Das Unternehmermagazin aus der Handelsblatt Media Group

Creditreform

Der Kommunikationsexperte Kai Oppel gibt Tipps im Umgang mit den Möglichkeiten der Digitalisierung und erklärt, wie Entscheider – ganz im Sinne des Freiherrn Adolph Knigge – wieder selbstbestimmter leben und arbeiten.

 

Karrierecoachings und Benimmregeln liegen im Trend. Und nun kommen Sie und sagen: Stopp!
Genau. Freiherr Adolph Knigge, auf den sich diese Ratgeber und Trainings stützen, wird falsch verstanden. Er muss als Vater von Benimmregeln herhalten. Wie man das Sakko akkurat knöpft oder beim Business-Lunch nicht unangenehm auffällt.

Was ist gegen ein wenig Stil einzuwenden?
Nichts – solange er nicht nur Fassade ist. Knigge war von den Idealen der Aufklärung geprägt. Er wollte kein Benimmbuch schreiben, sondern den richtigen Umgang der Menschen miteinander lehren. Es ging ihm um ein Handeln, das auf den Werten der Aufklärung beruht, auf Moral und Weltklugheit. Auch ich bin überzeugt: Sinnentleerte Manieren schaden – auch im Beruf.

Das müssen Sie uns einmal genauer erklären …
Es gibt mehrere Veränderungen in unserer Gesellschaft, die ich als kniggefeindlich bezeichne. Beschleunigung, Mobilität, Digitalisierung. Sie verändern das Berufsleben tiefgreifend. Nehmen wir mal den Kniggefeind Nummer eins: die zunehmende Beschleunigung. Computer, Datenaustausch, -verarbeitung: Alles geht immer schneller. Bisher haben wir versucht, mit der höheren Geschwindigkeit klarzukommen, indem wir uns selbst anpassen und optimieren. Es gibt unzählige Kniggetipps, die uns helfen sollen, die Beschleunigung elegant so zu meistern, dass wir sie bestmöglich nutzen.

Das Creditreform-Magazin verlost bis zum 29. Februar 2016 drei Exemplare von Kai Oppels „Die Knigge-Kur“.

Wo liegt das Problem?
Die durch Tricks gesparte Zeit wird nicht freigesetzt, sondern sofort weiter verplant. In der Folge fühlt man sich immer unmündiger. Im Berufsleben werden viele Menschen kontrolliert von Programmen und Zeitplänen – das Gegenteil von Knigge. Doch die wenigsten suchen das Problem in der Beschleunigung selbst, die meisten suchen es bei sich. Sie machen sich dafür verantwortlich, nicht schnell genug zu sein, nicht mithalten zu können. Entsprechend leiden immer mehr Menschen unter Stress.

Ähnlich kritisch sehen Sie die zunehmende Mobilität?
Das ist der zweite Kniggefeind. Sechs von zehn Arbeitnehmern arbeiten heute außerhalb der Gemeindegrenzen, in denen sie wohnen – das macht 17 Millionen Pendler. Eine Million pendeln am Wochenende zwischen Arbeit und zu Hause. Dagegen ist nichts einzuwenden. Sich zu entscheiden, wo man arbeitet, ist sogar ein großes Stück Mündigkeit. Aber: Die Mobilität unterliegt demselben Effektivitätsgedanken wie das übrige Leben. Schneller werden wir durch schnellere Züge und noch mehr Flüge nicht. Wir erschließen nur weitere Räume. Zudem sind Pendler häufiger krank. Knigge 2020 bedeutet, Mobilität wieder einzuschränken.

Und das Handy beiseitezulegen?
Ja, damit wären wir beim Kniggefeind Nummer drei: der Digitalisierung. Versuchen Sie einmal, eine ganze Arbeitswoche ohne Smartphone auszukommen. Termine steuern wir über Kalenderprogramme. Bei der Rechtschreibung verlassen wir uns auf elektronische Wörterbücher. Die Suche nach der schnellsten Verbindung erledigen Apps, die Umrechnung von Währungen macht der Rechner. Taxiruf? Ein Tastendruck auf dem Smartphone. Fatalerweise muss Knigge heute selbst für Tipps im Umgang mit der Digitalisierung herhalten. Es gibt Handy- und E-Mail-Knigge. Sie zeigen oberflächlich, wie Nutzer beim permanenten Kommunizieren eine gute Figur machen, um im Berufsleben möglichst viel zu erreichen. Was denken Sie, wie oft schaut der Durchschnittsnutzer täglich auf sein Smartphone?

20 bis 30 Mal?
Weit gefehlt: 100 Mal! Dies wiederum führt, selbst wenn dabei Benimmregeln eingehalten werden, zu Konzentrationsstörungen. Wir verlieren durch all die Ablenkung und Effizienz unsere Aufmerksamkeit und sind nicht mehr bei der Sache. Fehlende Ruhepausen und Dauererreichbarkeit sind Burnout-Faktoren. Dabei hat der Freiherr davor gewarnt, den eigenen Verstand zu vernachlässigen.

Weiter geht es auf der nächsten Seite.