Zeit verbringen ohne Internet, das ist heutzutage nicht leicht. E-Mails, Messenger-Dienste, Online-Medien und Social Media ziehen ihre Nutzer in ihren Bann. Die Folge: Kommunikationsstress, immer und überall. Digital Detox – also digitale Entgiftung – kann die Produktivität und das Wohlbefinden steigern.
Online sein gehört für Ulrich Schulze Althoff zum Geschäft. Der Unternehmer hat ein Online-Spiel namens Meister Cody entwickelt, das Grundschulkinder beim Rechnen, Lesen und Schreiben fördern soll. Mindestens sechs Stunden täglich verbringt der 41-Jährige im Internet, oft auch mehr.
Für web-freie Zeiten sorgen
Vor fünf Jahren fing der Geschäftsführer der Softwarefirma Kaasa Health an, im Urlaub ganz bewusst offline zu gehen. Zwei Wochen Spanien ohne Internet und in der Hoffnung, den Kopf frei zu bekommen: Er wollte Bücher lesen, ungestört Zeit mit seinen Kindern verbringen und komplexe Gedankengänge ohne Unterbrechung zu Ende führen. Sein Smartphone vertraute er einem Kollegen an und besorgte sich vor Ort ein einfaches Prepaid-Handy, nicht internetfähig, versteht sich. Die Nummer kannte nur sein Kollege – für Notfälle.
Schulze Althoff ist nicht allein mit seinem Wunsch nach digitaler Auszeit. Immer mehr Menschen erkennen, dass ihnen die Informationsflut im Internet, die Erreichbarkeit über mobile Endgeräte und das Vernetzen mit Geschäftspartnern, Kollegen, Freunden und Familienmitgliedern über soziale Netzwerke nicht nur nutzt, sondern auch schaden kann.
„Die ständigen Unterbrechungen verhindern, dass man in einen sogenannten Flow-Zustand gelangt“, erklärt Sarah Diefenbach, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Das sei ein Zustand, in dem man komplett in einer komplexen Aufgabe versinkt, erklärt die Wissenschaftlerin. „Studien zeigen: Um einen Flow-Zustand nach einer Unterbrechung wieder herzustellen, braucht es rund 15 Minuten.“ Unterbrechungen minderten aber nicht nur die Produktivität, sie verschlechterten auch das Wohlbefinden. „Man ist frustriert, weil man merkt, dass man seine Aufgabe nicht fertig bekommt“, erklärt Diefenbach.
Reduzieren auf das Wesentliche
Die Wissenschaftlerin rät zum Selbstcheck: Wie will ich die Technik nutzen? Inwiefern lasse ich mich ablenken? Womit will ich freie Momente, zum Beispiel im Zug oder beim Warten am Flughafen, verbringen? Wie sehr will ich in die digitale Welt abtauchen und wann will ich lieber meine Umgebung wahrnehmen? Wann sind Unterbrechungen für mich in Ordnung, wann nicht? Und wie wirken sie sich auf meine Arbeit und auf mein Privatleben aus?
Fest steht: Die Wünsche nach digitalen Auszeiten nehmen zu. Längst gibt es spezialisierte Anbieter, die Seminare, Workshops und Digital-Detox-Camps organisieren: Wochenendtrips in die Natur, ohne WLAN, aber mit Yoga, Lagerfeuer und Meditation.
»Man führt einfach bessere Gespräche, wenn das Handy nicht auf dem Tisch liegt.« Ulrich Schulze Althoff, Kasaa Health GmbH
Klaus Wegener hat zum Beispiel die Erfahrung gemacht, dass es ohne Workshop geht. Auch der Geschäftsführer von Caseable – einem Hersteller von Hüllen für Handys, Tablets und Laptops – startete mit einem Smartphone-freien Urlaub, nachdem er bei sich selbst im Job Konzentrationsschwierigkeiten festgestellt hatte. Der Anfang sei schwer gewesen, sagt er. „Ich wollte eigentlich ein Buch lesen. Nach jeder zweiten Seite habe ich gedacht: Ich muss auf mein Handy gucken. Mein Griff ging ständig in die Hosentasche.“ Am meisten habe er die Nachrichten vermisst: „Spiegel Online, tagesschau.de und wie sie alle heißen. Ich hab sogar meine Frau gefragt, ob ich ihr Handy nehmen kann, um mal kurz was bei N-tv nachzugucken.“ Nach zwei Tagen verschwand das Gefühl, ständig aufs Handy schauen zu müssen – und er konnte sein Buch endlich in Ruhe zu Ende lesen.
Wegener hat aus dieser Erfahrung Konsequenzen gezogen. In den Daten seines Smartphones konnte er nachvollziehen, welche Apps er besonders häufig nutzte und löschte sie, wenn er sie – wie seine Facebook-App – für unwichtig hielt. Auch Töne, Vibration und Benachrichtigungen hat er ausgeschaltet: Nichts piept oder brummt mehr, wenn eine E-Mail oder eine Whats-App-Nachricht eintrifft. Auf dem Bildschirm ploppen keinerlei Mitteilungen mehr auf. Anrufer müssen sich gedulden, bis er zurückruft. Auch samstags und sonntags ist bei Wegener nun „Digital Detox“ angesagt – der Laptop bleibt zugeklappt. „Als ich das Unternehmen vor sieben Jahren gründete, sagte ein Investor zu mir: ‚Das ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Sorg dafür, dass dir nicht die Puste ausgeht.‘“ Die Auszeiten von Smartphone, Tablet und Laptop helfen ihm, sich am Wochenende zu erholen.
Gespräche führen – ohne Handy
Online-Unternehmer Schulze Althoff hat seine Gewohnheiten ebenfalls verändert: Mittlerweile hat er den dritten Smartphone-freien Urlaub hinter sich. Am Wochenende deponiert er das Handy im Dachgeschoss seines Hauses: „Dorthin gehe ich selten und bin gar nicht erst versucht, mal kurz draufzuschauen.“ Es bleibt auch da, wenn er sich mit Freunden trifft: „Man führt einfach bessere Gespräche, wenn das Handy nicht auf dem Tisch liegt.“
Selbst in seine Lern-App hat er digitale Auszeiten eingebaut: Sie schaltet sich nach 25 Minuten automatisch ab. Zuvor fordert sie die Nutzer auf, am nächsten Tag weiterzulernen – um erst mal den Kopf frei zu bekommen.