Die Bundesministerien für Inneres, Arbeit und Soziales sowie Wirtschaft haben ein wegweisendes Eckpunktepapier zur Fachkräfteeinwanderung vorgelegt. Ein darauf basiertes Einwanderungsgesetz könnte Klarheit über die Zugangswege für die Arbeitsmigration nach Deutschland schaffen und die Schwachstellen des bisherigen Systems beseitigen.
Zukünftig sollen anders als derzeit nicht mehr Engpässe in bestimmten Berufen ausschlaggebend sein, sondern allein die Tatsache, dass eine Qualifikation zu einer ihr gemäßen Beschäftigung in Deutschland führt. Dass damit die sogenannte Vorrangprüfung aufgegeben wird, war überfällig. Die Kritik, nun könnten deutsche Arbeitslose benachteiligt werden, ist populistisch und von ökonomischer Unkenntnis geprägt. Denn welchen Sinn hat es, angesichts bestehender Regelungen im Tarif- und Arbeitsrecht ausländische Fachkräfte allein wegen ihrer Herkunft einzustellen? Unternehmen interessieren sich für neue Mitarbeiter, die zu ihrer Belegschaft passen; sie fragen nach deren fachlicher Qualifikation und sozialer Kompetenz und verfolgen keine heimliche Agenda, deutsche Kräfte gegen ausländische zu ersetzen. Im Übrigen weitet sich der Fachkräftemangel auf immer mehr Berufsfelder aus; die Arbeitsagenturen sind mit der Vorrangprüfung schlicht überfordert.
Das neue Einwanderungsgesetz soll die bisherige, in der Blue Card-Regelung angelegte Fokussierung auf Hochschulabsolventen aufheben; dazu werden Fachkräfte mit dualer Berufsausbildung diesen gleichgestellt. Tatsächlich ist im Bereich technischer Qualifikationen die Fachkräftelücke noch größer und wird durch den demografischen Wandel weiter wachsen, auch befördert durch den anhaltenden Akademisierungstrend. Dies betrifft am stärksten die MINT-Fachkräfte und Pflegeberufe. Die bisherigen Regelungen waren hier blind. Das Eckpunktepapier sieht zudem vor, dass jungen Menschen von außerhalb Europas der Zugang zur dualen Berufsausbildung hierzulande erleichtert wird.
Kritisiert wird auch, dass die Gesetzesüberlegungen kein Punktesystem enthalten. Doch dieses ist nachrangig, denn jede Detailregulierung droht, Fehlanreize auszulösen, und muss laufend aktualisiert werden. Auch Kanada als klassisches Einwanderungsland mit langjährig praktiziertem Punktesystem ist hiervon inzwischen ein Stück abgerückt. Der nun gemachte Vorschlag für einen einheitlichen Zeitraum, in dem Fachkräfte und Hochschulabsolventen – bei anerkannter Qualifikation und entsprechenden Deutschkenntnissen – zur Arbeitsplatzsuche nach Deutschland kommen können, erscheint praktikabler.
Fachkräftezuwanderung einerseits sowie Flucht und Asyl andererseits sind zwei unterschiedliche Migrationsformen, die grundsätzlich nicht vermischt werden sollten. Flucht und Asyl könnten andernfalls der administrativ für Migranten einfachere Weg sein, hierher zu kommen und die gesetzlich definierte Steuerung der Erwerbsmigration auszuhebeln. Das setzt aber voraus, dass die Anerkennungsverfahren für Fachkräfte tatsächlich „schnell und einfach“ sind, wie es in dem Eckpunktepapier heißt. Dafür müssen die Verwaltungsverfahren zwischen Visastellen, Ausländerbehörden, Arbeitsverwaltung und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verbessert werden. Ein Angebot aus einer Hand in einem One-Stop-Shop wäre eine naheliegende Lösung. Denn es darf nicht sein, dass die Zuwanderung von Fachkräften gesetzlich vereinfacht wird, dann aber daran scheitert, dass die Verfahren zu bürokratisch und langwierig sind.
Ein weiterer Aspekt ist der Umgang mit arbeitsfähigen und –willigen Personen, die per Fluchtmigration bereits nach Deutschland gekommen sind. In der Einleitung des Eckpunktepapiers findet sich der Hinweis, dass man „die Potenziale der Personen mit Fluchthintergrund, die eine Beschäftigung ausüben dürfen, für unseren Arbeitsmarkt“ nutzen wolle. Das klingt dann doch nach einem „Spurwechsel“ aus dem Asylrecht in die Arbeitsmigration. Tatsächlich ist das bereits heute Rechtsstand. So eröffnet §18a des Aufenthaltsgesetzes die Möglichkeit, „Geduldeten“ nach zwei (drei) Jahren Berufstätigkeit mit akademischer (beruflicher) Ausbildung einen Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit zuzusprechen, wenn eine entsprechende Zustimmung seitens der Bundesagentur vorliegt. Im Jahr 2017 betraf dies ganze 111 Fälle. Das Aufenthaltsgesetz ermöglicht zudem, gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden den Aufenthalt zu gewähren.
Es wäre wenig hilfreich, einen Spurwechsel kategorisch auszuschließen, denn wie will man das Bestandsproblem der grundsätzlich ausreisepflichtigen Ausländer sozial verantwortlich und ökonomisch sinnvoll lösen? Die Abschiebungen hinken als Folge früherer Versäumnisse dem politisch Versprochenen weit hinterher. Und Unternehmer, gerade im Handwerk und im Mittelstand, zeigen sich empört über plötzlich anberaumte Abschiebungen von gut integrierten Geflüchteten, die eine Berufsausbildung machen oder berufstätig sind. Wie ließe sich das Dilemma lösen? Eine Stichtagsregelung könnte dies leisten. Bis zu diesem Datum – z.B. dem 31. Juli 2018 – wird für Personen, die grundsätzlich ausreisepflichtig sind, im Sinne des Paragrafen 18a Aufenthaltsgesetz geprüft, ob ein Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit gewährt werden kann. Für alle späteren Fälle wird man konsequent und rechtlich sauber die Abschiebung veranlassen müssen.
Wenn hier nicht geliefert wird, muss die Politik sich der Risiken bewusst sein, die ein Verzicht auf den „Spurwechsel“ mit sich bringt und gleichzeitig die Rückführung weiterhin misslingt. Als Negativbeispiel kann dafür die – zahlenmäßig geringere, etwa 15 000 Personen umfassende – libanesische Fluchtmigration in den 1980er-Jahren gelten: Den Menschen wurde der Zugang zum Arbeitsmarkt über lange Zeit verwehrt. Auch deshalb bildeten sich kriminelle Strukturen heraus, die Polizei und Justiz heute große Sorgen bereiten. Deshalb sollte die Politik auch hier das tun, was das Eckpunktepapier verspricht: unaufgeregt und sachlich Probleme lösen.
Zum Autor:
Prof. Michael Hüther, geboren am 24.04.1962 in Düsseldorf, absolvierte von 1982 bis 1987 sein Studium der Wirtschaftswissenschaften sowie der mittleren und neuen Geschichte an der Uni Gießen. 1991 wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter und 1995 Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Im Jahr 1999 wechselte er als Chefvolkswirt zur DekaBank und wurde dort 2001 zum Bereichsleiter Volkswirtschaft und Kommunikation ernannt. Seit August 2001 ist er Honorarprofessor an der EBS Business School in Oestrich-Winkel. Seit Juli 2004 ist er Direktor und Mitglied des Präsidiums beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln.
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