Frische Seeluft, abwechslungsreiche Landschaften, Sehenswürdigkeiten und gutes Essen: Auf der neuen Radwanderstrecke „Tour de Manche“ erfahren Amateure und ambitionierte Radler im wahrsten Sinne des Wortes beide Seiten des Ärmelkanals samt einer Stippvisite auf Jersey.
Sébastien erklärt uns, was es mit den „Pieds de Cheval“ auf sich hat: „Hier in Cancale gibt es Austern, die so groß wie Pferdefüße sind und bis zu einem halben Kilo wiegen!“ Das Örtchen nördlich von Rennes gilt als Austernhauptstadt der Bretagne. Wir sitzen an einem lauen Abend im Restaurant La Mère Champlain an Hafen – es ist Ebbe, die Boote stecken im Watt fest. Vor uns auf den Tellern: Austern, Fisch, Muscheln und Meeresschnecken, dazu kühler Weißwein. Sébastien und Pierre, unsere Begleiter des Radreiseveranstalters Abicyclette aus Rennes, stimmen uns kulinarisch auf unsere „Tour de Manche“ ein, die am nächsten Morgen in aller Frühe startet.
Aufbruch im Nebel
Um acht Uhr liegen noch Nebelschwaden über der Bucht. Wir radeln am Meer entlang in Richtung Osten. Sébastien begleitet uns, Pierre fährt mit dem Minibus und unserem Gepäck zum nächsten Treffpunkt voraus. Der Mont-Saint-Michel ist schon schemenhaft in der Ferne zu erkennen. Erste Radfahrer kommen uns mit einem freundlichen „Bonjour“ entgegen. Bis zum Klosterberg, der zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört, sind es rund 50 Radkilometer. So weit müssen wir nicht an einem Stück fahren, denn es liegen noch vier Tage und drei weitere Regionen auf beiden Seiten des Ärmelkanals sowie ein Abstecher auf die Kanalinsel Jersey vor uns – ausgewählte Teilstücke der „Tour de Manche“, auch unter dem Namen „Petit Tour de Manche“ bekannt. Die Ärmelkanal-Strecke kann man organisiert oder auf eigene Faust entlangradeln und dort länger verweilen, wo es einem am besten gefällt.
Von der Festungsstadt Saint-Malo – auch einen längeren Besuch wert – gelangen wir nach knapp anderthalb Stunden mit der Fähre nach Jersey. Die Insel liegt rund 70 Kilometer vor Frankreichs Küste, zählt aber zum britischen Kronbesitz. „Vorsicht, Linksverkehr“, mahnt unser Guide Remi aus der Hauptstadt Saint Helier. Die ehemaligen Festungsanlagen für den „Atlantikwall“ aus dem Zweiten Weltkrieg sind noch überall zu sehen. Das Meer allerdings nicht, es hat sich weit zurückgezogen. Wir radeln mit Remi auf der ehemaligen Eisenbahntrasse in Richtung Westen, dann bergauf durch einen duftenden Pinienwald zum Leuchtturm La Corbière. Es riecht nicht nur wie in Südfrankreich, es sieht auch so aus: strahlender Sonnenschein, azurblaues Meer. Ein E-Bike wäre jetzt hilfreich, doch das ist in Frankreich bei Sébastien und Pierre geblieben. Wir sind jetzt mit Jersey-Rädern unterwegs.
Durch die Kanalinsel linksverkehr-erprobt, fahren wir später in Südwestengland mühelos auf der richtigen Seite. Vier Stunden dauert die Überfahrt nach Poole. Die Geburtsstadt des Spionageroman- Autors John Le Carré hat einen der größten Naturhäfen der Welt. Im Zweiten Weltkrieg war sie ein wichtiger Ausgangspunkt für die D-Day-Landungen in der Normandie. Jacqui und Roy vom Radreiseveranstalter Signpost Cycling und Lesley vom britischen Fremdenverkehrsamt nehmen uns am Hafen in Empfang. Mit ihnen strampeln wir die kommenden beiden Tage durch die südwestenglischen Grafschaften Dorset und Devon entlang der Jurassic Coast, die ein UNESCO-Weltkulturerbe ist.
Wir folgen den Hinweisschildern „Tour de Manche“: Abseits der Verkehrswege geht es durch Wälder, über sanfte Hügel und querfeldein über Koppeln mit weißen, stoischen Rindern. Die frische Luft, die Stille und die Bewegung machen den Kopf frei. Roy fährt mit unserem Gepäck im Minibus voraus, wir treffen ihn in Corfe Castle wieder. Die letzten Kilometer zu dieser malerischen Burgruine in den Purbeck Hills legen wir mit einer Dampfeisenbahn zurück. Fans von Enid Blytons „Fünf Freunde“ und von Rosamunde Pilcher kennen die Kulisse aus dem Fernsehen.
Hier finden Sie einen aktuellen, englischen Rad-Führer über die Tour de Manche: www.signpostcycling.co.uk/routeguide.
Kulinarisches von der Insel
Zwei Überraschungen erwarten uns in der Küstenstadt Weymouth: Der Chesil Beach verbindet sie mit der Halbinsel Portland. Was aussieht wie ein riesiger Strandabschnitt mit einer hohen Düne, ist in Wahrheit eine 29 Kilometer lange, bis zu 200 Meter breite Küstenformation aus Milliarden von unterschiedlich großen Kieselsteinen. Wir stellen die Räder ab und erklimmen den 15 Meter hohen Kieselhügel für einen besseren Ausblick. Hungrig kehren wir danach am Hafen im Restaurant Oasis ein. Wer meint, die Briten könnten nicht kochen, wird eines Besseren belehrt: Schweinshaxenterrine mit Marmelade aus roten Zwiebeln, Krabbenküchlein mit Zitronenmayonnaise, Jacobsmuschel- und Blutwurstspieße sowie Käse aus der Region lassen uns das Wasser im Mund zusammenlaufen. Dazu Thatcher’s Gold Cider. Delicious!
Kulinarisch gestärkt bringt uns Roy mit dem Minibus zur letzten Etappe: Exeter. Die Universitätsstadt hat sich ganz auf Radfahrer eingestellt, vor dem Bahnhof findet man sogar eine Luftpumpenstation. Die idyllische Strecke geht am Kanal und am Fluss Exe entlang. Ein lohnender Stopp ist Turf Locks flussabwärts zum traditionellen Devon Cream Tea, Scones mit Erdbeermarmelade und Sahne. Hier setzt uns ein Fährmann auf die andere Seite über nach Topsham. Das Örtchen betrieb in früheren Zeiten einen regen Baumwollhandel mit Holland. Davon zeugen noch viele Häuser mit den typisch niederländischen Giebeln. Im Fischerort Lympstone an der Exe-Mündung endet unsere Tour nach gefühlten zwei Wochen – so viele Eindrücke haben wir in den fünf Tagen durch drei Länder gesammelt.