„Der Fehlzeiten-Report 2013 zeigt deutliche Variationen verschiedener Suchtformen in den unterschiedlichen Beschäftigtengruppen“, sagt Mitherausgeber Helmut Schröder. Seine Schlussfolgerung: Bei der betrieblichen Prävention müssten künftig verstärkt Mitarbeiter in den Fokus rücken, die mit psychischen Problemen und auch Suchterscheinungen auf Belastungen reagieren. (mil)
Diese gesundheitlichen Aspekte sollten Sie kennen:
Suchtgefahr durch Arbeit
Die Gründe, warum jemand süchtig oderabhängig wird, sind vielfältig. Gewisse Arbeitssituationen und hohe Leistungsstandards können jedoch ein wesentlicher Grund sein. Dazu zählen auch belastende Lebenssituationen, etwa ein Schicksalsschlag oder bestimmte Konsumrituale bis hin zu familiären Prägungen und individuellen Persönlichkeitseigenschaften. Die Art, wie wir arbeiten und wie wir Arbeit organisieren, kann durchaus ein Auslöser, zumindest aber ein Mitverursacher von Suchterkrankungen sein.
Risiken verschiedener Arbeitstypen
Es gibt spezifische Arbeitstypen, die mit speziellen gesundheitlichen Risiken und Suchtkonsum verbunden sind. Eine Studie aus den Niederlanden, die „Dutch Work Addition Scale“ (DUWAS), identifiziert vier Arbeitstypen bei den Dimensionen „Arbeitseifer“ und „Getriebenheit“. Die Ergebnisse der aktuellen WIdO-Befragung zeigen, dass mehr als 15 Prozent der deutschen Belegschaften ein Übermaß an innerer Getriebenheit haben. „Das führt am Ende dazu, dass den Beschäftigten Entspannung außerhalb der Arbeit schwerfällt oder sie Schuldgefühle haben, weil sie sich Urlaub genommen haben“, berichtet Schröder. In diese Gruppe fallen zwei Typen von Beschäftigten, die sich hinsichtlich ihres Arbeitseifers deutlich unterscheiden: die Desillusionierten mit 4,1 Prozent mit eher geringem Arbeitseifer und die übermäßig Arbeitsorientierten mit 10,8 Prozent mit relativ hohem Arbeitseifer. Beschäftigte aus diesen beiden Gruppen berichten deutlich häufiger über körperliche gesundheitliche Probleme oder auch psychosomatische Beschwerden (wie Erschöpfung, Nervosität, Reizbarkeit oder Schlafstörungen) als Beschäftigte, die dem entspannten oder enthusiastischen Arbeitstyp angehören. Auch der höhere Konsum von Medikamenten, Alkohol oder Tabak bei den desillusionierten und übermäßig arbeitsorientierten Beschäftigten weist auf ein deutlich gesundheitsgefährdenderes Verhalten hin.
