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Creditreform

Der hohe Überschuss in der deutschen Leistungsbilanz steht immer wieder in der Kritik. Wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf wird aus der Behauptung abgeleitet, dieser Überschuss schade entweder anderen Ländern, uns selbst oder gar allen. Dabei wird der Eindruck erweckt, die außenwirtschaftliche Position der Bundesrepublik sei Folge zielgerichteten wirtschaftspolitischen Handelns, und ihre Korrektur bedürfe nur des makropolitischen Willens, wahlweise der Lohnpolitik oder der Finanzpolitik.

In einer Vorstellungswelt, die von Saldenbetrachtungen geprägt ist, nur homogene Güter kennt und die These zugrunde legt, dass Wechselkurse, Löhne und Preise vollständig flexibel sind, ist ein persistenter Überschuss oder ein Defizit in der Leistungsbilanz tatsächlich nicht plausibel. Die Anpassungspfade zum Leistungsbilanzausgleich verlaufen über Aufwertung, Preis- und Lohnreaktionen. Umgekehrt findet man diese Argumentation auch in dem Hinweis auf den aus deutscher Sicht schwachen Euro zur Erklärung des Überschusses – der Ausgleich bleibt demnach aus, weil wir Teil einer Währungsunion sind. Interessanterweise ist der Überschuss bezogen auf den Euro-Außenwert aber recht robust. Und die Schweiz macht vor, dass man auch bei anhaltender Aufwertung einen steigenden Leistungsbilanzüberschuss haben kann. Die simple Modellwelt hilft nicht.

Weitet man den Blick auf die Kapitalbilanz als Spiegelbild der Leistungsbilanz aus, dann erscheint das Konzept außenwirtschaftlichen Ungleichgewichts bei liberalisiertem Kapitalverkehr jedoch grundsätzlich als fragwürdig. Denn dem Überschuss hier steht das Defizit dort gegenüber. Man kann gut begründen, dass die Kapitalbilanz wegen der längeren Fristigkeit der ihr zugrunde liegenden Transaktionen sogar den Takt vorgibt. Der Anstieg der deutschen Sparquote um 5,5 Prozentpunkte seit 2000 und die gleichzeitig um 4,5 Prozentpunkte gesunkene Investitionsquote erklären das steigende Kapitalbilanzdefizit. Offenkundig gibt es längere Phasen, in denen Volkswirtschaften Nettokapitalimporteur – wie die USA – oder Nettokapitalexporteur – wie Deutschland – sein können, und das bei einer ähnlich guten Arbeitsmarktsituation in beiden Ländern.

Häufig vorgetragen wird das Argument der Wettbewerbsfähigkeit, das oft im ideologisch gefärbten Streit darüber endet, ob ganze Volkswirtschaften überhaupt wettbewerbsfähig sein können oder nur Unternehmen. Jedenfalls führt dies zur Frage, in welchem Maß der volkswirtschaftliche Strukturwandel und die damit einhergehende Spezialisierung in der globalen Arbeitsteilung einen Erklärungsbeitrag leisten können. Volkswirtschaften mit einem hohen Industrieanteil weisen tendenziell starke Exporte und Leistungsbilanzüberschüsse auf. Die deutsche Exportquote hat sich seit Anfang des Jahrtausends von 25 auf 46 Prozent erhöht, das Importwachstum blieb zurück. Die Exporte bestehen vielfach aus Investitionsgütern und der deutsche Leistungsbilanzüberschuss weist bezogen auf das BIP einen hohen Gleichlauf mit der globalen Investitionstätigkeit auf. Während die schwache deutsche Inlandsnachfrage 2001 bis 2005 die Importe gebremst hat, hat sich der Leistungsbilanzüberschuss zuletzt trotz einer dynamischeren Inlandsnachfrage nicht verringert. Das liegt an der Entlastung durch den Ölpreis, vor allem aber an der Exportdynamik.

Wer die Politik zum Handeln auffordert, der muss gute Gründe vorweisen und nicht lediglich wie der IWF Abweichungen von der Modellwelt beklagen. Die Antwort auf die Frage, wer eigentlich der Geschädigte des Leistungsbilanzüberschusses ist, bleibt stets sehr unpräzis. Protektionismus jedenfalls muss sich Deutschland nicht vorwerfen (lassen). Natürlich ist es richtig, Dienstleistungssektoren weiter zu öffnen. Das gilt ebenso für die Behebung der Infrastrukturdefizite. Doch das Geld für mehr öffentliche Investitionen steht zur Verfügung, es fließt nicht ab. Eine Vereinfachung der Planungsverfahren und der Ausbau der Planungskapazitäten sind sicher wichtig, doch selbst 30 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen könnten einen Leistungsbilanzüberschuss von 300 Milliarden Euro nicht nennenswert reduzieren. Vor allem aber: Die Mobilisierung privater Investitionen setzt eine entsprechende angebotspolitische Agenda voraus.