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Hören Sie zu, wenn der Körper spricht. Denn er hat mitunter mehr zu sagen als der Kopf. Somatisches Coaching verschafft ihm Gehör und hilft, Denk- und Bewegungsmuster zu verändern.
Die Schultern nach vorne gezogen, die Nackenmuskulatur angespannt, das Kinn leicht vorgereckt – sobald die Rede auf seinen Chef kam, konnte Sabine Grosser ihrem Klienten die innere Abwehr körperlich ansehen. Trotz Fachkompetenz und langjähriger Erfahrung fühlte sich der Projektleiter eines internationalen Unternehmens chronisch gestresst.
Das Arbeitspensum schien nicht mehr zu bewältigen. Von der Zusammenarbeit mit Sabine Grosser erhoffte er sich endlich einen Ausweg aus der erdrückenden Situation.
In ihrem Institut für körperorientiertes Selbstmanagement (IKOS) in Düsseldorf arbeitet sie als sogenannter somatischer Coach regelmäßig mit Unternehmern und Führungskräften. „Coaching zielt darauf ab, unerwünschtes Verhalten nachhaltig zu verändern“, sagt Grosser.
Doch das ist oft leichter gesagt als getan. Um nicht laufend in dieselbe Falle zu tappen, müsse man kontraproduktive Denk- und Bewegungsmuster zunächst einmal erkennen. Im Dialog mit ihren Klienten achtet Grosser deshalb auf verräterische Sprachmuster wie „Ich muss doch …“, „Ich kann nicht …“, „Ja, aber …“.
Noch aufschlussreicher als die Beschreibung einer Beziehung oder Situation sind für sie jedoch nonverbale Signale. Die unbewusste Abwehrreaktion des gestressten Managers zeigte ihr zum Beispiel schnell, dass es in der Beziehung zum Vorgesetzten Probleme gab.
Das Gedächtnis im Bauch
Somatische Coaches wie Sabine Grosser sind darin ausgebildet, spontane körperliche Impulse wahrzunehmen und in ihre Arbeit einzubeziehen. „Unser Verhalten wird nicht nur geprägt von bewussten Erinnerungen, sondern auch von unbewussten, auf körperlicher Ebene abgespeicherten Erfahrungen“, erklärt sie.
Somatisches Coaching: Was ist das?
„Somatisch“ leitet sich vom griechischen Wort „soma“ her und bezieht sich auf den spürenden und spürbaren Körper. Somatisches Coaching zielt mit bestimmten Methoden und Techniken darauf ab, eine bessere Selbstwahrnehmung zu entwickeln, einschränkende automatische Handlungen und Bewegungsmuster zu identifizieren und neue gesunde Verhaltensweisen zu erlernen.
Hirnforscher sprechen von somatischen Markern, die spontan und unbewusst körperliche Empfindungen auslösen. Wie stark uns das Körpergedächtnis beeinflusst, zeige sich bereits an vielen Redewendungen:
Negatives schlägt uns sprichwörtlich auf den Magen, schnürt uns die Kehle zu, lässt uns das Blut zu Kopf steigen oder sitzt uns im Nacken. Positive Marker sorgen für wohliges Kribbeln im Bauch oder lassen es uns warm ums Herz werden.
Noch vor Tausenden Jahren half das Körpergedächtnis den Menschen mit seinen blitzschnellen Reaktionen beim Überleben. Im modernen Berufsleben empfinden es viele dagegen eher als Störfunk: Negative Empfindungen wie Angst, Stress, Ärger oder Erschöpfung werden lieber ignoriert und unterdrückt, anstatt sie sich bewusst zu machen und nach möglichen Ursachen zu suchen.
Ein permanenter Kraftakt, der unnötig Energie koste und schlimmstenfalls sogar krank mache, warnt Sabine Grosser. „Viele meiner Klienten im Einzelcoaching kommen wegen einer Stress-Problematik“, sagt sie.
Entspannter auftreten
So auch der Projektleiter, der sich über viele Jahre in der Organisation seines Arbeitgebers aufgerieben hatte. Nachdem Grosser ihn auf seine körperliche Abwehrhaltung angesprochen hatte, wurde ihm bewusst, dass er gegenüber seinem Vorgesetzten einen permanenten Rechtfertigungsdruck verspürte. Nicht unbedingt, weil sein Chef Unmögliches von ihm verlangte, sondern weil er als Projektleiter seinen eigenen hohen Ansprüchen nicht gerecht werden konnte.
Im Coaching lernte er, im wahrsten Sinne des Wortes entspannter aufzutreten. „Heute delegiert er viel mehr als früher, auch wenn die Projektmitarbeiter teils andere Prioritäten setzen und nicht alles bis ins letzte Detail genauso perfekt umsetzen wie er“, berichtet Grosser. Seinem Chef sage er inzwischen ohne schlechtes Gewissen, wenn beispielsweise eine Deadline zu knapp oder eine Vorgabe nicht umzusetzen ist.
Um gewünschte Verhaltensänderungen nachhaltig zu verankern, werden beim somatischen Coaching zudem Körper und Bewegung mit einbezogen. Sabine Grosser nutzt bevorzugt die Alexander-Technik, eine Methode, die darauf abzielt, Gewohnheiten – vor allem körperliche Fehlhaltungen – zu erkennen und zu verändern.
