Ein Gläubiger (Sparer, Anleger) kann langfristig nur die Rendite erwarten, die sich der Schuldner dauerhaft als Zins leisten kann. Konnten Anleger in den letzten drei Jahrzehnten mit dem Kauf von Staats- oder Unternehmensanleihen solider Schuldner noch einen realen Vermögenserhalt nach Steuern und Kosten generieren, so ist dies mittlerweile nicht mehr möglich. Im Zeitablauf werden auch die professionellen Kapitalsammelstellen, die schwerpunktmäßig in zinstragende Vermögensklassen investieren, bspw. Lebensversicherer, Pensionskassen und berufsständische Versorgungswerke, davon betroffen sein. Dies hat natürlich Folgen für deren Kunden, also uns alle.
Zinsentwicklung und Konsequenzen
Das aktuelle Zinsniveau befindet sich, auch in der sehr langfristigen Betrachtung, auf einem extrem niedrigen Niveau. Über die Frage nach dem “normalen” oder “angemessenen” Zinsniveau lässt sich daher trefflich streiten. Wie so häufig kommt es auf den betrachteten Zeitraum und die jeweilige Perspektive an. Eindeutig ist, dass die sehr hohen Zinsen in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts eher ungewöhnlich waren.
Unabhängig von den Gründen für die historischen Entwicklungen und den verschiedenen Meinungen zur zukünftigen Zinslandschaft lassen sich jedoch einige absehbare Folgen für private und betriebliche Anleger ableiten. Zum einen haben die Anleihen in den letzten 35 Jahren von einem historisch beispiellosen Rückenwind profitiert. Nicht nur die Richtung der Zinsentwicklung (nach unten) war positiv für Anleihen, sondern auch die absolute Höhe, von der die Zinsen fallen konnten war extrem. Für viele Länder und Währungsräume ist diese Konstellation wohl als historisch einmalige einzuordnen. In der Konsequenz wurden die Besitzer von Anleihen in den letzten Jahrzehnten ungewöhnlich stark verwöhnt. Es waren jedoch nicht nur die Investoren am Kapitalmarkt, die von diesen Entwicklungen profitierten. Auch jeder Sparer und Lebensversicherungskunde profitierte mittelbar davon, da seine Institute diese Gewinne, natürlich abzüglich Marge und Kosten, an ihn weitergaben.
Diese schöne Situation ist nun in einer neuen (einer anderen) Realität angekommen. Reformen bei Lebensversicherungen, die Kündigung hoher Sparverträge durch Kreditinstitute, Anpassungen in der Finanzierungsstruktur von freiberuflichen Versorgungswerken und die anstehende Neubewertung ganzer Geschäftsmodelle sind Zeugen dieser Entwicklung. Wie es weitergeht vermögen viele Experten gut zu begründen, aber keiner weiß es wirklich. Die vergangenen drei Jahrzehnte können sicher nicht die Richtschnur für die Zukunft sein.
Standortbestimmung Schulden- und Guthabenkrise
Aus der Situation an den Kreditmärkten erwachsen natürlich Probleme für die Investoren in diesen ausgepressten Märkten. Unsere schematische Darstellung zeigt den Erkenntnisgewinn auf dem Weg von der abstrakten globalen Schuldenkrise in die sehr persönliche Guthabenkrise. Der orangefarbene Pfeil zeigt, wo wir meiner Meinung nach aktuell stehen: Die niedrigen Renditen führen zu der Feststellung, dass die zinsbasierte Kapitalanlage und daraus resultierend die großen Kapitalsammelstellen (bspw. Versicherungen) vor enormen Herausforderungen stehen. Erste Reformen fanden bereits statt und weitere Konsequenzen sind bei einem andauern der aktuellen Situation zu erwarten.
Fazit und Handlungsbedarf
Die dargestellten Entwicklungen berühren fast jeden Bereich der Finanz- und Versicherungswelt. Von der privaten Anlagestrategie, über die betriebliche Altersversorgung hin zu den Rücklagen des privaten Krankenversicherungsvertrages: Überall ist der Zins als wesentliche Komponente enthalten.
Im Vergleich zu den offensichtlichen Börsenkrisen der jüngeren Vergangenheit (Dot.com Blase, Hypotheken/Finanzkrise) sind die Folgen diesmal nicht auf Kapitalmarktteilnehmer beschränkt.
Als Reaktion auf diese Situation kann es nur eine Antwort geben: Die eigene Vermögensstruktur muss vollständig analysiert und interpretiert werden. Ohne die Kenntnis der eigenen Struktur bleibt jede finanzielle Entscheidung ein Stochern im Nebel. Dass dieses unstrukturierte Vorgehen noch nie erfolgsversprechend war, liegt auf der Hand. Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen erreicht das Potential für finanzielle Fehlentscheidungen jedoch eine neue Dimension.