Mit vorhersagbarer Sicherheit tauchen zum Jahreswechsel zahlreiche, in der Regel nur bedingt sinnvolle, Vorhersagen auf. Experten der vorhergesagten Themen können häufig nur müde lächeln. Zum Einen weil Komplexität nicht erkannt wird. Zum Anderen aber auch, weil Technologien kurzfristig häufig überschätzt, dann langfristig dramatisch unterschätzt werden.
Dieser Artikel ist eine kleine Metaphysik des alljährlichen Prognosewahnsinns. Gleichzeitig ein Rückblick auf meine Artikel in 2014.
Kreiseldenken
Na klar: Die Erde „fliegt“ einmal im Jahr auf einer (Fast-) Kreisbahn um die Sonne. Doch Technologien und Gesellschaften entwickeln sich deswegen nicht in Jahreszyklen. Die Basis unseres Kalenders stammt aus prähistorischer Zeit und orientiert sich an Jahreszeiten und den beiden Sonnenwenden. Der vom Wetter abhängigen Landwirtschaft war dies sehr zuträglich. Damals.
Doch unsere heutige Welt funktioniert anders. Das zyklische Denken vergangener, abergläubischer Kulturen dürfte ein maximal unbrauchbarer Ansatz sein, die Welt des 21. Jahrhunderts beschreiben zu wollen.
Lineares Denken
In unserem Kalender nimmt jeder Tage soviel Raum ein wie der vorhergehende. (Von der Schaltsekunde einmal abgesehen). Doch einige Technologien entwickeln sich exponentiell – oder noch schneller: Speicherdichte hat sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt vertausendfacht; die Anzahl der Transistoren pro Dollar und Fläche verdoppelt sich grob alle 24 Monate. Trotz allen Unkenrufen sind dies ungebrochene Trends.
Es ändert etwas, wenn jeder Mensch auf einem USB Stick das Weltwissen mit sich herumtragen kann. Dieses Etwas ist schwer fassbar. Seine Wechselwirkung dürfte aber exorbitant sein.
Exponentialität können wir nur sehr schlecht abschätzen (sehen Sie dazu auch meinen BigData Artikel). Diese Unfähigkeit wird durch die Gewohnheit des linearen Abzählens von Mengen und Zeit nicht unbedingt vermindert.
Das Problem, wenn lineare Zeitmessung auf exponentielle Effekte trifft ist, dass mit jeder Zeiteinheit immer noch mehr Neues in die Welt tritt, dass es zu bewerten gilt. Wenn also nicht die physikalisch gemessene Zeit, sondern das Potential der Zeit Maßstab für Legislaturperioden sein würden, müssten diese beständig kürzer werden.
Eindimensionales Denken
Sich die Zukunft als einen einzelnen Pfad vorzustellen, enthält einige Risiken (sehen Sie dazu auch meinen Artikel 5 Aspekte für einen professionelleren Umgang mit der Zukunft). Denn zum Einen ist es schwer vorherzusagen, welche Technologien sich schlussendlich durchsetzen. Da gewinnt nicht immer die bessere. Zum Anderen ist es noch schwerer vorherzusagen, wie Technologien mit sich selbst und dann mit der Gesellschaft wechselwirken. Folglich spricht man besser von Zukünften.
Zur Einführung des Automobils wurde spekuliert, ob Pferde wohl arbeitslos würden. Prognosen sprachen damals davon, dass sich die Qualität der Arbeit von Pferden wohl verändern würde, dass es aber immer genug Arbeit für Pferde geben würde. Nie wieder gab es so viele Pferde in den Städten, wie zu dieser Zeit.
Und so geht es uns heute auch: Das mittlerweile sehr viel zitierte selbstfahrende Automobil wird unsere Gesellschaft, unsere Märkte, unsere Branchen verändern. Doch auf welche Weise? Welche Jobs für Menschen werden nach der Industrie 4.0 Revolution übrig bleiben? (sehen Sie dazu meinen Artikel Wider den Aberglauben).
Seriöses Denken
In der Praxis ist seriöses Denken häufig von langweiligem Denken nicht zu unterscheiden. Natürlich müssen Unternehmenslenker sehr viele Parameter für ihre Zukunftsentscheidungen berücksichtigen. Doch die Frage ist nicht, ob sie mit zu vielen Parametern jonglieren. Die Frage ist eher, ob es derer nicht zu wenig sind.
Seriöses Denken im Jahre 1975 war durch Beständigkeit und einen Mehrjahresplan geprägt. Seriöses Denken 2015 ist komplexer. Während Technologien in immer kürzeren Abständen auf Unternehmen zukommen und immer kürzere Investitionszyklen erzwingen muss der Blick gleichzeitig in die weitere Ferne gehen. Viel weiter als ein Quartalsbericht dies erlaubt. Denn was die kurzfristig richtige Investitionsentscheidung für die nächste Stufe der Unternehmensentwicklung ist, misst sich auch an einer unternehmerischen Vision vom zumindest nächsten Treppenabsatz (sehen Sie dazu auch meinen Artikel vom Lob der multiplen Unternehmerpersönlichkeit).
Spielerisches Denken
Und die Lösung? Was ist denn nicht-lineares, phantasievolles, was-wäre-wenn Denken? Die Lösung ist so einfach, wie genial: Das Spiel – der effektivste Umgang mit dem „als ob“. In dieser Disziplin liegt enorme Kraft, die sich in einigen, zur Zeit bewunderten Unternehmen entfacht, die aber auch die Kunst antreibt (lesen Sie hierzu auch meinen Artikel über Gamification).
Zum Abschluss dieses Artikels daher 3 Tipps:
- Spielerisches Denken muss klaren Regeln folgen. Sie müssen schon wissen, welches Spiel Sie spielen.
- Spielerisches Denken muss mit Informiertheit einhergehen. Sonst spielen Sie ein Spiel für sich allein.
- Spielerisches Denken muss unzensiert sein. Beschränkungen und Filter schaden in der Strategiefindung nur dem, der sie hat.
Ich wünsche Ihnen eine fröhliche weitere Sonnenumrundung!