Mit ihrem Klienten trainierte sie eine selbstbewusstere Körperhaltung: „Statt sich wie früher abwehrbereit zurückzuziehen, nimmt er sich heute körperlich mehr Raum und wird dadurch anders wahrgenommen und wertgeschätzt“, sagt sie.
Ähnlich wie Sabine Grosser warnt auch ihre Berufskollegin Eva Bakardjiev aus Berlin davor, sich gegenüber seinem Körper hartnäckig taub zu stellen. Zum einen, weil er nach und nach immer lauter rufe und sich früher oder später mit ernsthaften Gesundheitsbeschwerden wie Kopf- oder Gelenkschmerzen, Sodbrennen oder Magenkrämpfen bemerkbar mache. Zum anderen, weil sich Empfindungen nicht nach Belieben selektiv ausblenden ließen.
Praxistipp: So kriegen Sie Ihre Aufregung in den Griff
Sie müssen vor 500 Leuten einen Vortrag halten, ein unangenehmes Gespräch oder eine wichtige Verhandlung führen? Um dabei ruhig, sicher und überzeugend aufzutreten, empfiehlt Sabine Grosser folgende Schritte.
1. Richten Sie sich bewusst auf. Spüren Sie, wie Ihre Füße fest und sicher auf dem Boden stehen.
2. Wer aufgeregt ist, atmet flach und hektisch. Um ruhig zu werden atmen Sie tief in den unteren Bauch.
3. Lockern Sie die Schulter- und Nackenmuskulatur. Kreisen Sie zum Beispiel die Schultern und lassen sie anschließend locker fallen. Ihr Kopf balanciert mittig auf der Halswirbelsäule.
4. Zeigen Sie, dass Sie da sind. Nehmen Sie sich bewusst Ihren Platz im Raum. Also zum Beispiel Arme bewegen, statt sie an den Körper zu pressen, Fußspitzen leicht nach außen kehren.
5. Übung macht den Meister. Praktizieren Sie diesen Bewegungsablauf regelmäßig in alltäglichen Situationen, damit Sie ihn später auch unter Stress automatisch abrufen können.
Wer negative Gefühle wie Müdigkeit, Schmerz oder Angst betäube, der verliere auf Dauer auch positive Emotionen wie Freude, Motivation oder Neugierde, sagt Bakardjiev.
„Gesellschaftlich haben wir uns heute leider weit von unserem Körper und seiner ihm eigenen Intelligenz entfernt“, sagt sie.
Doch statt den Körper wie ein minderwertiges Teammitglied zu behandeln, das still in der Ecke sitzen und unauffällig seinen Job machen soll, empfiehlt Bakardjiev, die Ressourcen für positive Veränderungen zu nutzen. Als somatischer Coach unterstützt sie ihre Klienten dabei, die verlorene Verbindung wiederherzustellen.
Zu den Grundlagen eines wachen Körpergefühls gehöre vor allem Bewegung: „Bewegung ist ein Grundbedürfnis, kein Körper will stundenlang starr vor dem Computer sitzen“, sagt Bakardjiev. Doch durch ihren Lebensstil seien viele Menschen auf Bewegungsdiät. Sportarten wie Yoga, Aikido oder Tanzen eignen sich besonders gut, um die Selbstwahrnehmung wieder zu verbessern.
Wem das partout nicht liege, der könne alternativ zumindest Joggen oder Radfahren – am besten ganz locker und ohne Trainingscomputer: „Es geht nicht darum, den Körper nach einem Ideal in Form zu pushen, sondern darum, sich selbst zu spüren“, sagt Bakardjiev.
Guten Führungsstil verkörpern
Langsam setze ein Umdenken ein, stellen Grosser und Bakardjiev übereinstimmend fest. Beim nötigen Kulturwandel in Unternehmen sieht Bakardjiev Führungskräfte in der Vorbildfunktion: „Öfter bewusst Pause zu machen, statt bis zum Umkippen zu arbeiten, ist durchaus effizienzsteigernd“, sagt sie.
Das sollten gute Chefs vorleben und – bei Bedarf unterstützt durch ein Coaching – Qualitäten wie Konflikt- und Teamfähigkeit, Empathie, Intuition und Stressmanagement selbst verkörpern.
In der Berufswelt gehöre der Wandel heute mehr denn je zum Alltag. „Um Transformationsprozesse erfolgreich zu gestalten, sollten wir den Körper wieder ins Team holen.“
Auch als Präventionsmaßnahme gegen Burnout, Depressionen und andere Erkrankungen: „Der Rückweg nach einer Krankheit ist immer der längere und beschwerlichere Weg für alle Beteiligten“, sagt Bakardjiev. Besser also, wenn es gar nicht erst so weit kommt.
Wann kann somatisches Coaching helfen?
Eva Bakardjiev aus Berlin führt folgende Anzeichen dafür auf, dass ein somatisches Coaching sinnvoll sein kann, um kontraproduktive Verhaltensmuster zu durchbrechen:
- festgefahrene Situationen, die konstant unbefriedigend und stets auf die gleiche Art ablaufen
- wiederkehrende körperliche Beschwerden und Schmerzen
- mentale Blockaden, Zweifel oder negative Gedankenschleifen
- Antriebs- oder Rastlosigkeit, depressive Verstimmungen, Ängste, Burnout