnen.
Wer sich heute in die autofreie Oberstadt begibt, betritt eine andere Welt. Sie steht komplett unter Denkmalschutz, die umgebende Mauer gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. Nach wenigen Schritten in Richtung Zentrum, gut zu erkennen am mächtigen Glockenturm Torre Civica, erreichen Besucher unweigerlich die Piazza Vecchia.
Die sie umgebenden Palazzi stammen aus dem 19. Jahrhundert, aber auch Elemente aus dem Mittelalter, der Renaissance und dem Barock sind zu finden. Der Architekt Le Corbusier soll von dem Altstadtensemble so begeistert gewesen sein, dass die Bergameser ihm die Aussage zuschreiben, die „verehrungswürdige Unbekannte“ sei so perfekt, dass kein Stein mehr verändert werden dürfe.
Neben der Wucht der Altstadt-Architektur und einem Spaziergang bei Sonnenuntergang auf der Stadtmauer sollten sich Bergamo-Besucher ein weiteres Highlight nicht entgehen lassen: eine Kugel Original-Stracciatella-Eis. Denn diese beliebte Eiscremesorte wurde Ende der 1960er-Jahre in der Pasticceria La Marianna, unweit der Seilbahnstation San Vigilio, erfunden – und wird vom Enkel des Erfinders heute immer noch genauso hergestellt und verkauft.
So schnell sind Sie in Bergamo:
Mit dem Flugzeug: zum Flughafen Bergamo-Milano (Orio al Serio), von dort mit dem Bus in 20 Minuten ins Stadtzentrum
Mit dem Auto: 5-6 Stunden ab Freiburg, Stuttgart und München