
© Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.
Der krisenbedingte Ausnahmezustand lässt jetzt manche auf den Untergang des Kapitalismus hoffen. Massive Einschränkungen des öffentlichen Lebens werden als Blaupause für die Klimapolitik und andere Wünsche angesehen. Doch die Marktwirtschaft mit klaren Regeln ist der Motor für Innovation, und die rechtlichen Grundlagen der Freiheit bleiben der Inhalt von Politik.
Die Corona-Krise führt Gesellschaft, Politik und Wirtschaft mit zunehmenden Beschränkungen auf unbekanntes Terrain. Der Stillstand des öffentlichen Lebens ist für die lebende Generation ohne Beispiel. Manche deuten ihn als ein großes globales Experiment der Entschleunigung.
Es entstünden neue Chancen für Fantasie und Kreativität, für die Entdeckung anderer Lebensweisen, kurzum und zugespitzt: für den Abschied vom globalen Kapitalismus. Es handelt sich um eine scheinbar plausible Geschichte – doch diese verliert bei näherer Betrachtung schnell an Eingängigkeit und Stimmigkeit.
Der optimistische Grundton solcher Erzählungen lebt von einer elitären Ignoranz gegenüber den vielfältigen Sorgen, die sich den Menschen jetzt um Gesundheit, Arbeitsplatz, Einkommen und Vermögen aufdrängen.
Diese Ängste schrumpfen für Globalisierungs- und Kapitalismuskritiker offenbar zu einer Petitesse. Doch kann das die frohe Botschaft sein, die in der gegenwärtigen Krise zur Besinnung auf andere und neue Lebensweisen animiert? Sicher nicht.
Eine solche Sicht beruht auf der Grundannahme, dass unsere Wirtschaftsordnung ohnehin verwerflich sei, unter anderem, weil sie Probleme angeblich nicht zu lösen vermag und ihre ethische Begründung sowie moralische Perspektive nicht ausreiche. Die präsentierten Alternativen bleiben aber wolkig oder führen in den Totalitarismus.
Soziale Marktwirtschaft ist nicht losgelöst von der Demokratie
Die Corona-Krise bietet nun Gelegenheit, die bekannte Kritik mit besonderer Verve vorzutragen: Jene Systemkritik an der marktwirtschaftlichen Ordnung, die einerseits von der Persiflage als „erbarmungsloser Marktlogik“ mit einer vorgeblich ungebremst aufgehenden Schere zwischen Arm und Reich lebt.
Und die andererseits übersieht, dass die Soziale Marktwirtschaft als Ordnung der Freiheit ohne Demokratie weder theoretisch noch historisch nachhaltig denkbar ist – aber umgekehrt eine Einschränkung der Freiheit, die auch eine wirtschaftliche ist, auch die Demokratie untergräbt.
Westliche Demokratie und Marktwirtschaft beruhen auf der Wertebasis, wie sie durch Aufklärung und Französische Revolution für die Selbstermächtigung der Bürger geprägt wurde.
Die deutsche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung mit ihrer hohen Innovationskraft, ausgebautem Wohlfahrtsstaat, eingeübter Sozialpartnerschaft und dualer Berufsausbildung ist der überzeugende Beleg dafür, dass auch in Zeiten globaler Arbeitsteilung und Digitalisierung ein anhaltender Beschäftigungsaufbau mit guten Löhnen gelingen kann.
Wer jetzt die Corona-Entschleunigung zur Chance erklärt, der entwertet all diese Möglichkeiten individueller Entwicklung. Und er verkennt, dass es bei uns niemals um einen Markt ohne Staat, sondern immer nur um eine demokratiekonforme Marktwirtschaft geht.
Der staatlich regulierte Markt ist das effizienteste System der Anpassung
Zur ordnungspolitischen Perspektive auf die Marktwirtschaft gehört die Erkenntnis, dass sich globale Umweltprobleme nur über umweltpolitische Regulierungen, Steuern und Zertifikatlösungen angehen lassen.
Dabei muss es effiziente Lösungen geben, denn in der ökonomischen Theorie sind diese Probleme Ausdruck unregulierter Knappheit von Ressourcen oder einer Übernutzung der Umwelt. Hier ist die Findigkeit des „Wettbewerbs als Entdeckungsverfahren“ (Friedrich August von Hayek) gefragt.
Aktuell zeigt sich, wie wichtig dafür privates Kapital ist, wenn man die Forschungsanstrengungen vieler pharmazeutischer Unternehmen weltweit betrachtet. Der Markt löst zwar nicht aus sich heraus alle Probleme, doch bei klarer staatlicher Orientierung und Regulierung bietet er das effizienteste System der Anpassung.
Das Streben nach Lösungen, die anderen Menschen helfen, ist der Antrieb unserer Marktordnung; nicht die nackte Gier, die versucht, jedweder Haftung zu entgehen.
Wer jetzt den Ausnahmezustand zur neuen Normalität erhebt, der verkennt nicht nur die enorme Bedrohung für viele Lebenssituationen, sondern predigt im Grunde, dass der totale Staat die Lösung sein könnte.
Offen wird darüber selten gesprochen von denen, die die ihnen angemessen erscheinenden Lebensweisen zur Norm für alle erheben wollen.
Der eloquente Vortrag über Wachstumsrücknahme (De-Growth) endet stets dort, wo der dafür nötige Verlust an Freiheit und den Bedarf an staatlichem Zwang dagegenzustellen wäre. Auch die Frage der Finanzierung des umfangreichen Sozialstaats bei schrumpfender Steuerbasis scheint irrelevant.
Es fällt schmerzlich auf, wie leichtfertig von führenden Vertretern von „Fridays for Future“ und erst recht von „Extinction Rebellion“ mit den Freiheits- und Bürgerrechten umgegangen wird.
Für sie mutiert die Corona-Krise zur politischen Chance, denn sie zeige ja, „was geht, wenn alle wollen“. Schon die Formulierung ist irreführend.
Denn in einer solchen Notlage müssen alle gleichermaßen reagieren, von „wollen“ kann da kaum die Rede sein. Der Ausnahmezustand ist die Stunde des Staates, auch jenseits vieler Gesetze, aber eben nur vorübergehend. Deshalb setzt die Verfassung für den Fall der Fälle zurecht hohe Hürden.
Zum Autor:
Prof. Michael Hüther, geboren am 24.04.1962 in Düsseldorf, absolvierte von 1982 bis 1987 sein Studium der Wirtschaftswissenschaften sowie der mittleren und neuen Geschichte an der Uni Gießen. 1991 wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter und 1995 Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Im Jahr 1999 wechselte er als Chefvolkswirt zur DekaBank und wurde dort 2001 zum Bereichsleiter Volkswirtschaft und Kommunikation ernannt. Seit August 2001 ist er Honorarprofessor an der EBS Business School in Oestrich-Winkel. Seit Juli 2004 ist er Direktor und Mitglied des Präsidiums beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln.
http://www.iwkoeln.de