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Creditreform

Die Schweizer Volksabstimmung Mitte 2016 hat die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen auch in Deutschland wieder angefacht. Beflügelt fühlen sich insbesondere die Befürworter dieser Staatsleistung. Das Ergebnis der vielschichtigen eidgenössischen Debatte war jedoch eine krachende Niederlage für die Initiatoren der Abstimmung; lediglich 23 Prozent der Wähler stellten sich hinter das Konzept. Umfragen zufolge findet das bedingungslose Grundeinkommen auch in Deutschland keine Mehrheit. 

Dabei gibt es im deutschen Sozialstaat durchaus Reformbedarf. Tatsächlich leiden die öffentlichen Haushalte unter hohen Bürokratiekosten, während Sozialtransferempfängern Stigmatisierung droht. In der Theorie könnte das bedingungslose Grundeinkommen diese Probleme angehen, soll dieses doch das Gros an Sozialtransfers – wie der Name schon sagt bedingungslos – ersetzen. Zudem beschwören seine Befürworter eine sich angeblich verschärfende Dringlichkeit. Hierfür bedient man sich der voranschreitenden Digitalisierung und prognostiziert ein rabenschwarzes Bild des Arbeitsmarktes. Maschinen mit künstlicher Intelligenz erledigten zukünftig fast alle Aufgaben, nur eine kleine Elite würde weiterhin einer entlohnten Tätigkeit nachgehen. Die Mehrheit der Arbeitskräfte wäre schlichtweg überflüssig. Damit wird ein altbekanntes Narrativ aufgegriffen, auf das bereits Henry Ford angesichts der Effizienzsprünge durch Fließband und Elektrifizierung hereinfiel. „Autos kaufen keine Autos“, so lautete seine Sorge vor über 100 Jahren. Auch er dachte, die Substitution von menschlicher durch maschinelle Arbeitskraft in seinen Fabriken wäre auf die gesamte Volkswirtschaft übertragbar, mit fallenden Löhnen und Beschäftigungsquoten als Folge.

Der Argumentation hängt eine fatalistisch-technologiefeindliche Note an: Das bedingungslose Grundeinkommen als letztes Mittel gegen zukünftige Massenarbeitslosigkeit.

Dabei hat sich die zweite industrielle Revolution Ende des 19. Jahrhunderts als Startpunkt einer unglaublichen Wohlstandsstory erwiesen. Die Erwerbsquote in den Industrieländern ist über ein Jahrhundert später trotz Wegfall zahlloser prekärer Jobs in der Landwirtschaft und vieler Fließbandarbeitsplätze in der Industrie gestiegen, nicht etwa gefallen. Die Qualität der Arbeit hat sich verbessert, nicht verschlechtert. Der technologische Fortschritt hat dies erst ermöglicht und er wird ebenso in Zukunft dazu führen, dass mehr Menschen einer entlohnten sinnstiftenden Arbeit nachgehen können. Dies gilt auch und gerade für die deutsche Wirtschaft, der Arbeitsmarkt eilt von Rekord zu Rekord. Die Unabdingbarkeit des bedingungslosen Grundeinkommens lässt sich nicht herleiten. Angesichts des demographischen Wandels könnten uns die Arbeitskräfte eher ausgehen als die Arbeit.

Trotzdem wäre es theoretisch möglich, dass eine entsprechende institutionelle Ausgestaltung des Sozialstaates eine wünschenswerte gesellschaftliche Alternative wäre. Schließlich, so die philanthropische Argumentation, ist unsere Gesellschaft so reich, dass wir es uns einfach leisten können, jedem die freie Wahl zu überlassen, ob er einer Arbeit nachgehen möge oder nicht. Des Weiteren zeigten Experimente, die neugeschaffene Sorglosigkeit führe keinesfalls dazu, dass Menschen lieber Zeit auf der Couch als auf der Arbeit verbrachten.

Die Einführung des Grundeinkommens bleibt eine Reise in die institutionelle Ungewissheit

Finanzierbarkeit und Arbeitsanreize sprächen demnach nicht gegen das Grundeinkommen. Zwei Argumente, die auf sehr wackeligen Beinen stehen. Orientiert man sich beispielsweise am Modell von Götz Werner in der Höhe von monatlich 1.000 Euro, belaufen sich die Kosten mit 816 Milliarden Euro auf mehr als das Doppelte der gesamten Staatsausgaben des Bundes – allein für die 68 Millionen in Deutschland lebenden Erwachsenen. Rechnet man entsprechende Beträge für Kinder hinzu, erhöhen sich die Zahlungen auf fast eine Billion Euro oder das Dreifache des Bundeshaushalts. Zwar ersetzt das Grundeinkommen gewisse Sozialversicherungen, so dass es sich hierbei nicht durchweg um zusätzliche Kosten handelt, die schiere Höhe der Ausgaben lässt eine Umsetzung aber utopisch erscheinen. Auch im abgelehnten Schweizer Modell waren lediglich Einsparungen in den Sozialausgaben in Höhe von einem Viertel der entstehenden Kosten angedacht.

Das zweite Argument ist ebenfalls kaum haltbar, denn Experimente zum bedingungslosen Grundeinkommen haben einen grundsätzlichen Haken: Sie stellen keine authentische Institution dar, die Teilnehmern glaubwürdig einen lebenslangen gesellschaftsvertraglichen Überbau in Form von monatlichen Auszahlungen auf ihrem Konto bietet und zugleich ein zur Finanzierung notwendiges Steuersystem simuliert. Ist das Experiment zu klein, könnten Teilnehmer wegziehen, ist es zeitlich begrenzt, werden Teilnehmer ihr Verhalten eher nicht dauerhaft ändern. Die vorhandene Evidenz ist damit kaum zu interpretieren, die simple Forderung nach mehr empirischen Befunden greift aber ebenfalls zu kurz. Teilnehmer reagieren anders auf die Experimente als bei einer tatsächlichen Einführung. Zumal bisherige Experimente immer nur die Empfängerseite betrachtet haben, nicht die Finanzierungseite: Ein ehrlicher Test müsste jenen, die als Empfänger der Leistung teilnehmen, auch die Finanzierung über Steuern auferlegen – schließlich würde dies auch bei Einführung auf gesamtstaatlicher Ebene gelten. Einen Test kann es daher praktisch nicht geben, die Einführung des Grundeinkommens bliebe eine Reise in die institutionelle Ungewissheit.

Unsere heutige Gesellschaft beruht auf der Maxime der Leistungsgerechtigkeit und der Fairness. Man kann sich durchaus andere Gesellschaftsformen vorstellen, doch:

Die Besteuerung von Leistungseinkommen für leistungslose Einkommen ist jedoch keine davon.

Zwar gibt es Reformdruck auf den Sozialstaat. Es bedarf aber keiner Revolution, wie es die behauptete Unabdingbarkeit des Grundeinkommens vorgaukelt. Zudem gilt, dass die aktuell kursierenden Modelle jeglichen Finanzierungsrahmen übersteigen. Das Risiko ist damit unkalkulierbar. Die Substitution des deutschen Sozialstaates ist und bleibt eine kulturelle Fiktion.