Die Krawatte erlebt einen Abschied auf Raten: Immer mehr Manager legen sie ab – tot ist sie aber noch lange nicht. Wie Herren die Krawatte richtig tragen oder sie stilvoll weglassen.
Mit jeder Revolution entledigen sich die Menschen eines Sinnbilds der alten Zeit: 1830 warfen die Revoluzzer des Wartburgfests einen preußischen Soldatenzopf in die Flammen, die Chinesen schnitten sich 1911 ihre traditionellen Zöpfe ab, nachdem sie ihren Kaiser gestürzt hatten. Beide Arten von Zöpfen waren Symbole für überholte Konventionen – genauso wie heute die Krawatte. Die aktuelle Revolution ist digital, das Silicon Valley programmiert unsere Zukunft und die Krawatte gilt als Accessoire der Wirtschaftslenker von vorgestern. Dabei erfüllt sie stilistisch eine wichtige Funktion: Sie ist der einzige Farbtupfer im klassischen Businessoutfit. Sie abzulegen, ist daher ein auffallendes Statement – genauso, wie sie bewusst anzuziehen. Daher gilt es, beides mit Augenmaß zu machen. Vier Experten erklären, worauf Herren jeweils achten sollten.
Die Krawatte tragen
Farbe: Der Düsseldorfer Modedesigner Thomas Rath mahnt an, die Farbe der Krawatte stets passend zum Typ zu wählen: „Die Krawatte muss einen Teint strahlen lassen“, sagt er. „Männer mit einer dunkleren, olivfarbenen Haut können etwa gut Krawatten in Rosé- und Rottönen tragen. Zum kalkig-weißen norddeutschen Typ passen eher Blauschattierungen.“
Muster: Die Krawatte sollte kleingemustert sein – sei es ein kleines Karo-, Pünktchen oder Jacquardmuster. Der Grund: „Das ist nicht so plakativ und lautschreierisch“, sagt Rath. Seine Empfehlung: Statt durch einen Aufdruck sollte sich das Muster aus dem Gewebe ergeben. „Das sorgt für einen wertigeren Eindruck.“
Stoff: Das Material kann von Polyesterseide bis hin zur reinen Seide gehen. „Das ist eine Frage des Geldbeutels“, sagt Rath.
Knoten: Hier raten die Experten zum einfachen Four-in-Hand-Knoten – und keinesfalls zum Windsorknoten. Der Geschäftsführer der Berliner Krawattenmanufaktur Auerbach, Jan-Henrik M. Scheper-Stuke, findet: „Er ist er nicht mehr zeitgemäß.“ Bernhard Roetzel, Autor des Ratgebers „Der Gentleman“, sieht ein anderes Problem: „Sowohl der einfache als auch der der doppelte Windsorknoten wirken viel zu dick und zu klobig.“
Breite: Gängig sind aktuell 7,5 Zentimeter an der breitesten Stelle. Scheper-Stuke macht jedoch deutlich: „Das Verhältnis von Körperbreite und Krawattenbreite muss stimmig sein.“ Grundsätzlich sollten sich Herren an den folgenden Werten orientieren:
Bei besonders großen oder breiten Herren rät Scheper-Stuke zur Maßkrawatte.
Hemd: Zur Krawatte passt stets ein weißes Hemd. „Das wirkt immer frisch“, findet Thomas Rath. Skeptisch ist er bei hellblauen Hemden: „Das sieht spießig aus, es passt nicht zum hellen deutschen Typ.“
Einstecktuch: Dieses sollte zum Gesamtbild passen – aber keinesfalls das gleiche Muster und das gleiche Material wie die Krawatte aufweisen. „Das bringt Spannung ins Outfit – alles andere ist spießig“, sagt Rath. Grundsätzlich gilt: Ein weißes Einstecktuch geht immer.
Das Outfit ohne Krawatte
Blazer: Wer die Krawatte ablegt, sollte auch auf einen Anzug verzichten, findet Stilexperte Bernhard Roetzel: „Der Anzug wurde dafür erfunden, mit einer Krawatte getragen zu werden.“ Daher empfiehlt er eine Kombination aus Sakko und Hose. Er rät etwa zu einem dunkelblauen Baumwoll- oder Leinensakko oder zu einem braunen oder grünen Tweedjacket.
