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Creditreform

Ob die Sondierungsergebnisse letztlich zu einer erneuten Koalition zwischen Union und SPD führen, ist noch nicht sicher. Sicher erscheint aber schon jetzt, dass wichtige wirtschaftliche Zukunftsthemen ausgeklammert wurden. Dabei werden die wirtschaftspolitischen Herausforderungen für einen nachhaltigen Weg zur Vollbeschäftigung angesichts von Globalisierung, Digitalisierung und des demografischen Wandels größer.

In den Sondierungen drehte sich Vieles darum, die jeweiligen Probleme der beteiligten Parteien zu lösen, die vom Wähler abgestraft wurden. Dafür wurden viele kleine, in der Summe keineswegs stimmige Geschichten angeboten. Was fehlt, ist eine große Erzählung, wie die aktuell hervorragende wirtschaftliche Lage fortgeschrieben werden kann.

Dabei enthält das Sondierungsergebnis auch positive Elemente. Etwa eine Drei-Säulen-Strategie zur Fachkräftesicherung inklusive Einwanderungsgesetz, die steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung in Unternehmen sowie das Ziel, gesamtwirtschaftlich 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben. Ebenso die Aufweichung des Kooperationsverbots, den flächendeckenden Ausbau des Gigabit-Netzes und die Beschleunigung von Planungsverfahren, die Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung und eine bessere Integration von Langzeitarbeitslosen, mehr Qualität in der Kinderbetreuung, eine Erneuerung der Regionalpolitik sowie ein Bekenntnis zum Freihandelsabkommen Ceta.

Doch darüber hinaus fehlt eine Perspektive. Der internationale Wettbewerb nimmt zu, nicht zuletzt durch die US-Steuerreform. Asiatische Länder gehen bei der Digitalisierung voran. Wie kann Deutschland weiter von der Globalisierung profitieren, wenn es z.B. in der Rentenpolitik den demografischen Wandel ausblendet und die Klimapolitik immer teurer wird? Dabei geht es um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und damit der Arbeitsplätze. Der Begriff Wettbewerbsfähigkeit taucht in den Sonderungen nur bei Verkehr und Infrastruktur auf. Und im Finanztableau kann man lediglich knapp sechs Milliarden Euro für Forschung, Entwicklung und Hochschulen direkt dazu zählen. Die Minderung des Solidaritätszuschlags für Unternehmen steht aus. Die Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung wird durch die Wiedereinführung der paritätischen Beitragsfinanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung mehr als aufgezehrt.

Wer Vollbeschäftigung erreichen und sichern will, der muss zweifellos die Problemgruppen am Arbeitsmarkt adressieren. Im Zentrum aber steht die Entstehung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze. Das Arbeitsrecht und das Steuerrecht sind dafür von großer Bedeutung. Die digitale Transformation erfordert mehr Flexibilität. Das Bundesarbeitsministerium hat in dem Dialogprozess „Arbeiten 4.0“ die Notwendigkeit von Experimentierräumen etwa bei der Arbeitszeitordnung deutlich gemacht. Davon findet sich nichts wieder.

Wer die Fachkräfteversorgung sichern will, der muss über Arbeitszeiten reden. Die Jahresarbeitszeit und die Lebensarbeitszeit sollten nicht einfach tabuisiert werden. Einen fairen Ausgleich zwischen steigender Lebenserwartung und kollektiver Alterung über einen weiteren sukzessiven Anstieg des gesetzlichen Rentenzugangsalters ab dem Jahr 2031 zu suchen wird unvermeidbar sein. Auf die gebotene Rückabwicklung der Rente mit 63 zu hoffen war freilich ebenso naiv wie der Appell, die Mütterrente nicht auszubauen.

Enttäuschend sind die Ergebnisse zur Steuerpolitik. Das gilt mit Blick auf die internationale Lage, auf die die deutsche Unternehmensbesteuerung reagieren muss. Das gilt aber ebenso angesichts der Wahlprogramme von Union und SPD, die eine Verschlankung des Mittelstandsbauchs, ein späteres Zugreifen des Spitzensteuersatzes und einen Soli-Abbau versprachen. Zwar muss man Wahlprogramme nicht wörtlich nehmen. Wohl aber den darin enthaltenen Befund, dass Freiheit im Kontext wirtschaftlichen Handelns gestärkt werden muss: Der Steuerzugriff ist zu legitimieren, weil er die individuelle Freiheit mindert. Soziale Marktwirtschaft ist eine Ordnung zur begründeten Disziplinierung der Freiheit, nicht zu deren beliebiger Einschränkung. Weder verteilungspolitisch noch fiskalpolitisch gibt es derzeit überzeugende Argumente gegen eine vollständige Abschaffung des Solis. Das ist eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit.

Zum Autor:

Prof. Michael Hüther, geboren am 24.04.1962 in Düsseldorf, absolvierte von 1982 bis 1987 sein Studium der Wirtschaftswissenschaften sowie der mittleren und neuen Geschichte an der Uni Gießen. 1991 wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter und 1995 Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Im Jahr 1999 wechselte er als Chefvolkswirt zur DekaBank und wurde dort 2001 zum Bereichsleiter Volkswirtschaft und Kommunikation ernannt. Seit August 2001 ist er Honorarprofessor an der EBS Business School in Oestrich-Winkel. Seit Juli 2004 ist er Direktor und Mitglied des Präsidiums beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln.
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