Die Verwerfungen des ersten Lockdowns konnte die deutsche Industrie dank vorhandener Auftrags- und Lagerbestände noch recht gut ausgleichen. Für 2021 steht diese Reserve vielerorts nicht mehr zur Verfügung. Die Folge: Zahlreiche Unternehmen kämpfen derzeit mit einer validen Planung für das kommende Jahr. Die Aufstellung eines klassischen Budgets ist in diesen Zeiten nicht das passende Werkzeug. Die sinnvolle Alternative: Szenario-Denken.

Wilhelm Goschy
Die anhaltende Corona-Pandemie erschwert in den Führungsetagen vieler Unternehmen die Planungen für das kommende Jahr beträchtlich. Das wird deutlich an der immensen Schwankungsbreite der für 2021 erwarteten Umsätze, die in einigen Marktsegmenten – im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 – bei 50 Prozent liegt.
Nimmt man dann noch die erschwerten Bedingungen bei der Neukundenakquise hinzu, ist die Aufstellung eines validen Budgets für das kommende Jahr in der Tat ziemlich problematisch.
Aber wie soll man sich unternehmerisch vorbereiten? Je nach Marktsituation kann es hilfreich sein, eine gröbere Basisplanung vorzunehmen, um von diesem Punkt aus zwei bis drei Szenarien zu entwickeln. Erfahrene Unternehmer nehmen dabei nicht allein die Stufen abwärts ins Visier, sondern denken auch in positiven Szenarien.
Die zuletzt von der hart getroffenen Kultur-Szene aufgestellte Behauptung: „Wir müssen alles erwarten – auch das Gute“ gilt nämlich auch für Industrie und Handel.
Was geben vorhandene Strukturen her?
Die Umstellung vom Budget- auf ein Szenario-Denken fällt vielen Unternehmen allerdings schwer. Wenn es darum geht, fixe Kostenstrukturen zu hinterfragen oder eine Make-or-Buy-Rechnung aufzustellen, kann alles noch im herkömmlichen Rahmen bearbeitet werden.
Aber wenn die Größenordnungen plötzlich Dimensionen erreichen mit plus oder minus 25 Prozent Umsatz, dann läuft es häufig auf eine echte Mentalitätsprobe hinaus. Es wird schlichtweg ausgeschlossen, dass die vorhandenen Strukturen und Prozesse solche Szenarien hergeben.
Als Unternehmensberater mit zahlreichen Restrukturierungsmandaten haben wir jedoch die Erfahrung gemacht, dass Organisationen deutlich dehnbarer und variabler aufgestellt werden können, als es aus der Innensicht eines Unternehmens zunächst für vertretbar erscheint.
Manchmal bedarf es eben der Sicht von außen, um die vorhandenen Potenziale aufzudecken. In vielen Unternehmen können die Reserven in den Prozessen gut und gerne um 20 Prozent reduziert werden, ohne den Geschäftsbetrieb auch nur annährend zu gefährden. Viele haben in der Corona-Krise gelernt, Kerngeschäftsprozesse mit minimalen Ressourcen zu betreiben. Diese Erkenntnisse gilt es nun mitzunehmen und nachhaltig zu verankern.
Kommunizeren und Unsicherheit nehmen
Übrigens verunsichern Prognose-Lücken auch die Belegschaft. Aus Angst, falsche Zahlen zu verbreiten, die man später revidieren muss, wird derzeit auch nach innen viel zu spärlich kommuniziert. Das sorgt bei den Mitarbeitern für Verunsicherung. Sie fragen sich, wie es weitergeht; vor allem über die Kurzarbeit hinaus.
Hinzu kommt, dass selbst etablierte und in den vergangenen Jahren sehr erfolgreiche Unternehmen ihre Strukturen bisher nicht konsequent genug an die Herausforderungen der Megatrends wie Digitalisierung oder E-Mobilität angepasst haben.
Der „Corona-Katalysator“ konfrontiert die Unternehmen nun umso drastischer mit Fragen: Wie können die geschaffenen Strukturen auch bei einer reduzierten Top-Line flexibel angepasst werden, ohne zu große Einschnitte und Einbußen hinnehmen zu müssen?“ Mit den Antworten sollten sich die Unternehmen nicht zu viel Zeit lassen.
Mehr zum Thema im aktuellen Staufen-Whitepaper „Predictive Restructuring – Corona-Update“.
Zum Autor:
Wilhelm Goschy ist CEO der Staufen AG. Seit 2011 ist der Lean-Experte Vorstandsmitglied der internationalen Transformationsberatung. Dort verantwortet er den Bereich Business Development sowie die strategische Branchen- und Marktbearbeitung. Goschys Beratungsschwerpunkte liegen auf wertstromorientierten Fabrikkonzepten, der Implementierung von Wertschöpfungssystemen und dem Coaching von Führungskräften. Außerdem war er in den vergangenen Jahren maßgeblich am Ausbau des Auslandsgeschäfts der Staufen AG beteiligt.