Häufige Suchtformen
Alkohol und Tabak liegen weit an der Spitze. Interessant ist im Übrigen: Je höher der Bildungsstand, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines regelmäßigen Alkoholkonsums – und zwar bei Männern wie bei Frauen gleichermaßen. „Vermutlich verdrängt die gesellschaftliche Akzeptanz das Wissen um die Risiken der sogenannten Volksdroge Alkohol“, kommentiert Schröder. Beim Rauchen ist es umgekehrt: Beschäftigte mit einem vergleichsweise hohen Bildungsstand rauchen tendenziell weniger. „Hier scheinen höhere Ausbildung und bessere Aufklärung über die Gefahren eines starken Tabakkonsums im Gegensatz zum Alkohol zu fruchten“, so Schröder. Etwa ein Drittel der Beschäftigten raucht gelegentlich oder regelmäßig. Dabei zeigen sich auch hier zwar keine signifikanten Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Allerdings nimmt der Tabakkonsum mit zunehmendem Alter ab. „Daneben beobachten wir einen Anstieg der Arbeitsunfähigkeiten durch den missbräuchlichen Einsatz von leistungssteigernden Medikamenten – das sogenannte Neuro-Enhancement – also die Einnahme von Präparaten, die die Konzentrationsfähigkeit oder das Durchhaltevermögen steigern, die aufputschen“, erklärt Schröder. „Das passiert noch auf niedrigem Niveau. Aktuell sagen fünf Prozent der Arbeitnehmer bei unserer Befragung im Frühjahr 2013, dass sie zur beruflichen Stressbewältigung in den letzten zwölf Monaten Medikamente zur Leistungssteigerung eingenommen haben – bei den unter 30-Jährigen sogar jeder Zwölfte.“
Empirische Datenlage
Die zahlreichen Experten, die sich als Autoren am Fehlzeiten-Report 2013 beteiligt haben, beschreiben die aktuelle empirische Datenlage. Allerdings gibt es eine nicht unerhebliche Dunkelziffer. So zeigen die Daten der elf Millionen erwerbstätigen AOK-Mitglieder, dass 2012 fast 90.000 von ihrem Arzt wegen psychischer Verhaltensauffälligkeiten durch Suchterkrankungen krankgeschrieben wurden. Das sind im Schnitt 1,3 Prozent der AOK-Mitglieder. Bei Männern liegt dieser Wert bei fast zwei Prozent. Frauen bleiben hingegen unter einem Prozent. Fast 44 Prozent aller suchtbedingten Arbeitsunfähigkeitsfälle entfallen auf Alkoholkonsum. „Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Ärzte erfassen nämlich nur psychische Auffälligkeiten aufgrund einer Suchterkrankung und keine körperlichen Schäden. Ein alkoholkranker Mensch mit Leberzirrhose muss nicht zwangsläufig als Suchtkranker erfasst werden, obwohl er es gegebenenfalls noch immer ist“, so Schröder.
Ökonomischen Auswirkungen
Der volkswirtschaftliche Schaden wegen Arbeitsunfähigkeiten aufgrund von psychischen Verhaltensauffälligkeiten durch Suchterkrankungen liegt bei etwa 1,3 Milliarden Euro pro Jahr. Dazu kommen noch die Kosten der Rentenversicherung für Frühverrentungen oder Rehabilitationsmaßnahmen. Knapp 54.000 Entwöhnungsbehandlungen mit einer durchschnittlichen Dauer von 88 Tagen kommen pro Jahr zusammen. 8.500 Menschen gehen pro Jahr vorzeitig in R ente oder bekommen eine R ente wegen verminderterErwerbsfähigkeit.
Konsequenzen der Ergebnisse
Auch wenn ein direkter Zusammenhang zwischen den Belastungen der Beschäftigten in Deutschland und Suchterkrankungen nicht belegt ist, bleibt laut Schröder als Fazit: „Nicht jeder kann in allen Lebensphasen dem gestiegenen Anforderungsniveau gerecht werden.“ Der Griff zu Drogen oder leistungssteigernden Mitteln helfe zwar kurzfristig, potenzielle Defizite oder persönliche Krisensituationen zu meistern, jedoch werde die Gefahr der Abhängigkeit häufig unterschätzt. Schröder: „In der betrieblichen Prävention müssen künftig verstärkt jene Mitarbeiter stärker in den Fokus rücken, die mit psychischen Problemen – und auch Suchtproblematiken – auf Belastungen reagieren.“ Erforderlich sei ein Präventionsprogramm, auf das jeweilige Beschäftigtenprofil im Unternehmen zugeschnitten wird. „Suchterkrankungen sind mit viel Leid, langen Ausfallzeiten und hohen Kosten verbunden. Deshalb braucht es eine stärkere Aufklärung, auch in den Betrieben: Klare Regelungen, Aufklärung über Symptome und Folgen der Sucht sowie Kompetenzvermittlung für den Umgang mit Suchterkrankten“, fordert Schröder. Dies könne dazu beitragen, dass in gesunden Unternehmen auch in Zukunft Mitarbeiter beschäftigt sind, die einen achtsamen Umgang mit ihrer körperlichen und psychischen Gesundheit erlernt haben und pflegen können.
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