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Langfristig geht die Anzahl der börsennotierten Unternehmen in Deutschland, aber auch international zurück. Wachstumsstarke Technologieunternehmen und große Mittelständler finden heute offenbar andere Finanzierungswege, und auch die Investoren – vom Versicherungskonzern bis zum Privatanleger – wählen lieber alternative Anlageformen. Dabei gibt es gute Gründe, die Börse als ein Instrument zur effizienten Kapitalallokation zu erhalten und zu stärken.

Aktuell wagen in Deutschland wieder mehr Unternehmen den Gang aufs Börsenparkett, für das Jahr 2017 sind 12 Börsengänge zu verzeichnen nach 8 im Vorjahr. Damit entspricht der inländische Anstieg genau dem globalen Trend, denn die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY erwartet weltweit eine 50-prozentige Steigerung auf 1.624 IPOs. Von einem neuen Drang an die Börse kann man aber hierzulande bei nur einem Börsengang pro Monat noch kaum sprechen.

Der Langfristtrend zeigt nämlich eindeutig nach unten; die Anzahl börsennotierter Unternehmen nimmt in Deutschland, aber auch in den anderen europäischen Ländern und den Vereinigten Staaten seit Jahren ab. 2016 lag die Anzahl der börsennotierten Unternehmen in Deutschland um 38 Prozent niedriger als 1991.Die Börsengänge können die Börsenabgänge durch Fusionen oder andere Formen des Delistings nicht ersetzen.

Zu diesem Trend tragen mehrere Einflussfaktoren bei. Zunächst dürfte die seit Jahren rückläufige Anzahl der Unternehmensgründungen eine Rolle spielen. Entscheidend für das Potenzial an zukünftigen Börsenneulingen ist vor allem, wie sich die Zahl neu gegründeten Unternehmen mit größerer wirtschaftlicher Bedeutung entwickelt. Dabei handelt es sich zumindest teilweise um technologieorientierte oder wissensintensive Gründungen, die zwar zu Beginn auf die Finanzierung durch sogenanntes Wagniskapital angewiesen sind, für die bei anhaltendem Markterfolg aber der Börsengang eine Option zur Finanzierung des weiteren Wachstums wäre. Doch die Zahl dieser wirtschaftlich bedeutsamen neuen Unternehmen ist in Deutschland parallel zu Gesamtzahl der Gründungen von knapp 176.000 im Jahr 2004 auf nur noch gut 126.000 im Jahr 2016 zurückgegangen. Als weiterer Grund sind wachsende Regulierungsanforderungen zu nennen. Durch eine zunehmende Regulierung sowohl für die Börsenkandidaten selbst wie auch für investitionswillige Kapitalgeber sind die Kosten eine Börsengangs erheblich gestiegen, während für alternative Finanzierungsformen geringere Kosten anfallen.

Als dritter Grund für die rückläufigen IPOs ist die wachsende Bedeutung privater Beteiligungsgesellschaften zu nennen. Private-Equity-Gesellschaften versorgen Unternehmen mit Eigenkapital. Damit die Beteiligungsgesellschaften dies leisten können, müssen sie selbst Geld von Investoren einsammeln. Dies tun sie offenbar sehr erfolgreich, die weltweit durch Private-Equity-Gesellschaften eingeworbenen Mittel stiegen von 31 Milliarden Dollar 1996 auf zuletzt 347 Milliarden Dollar. Im Fall Deutschlands spricht einiges dafür, dass Unternehmen, die Eigenkapital aufnehmen wollen, privates Beteiligungskapital zunehmend als Alternative zum Börsengang betrachten.

Die rückläufige Anzahl der börsennotierten Unternehmen ist also recht gut zu erklären; es stellt sich aber die Frage, ob sie wirklich ein Problem darstellt oder zu einem werden könnte. Können nicht sowohl kapitalsuchende Unternehmen wie auch Investoren mit der neuen Welt der Finanzierung unter Umgehung der Aktienmärkte ganz gut leben? Momentan sieht es so aus, doch man sollte nicht übersehen, dass die Börse ein sehr effizientes Instrument der Kapitalallokation ist. Der Börsenkurs gibt laufend Signale über die Einschätzung der wirtschaftlichen Situation von Unternehmen ab, Anteile können – auch wenn die Langfristfinanzierung im Vordergrund steht – relativ zügig gekauft oder veräußert werden. Die Börse ist ein Kapitalmarkt im besten Sinne, mit hoher Transparenz für (potenzielle) Käufer und Verkäufer. Ob die derzeit bevorzugten Finanzierungsalternativen langfristig ähnlich erfolgreich sein werden, bleibt zweifelhaft.

Steigende Regulierungsanforderungen haben dazu beigetragen, dass sich wichtige Investorengruppen wie Banken und Versicherungen in den letzten Jahren von den Börsen zurückgezogen haben, sodass deren Anlagekapital für Börsengänge von jungen Wachstumsunternehmen fehlt. Gleichzeitig haben Versicherungen angesichts des Niedrigzinsumfelds zunehmend Probleme, für ihre Anlagen auskömmliche Renditen zu erzielen. Auch Betriebsrentenfonds stehen vor diesem Problem, das durch regulatorische Erleichterungen für langfristige Börsenengagements gemildert werden könnte. Eine Verbesserung der Bedingungen für Börsengänge und damit eine Umkehr des Trends zu immer weniger an der Börse gelisteten Unternehmen sind damit nicht nur für die Unternehmensfinanzierung relevant, sondern auch für die Anlageentscheidungen zur Altersvorsorge. Die Tätigkeit des 2015 unter Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums eingerichteten „IPO Roundtable“, der sich mit der Verbesserung der Zugangsbedingungen zur Börse befasst und Maßnahmen zur Stärkung der Börsenkultur in Deutschland erarbeitet, ist deshalb zu begrüßen.