Auch 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer weisen die neuen Bundesländer einen deutlichen wirtschaftlichen Rückstand gegenüber dem Westen Deutschlands auf. Je Einwohner gerechnet kommen die fünf Flächenländer nur auf zwei Drittel des westdeutschen Bruttoinlandsprodukts, unter Einschluss Berlins sind es 71 Prozent. Da stellt sich die Frage, worin diese persistente Differenz begründet liegt. Sind wirklich alle wirtschaftlichen Akteure im Osten um ein Drittel weniger leistungsfähig als jene im Westen? Und gilt dies auch für den Mittelstand? Dies erscheint wenig wahrscheinlich.
Während Ostdeutschland nur etwa neun Zehntel der westdeutschen Erwerbsquote erreicht und gerade die industrielle Wertschöpfung mit 17 Prozent Anteil an der Gesamtwirtschaft gegenüber dem westdeutschen Wert von 23 Prozent zurückliegt, ist der Besatz mit Unternehmen nämlich nicht geringer als im Westen. Thüringen weist sogar unter allen Bundesländern den höchsten Besatz mit industriellen Betrieben auf. Was fehlt sind Großunternehmen; so ist von 80 Dax- und MDax-Konzernen nur ein einziger in Ostdeutschland beheimatet. Die ostdeutsche Wirtschaft ist eine mittelständische Wirtschaft, und zwar in noch weit stärkerem Maße, als dies für die westdeutsche zutrifft. Denn der ostdeutsche Mittelstand ist kleinbetrieblich geprägt, während in den alten Ländern große Mittelständler dominieren, die eigentlich schon aus der EU-Mittelstandsdefinition (maximal 250 Mitarbeiter) herausfallen. Je kleiner das Unternehmen, desto geringer ist jedoch im Schnitt die Produktivität – egal ob in Ost oder West. Der Produktivitätsrückstand hat damit ganz überwiegend strukturelle Gründe.
Mehr Ballungsräume im Westen
Als weiterer Grund für den Produktivitätsabstand ist die unterschiedliche Regionalstruktur und Siedlungsdichte zu nennen. Der Westen profitiert davon, dass er mehr Ballungsräume hat als der Osten. Sechs der sieben großen Agglomerationen liegen in Westdeutschland, von Nord nach Süd sind dies Hamburg, das Ruhrgebiet, das Rheinland, Frankfurt, Stuttgart und München – in Ostdeutschland dagegen gibt es nur die Hauptstadtregion. Die nächstkleineren Zentren Dresden und Leipzig spielen bereits in einer tieferen Liga. Der Osten weist gerade einmal 10 der 75 deutschen Großstädte mit mindestens 100.000 Einwohnern auf – ein Problem, denn positive Agglomerationseffekte wie beispielsweise Lieferverflechtungen, gemeinsame Ressourcennutzung etwa im Bereich Humankapital und Wissensspillover sind ein wesentlicher Treiber der Produktivität.
Neben den Großstädten als ökonomischen Leistungszentren ist auch die Wirtschafts- und Industriestruktur entscheidend. Die Produktivität der westdeutschen Wirtschaft ist in den letzten zwei Jahrzehnten stark angestiegen, weil die der globalen Konkurrenz ausgesetzte Industrie ihre Prozesse erheblich verbessern konnte. Die im Durchschnitt kleineren Ost-Betriebe blieben deshalb bei den Prozessinnovationen und in der Produktivität immer ein Stück zurück. Dies zeigte auch eine Untersuchung, die das Institut der deutschen Wirtschaft Köln zusammen mit dem Dresdener Imreg-Institut 2012 für die sächsische Wirtschaft durchgeführt hat: Gemessen an ihrer jeweiligen Größe sind die Industrieunternehmen nicht weniger innovativ oder produktiv als ihre westdeutschen Wettbewerber. Angesichts des sehr ähnlichen Produktivitätsniveaus in den neuen Ländern lässt sich dieses Ergebnis sicherlich im Wesentlichen für ganz Ostdeutschland verallgemeinern. Langfristig beruht die Hoffnung auf weitere Konvergenz für den Osten daher hauptsächlich darauf, dass wachstumsstarke Mittelständler zu den westdeutschen Großunternehmen aufschließen können.