Die Debatte um „abgehängte Regionen“ intensiviert sich. Oft wird dabei die Regionalentwicklung mit dem Tenor des Auseinanderdriftens „reicher“ und „armer“ Regionen diskutiert. Doch diese Darstellung ist verzerrt. Tatsächlich sind die regionalen Problemlagen in Ost und West, Nord und (selten) Süd sehr differenziert, wie eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft* aufzeigt.

Prof. Michael Hüther: „Die regionalen Problemlagen sind sehr unterschiedlich. Eine One-size-fits-all-Politik“ kann insofern nicht funktionieren.“ (Foto: Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.)
In den vergangenen 20 Jahren erlebt Deutschland eine kräftige Urbanisierung, wirtschaftliche Aktivität verlagert sich in die Städte und auch die Bevölkerung zieht urbane Wohnorte vor, was zu Problemen auf städtischen Wohnungsmärkten führt.
Doch viele ländliche Regionen sind weiterhin wirtschaftsstark, da die Industriestandorte in Deutschland regional verteilt sind. Betrachtet man nur das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner, gab es seit dem Jahr 2000 sogar eine leichte Konvergenz zwischen ländlichen und städtischen Regionen.
Diese wurde aber gerade durch die demografische Entwicklung begünstigt: Insbesondere ländliche Regionen in Ostdeutschland konnten aufholen, da sie Einwohner verloren haben.
Dies hat auch zum kräftigen Rückgang der Arbeitslosigkeit beigetragen. Nun fehlen dort aber junge Menschen, die das (Wirtschafts-)Leben in der Zukunft aufrechterhalten.
Vollkommen anders sind die Probleme in strukturschwachen städtischen Regionen in Westdeutschland wie dem Ruhrgebiet und Bremerhaven gelagert.
Trotz Abwanderung sieht hier die Demografie besser aus als im ländlichen Raum Ostdeutschlands, aber der Verlust industrieller Wertschöpfung in der Montanindustrie beziehungsweise im Bereich Werften und Fischfang konnte bis heute nicht ausgeglichen werden und die Arbeitslosigkeit verharrt bei etwa zehn Prozent.
Eine wirklichkeitsnahe Analyse
Bisherige Studien haben meist allein auf ein Kriterium zur Beurteilung regionaler Probleme abgestellt und kamen so zu einseitigen Aussagen – demgegenüber betrachtet die neue IW-Studie zur Zukunft der Regionen eine Vielzahl von Indikatoren, anhand derer ein Kreis von 19 gefährdeten Regionen in verschiedenen Landesteilen Deutschlands ermittelt werden konnte.
Dabei wurde das Indikatoren-Set so gewählt, dass die regionalen Unterschiede in den Bereichen Wirtschaft, Demografie und Infrastruktur erfasst werden:
- Die wirtschaftlichen Indikatoren bilden vor allem die ökonomische Situation der privaten Haushalte ab.
- Die demografischen Indikatoren erfassen unter anderem die Einwohnerentwicklung, sie bilden mit Fertilitätsrate, Durchschnittsalter und Lebensalter aber auch die Zukunftsfähigkeit einer Region ab.
- Die breit gefassten Infrastrukturindikatoren bieten einen Hinweis auf die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Hand, liefern mit Blick auf die Breitbandausstattung aber auch Indizien für die Modernität bzw. Innovationsfähigkeit.
Analysiert wurden die 96 deutschen Raumordnungsregionen, die die 401 Kreise nach ihren Verflechtungen zusammenfassen.
Mit Blick auf die Summe der Indikatoren gibt es in insgesamt 19 deutschen Regionen akuten Handlungsbedarf für die Politik, damit die Gebiete nicht den Anschluss verlieren. Dazu gehören elf Regionen in den neuen Bundesländern, vier Regionen in Nordrhein-Westfalen entlang der Ruhr sowie Bremerhaven, das Saarland, Schleswig-Holstein Ost und die Westpfalz.
Unterschiedliche Probleme erfordern differenzierte Strategien
Die aufgezeigten Problemlagen sind sehr unterschiedlich, was sich auch in der Antwort der Politik spiegeln muss. Das Ruhrgebiet braucht neue Unternehmensansiedlungen und mehr Gründungen, um Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze zu schaffen.
Ostdeutsche Regionen wie das südliche Sachsen-Anhalt, die Lausitz und Teile Thüringens müssen mit Hilfe von Bund und Ländern eine Demografie-Strategie entwickeln, um die Versorgung älterer Menschen sicherzustellen, die Siedlungsstruktur anzupassen und Fachkräfte im In- und Ausland anzuwerben.
In der Altmark, Magdeburg und Halle muss hingegen vorrangig die digitale Infrastruktur ausgebaut werden.
In den westdeutschen Regionen Emscher-Lippe/Ruhr, Trier und Westpfalz plagen besonders hohe Verschuldungsquoten, die aufgrund fehlender Investitionsmöglichkeiten zum Verfall kommunaler Infrastrukturen beitragen.
Die betroffenen Länder sollten Schuldenerlasse für die Kommunen in Betracht ziehen, damit diese wieder handlungsfähig werden.
Deutlich wird anhand der Studienergebnisse, dass es keine „One size fits all“-Politik zur Lösung regionaler Probleme in Deutschland gibt. Unterschiedliche Gefährdungen erfordern genauso unterschiedliche Lösungsansätze.
Deutlich wird ebenso, dass ein Aufgeben einzelner gefährdeter Regionen weder ökonomisch, noch gesellschaftlich und politisch sinnvoll ist. Diese Option verkennt, dass gehandelt werden kann, und zwar mit Aussicht auf Erfolg.
Zum Autor:
Prof. Michael Hüther, geboren am 24.04.1962 in Düsseldorf, absolvierte von 1982 bis 1987 sein Studium der Wirtschaftswissenschaften sowie der mittleren und neuen Geschichte an der Uni Gießen. 1991 wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter und 1995 Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Im Jahr 1999 wechselte er als Chefvolkswirt zur DekaBank und wurde dort 2001 zum Bereichsleiter Volkswirtschaft und Kommunikation ernannt. Seit August 2001 ist er Honorarprofessor an der EBS Business School in Oestrich-Winkel. Seit Juli 2004 ist er Direktor und Mitglied des Präsidiums beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln.
http://www.iwkoeln.de