Hemd: Wer die Krawatte weglässt, möchte eine legere Attitüde transportieren. Der Leiter des Deutschen Mode-Instituts in Köln, Gerd Müller-Thomkins, mahnt allerdings an: „Diese Lässigkeit ist nicht mit Nachlässigkeit zu verwechseln.“ Das Hemd rückt nun in den Fokus und muss die Formalität wiederherstellen – etwa mit einem hochwertigen, veredelten Stoff, Umschlagmanschetten und Manschettenknöpfen.
Hemdfarbe: Auch hier geht weiß immer. Ohne Krawatte kann es getrost auch gemustert sein. „Aber bitte dezent“, sagt Scheper-Stuke. „Zum Beispiel feine Streifen, kleine Karos, Hahnentritt oder ein Muster, das sich aus dem Gewebe ergibt.“
Kragen: Die fehlende Förmlichkeit können steife, hohe Kent- oder Haifischkrägen ausgleichen. „Diese haben die notwendige Dominanz, um das Vakuum aufzufüllen, das die Krawatte hinterlassen hat“, sagt Müller-Thomkins. Scheper-Stuke findet hier Button-Down-Hemden ideal: „Diese werden ohnehin nie mit Krawatte getragen.“ Genau darum befinden sich hier auch die Knopflöcher am Kragenende. „Der Kentkragen springt ohne Krawatte gerne über den Blazer. Die Knöpfe sorgen dafür, dass der Kragen da bleibt, wo er ist.“
Offene Hemdknöpfe: Je nach Anlass sollte nur der oberste Hemdknopf geöffnet sein – oder höchstens auch der zweite. Vielen Männern falle es schwer, sich hier zurückzuhalten, weiß Müller-Thomkins: „Gerade der jugendlich erscheinen wollende Mann neigt zum weiten Ausschnitt. Das kennen wir von den T-Shirts, deren Ausschnitte immer größer werden.“
Einstecktuch: Dieses bietet sich ohne Krawatte umso mehr an, um die verloren gegangene Formalität wiederherzustellen.
Pullover: Gerade im Winter lassen sich ohne Krawatte gut Pullover, Strickjacken oder Pullunder unter dem Blazer tragen. Der Vorteil beim Pullunder: „Das gibt weniger Volumen in den Ärmeln“, sagt Scheper-Stuke. Bei Pullovern ist ein V-Ausschnitt wichtig: „Ein runder Kragen ist zu sportlich.“
Hose: Sie sollte auf jeden Fall eine andere Farbe aufweisen als das Sakko. „Sonst sieht das aus wie ein schlecht kombinierter Anzug“, sagt Roetzel. Zu einem dunkelblauen Sakko passt etwa eine beige, hellbraune, graue, olivgrüne oder eine Khaki-Hose. Grundsätzlich können Männer zu einer Chino greifen – oder im Winter zu einer Flanell- oder Cordhose.
Sollte das etwa ernst gemeint sein? Pauschal Krawattenbreite direkt proportional zur Leibesfülle? Blasser Teint = Pastelltöne? Und überhaupt die Kunst, den Krawattenknoten richtig zu binden? Die Aussage, der Windsorknoten sei einfach nur klobig erinnert mich an den Fuchs, für den die Trauben zu hoch hängen. Es ist halt nicht jedem gegeben und ein wenig Übung ist für viele schon eine Zumutung. Es gibt Anlässe und Tätigkeiten, da wird angemessene Kleidung erwartet. Einen Arzt würde man im Blaumann ebenso ernst nehmen, wie den Mechaniker im weißen Kittel. Kleidung ist auch ein Ausdruck von Respekt, den man dem Gesprächspartner gegenüber zum Ausdruck bringen möchte. Wenn man das natürlich nicht in Erwägung zieht, dann ist man mit diesem Leitfaden einigermaßen ordentlich bedient – allerdings nicht angezogen…
Ich mag keine pauschalen Äußerungen und besonders keine Verkünder von neuen, selbsterfundenen Regeln.