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Creditreform

Gerade noch „War for Talents“, jetzt Einstellungsstopp? Doch was ist nach der Krise, wenn die Wirtschaft wieder anläuft? Was Mittelständler jetzt tun müssen, um Kandidatinnen und Kandidaten trotzdem nicht zu verlieren, verrät der Headhunter und Gründer der NELEX AG, Karsten Berge.

 

Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, hat zuletzt einer überregionalen Tageszeitung gesagt: „Sobald die Konjunktur wieder anzieht, wird der Fachkräftemangel ganz schnell wieder unser größtes Problem sein.“

Viel spricht dafür, dass genau diese Einschätzung richtig ist: Bis vor wenigen Wochen war das größte Problem der deutschen Unternehmen noch der Fachkräftemangel.

Und zwar in struktureller, nicht in konjunktureller Form. Die Vollbremsung durch die Coronakrise hat an dieser strukturellen Problematik nichts geändert – sie verschärft sie mittel- bis langfristig eher.

Denn die Rekrutierung von Fach- und Führungskräften ist aufgrund der aktuellen Situation um ein Vielfaches komplizierter geworden. Auf der einen Seite, weil Unternehmen Einstellungsstopps erlassen haben und die bisher noch so dringend benötigten Kandidatinnen und Kandidaten plötzlich keine Angebote erhalten.

Auf der anderen Seite, weil es viel schwieriger geworden ist, auch während der Krise benötigte Fach- und Führungskräfte – die Nachfrage nach IT- und Digitalexperten ist nach wie vor ungebremst – genau jetzt zur Unterschrift zu bewegen.

Dem beidseitigen Verhalten liegt das gleiche Kalkül zugrunde. Einstellungsstopp: die Furcht der Unternehmen davor, Personal aufzubauen, das sie im weiteren Verlauf der prognostizierten Rezession nicht halten können.

Keine Unterschrift eines vorliegenden Vertrags: die Furcht der Kandidatinnen und Kandidaten davor, jetzt einen Fehlgriff zu tätigen und dann mitten in der Rezession auf der Straße zu stehen.

Beide Bedenken müssen von der jeweils anderen Seite ernst genommen werden. Gleichzeitig ist zu konstatieren: Beiden Seiten entgehen vielleicht durch dieses risikoaverse Verhalten wichtige Chancen.

Wer bisher im Prozess war und kein Angebot erhält, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch künftig für den möglichen neuen Arbeitgeber verloren sein. Und wer ein Angebot vorliegen hat und nicht unterschreibt, dem entgeht vielleicht der Job seines Lebens.

In der jetzigen Phase können Unternehmen in der Rekrutierung also besonders viel falsch und richtig machen. An den folgenden Punkten möchte ich illustrieren, wie es gelingen kann, trotz der schwierigen Rahmenbedingungen die Chancen für die Unternehmen zu erhöhen.

Über den Autor

Karsten Berge ist Vorstand der NELEX AG, eine auf Führungskräfte spezialisierte Executive Search Beratung für digitale Positionen. Er ist seit mehr als 15 Jahren Personalberater.

© NELEX

Szenario 1: Ein kurzfristiger Einstellungsstopp

Er führt dazu, relevante Kandidatinnen und Kandidaten langfristig zu verlieren. Gespräche wurden geführt, vielleicht schon Angebote ausgesprochen, Erwartungen geweckt.

Nichts ist emotional abschreckender, als nun keinen Vertrag zu erhalten, nicht mehr in Kommunikation zu stehen. Unternehmen können jetzt Vertrauen verlieren – oder aber versuchen, dieses trotz der Krisensituation sogar zu festigen.

Auch wenn sie jetzt kein Angebot machen können, sollten sie auf keinen Fall die Kommunikation mit ihren Kandidatinnen und Kandidaten einstellen. Im Gegenteil: Ich empfehle, diese Kommunikation sogar noch zu intensivieren und genau jetzt den persönlichen Draht zu Kandidatinnen und Kandidaten zu vertiefen.

Was bewegt diese in ihrer jetzigen Situation – beruflich wie privat? Können sie Home Office machen? Wie kommen sie damit zurecht? Wie geht es ihren Angehörigen, ihren Kolleginnen und Kollegen? Welche Auswirkungen hat die Krise auf ihren jetzigen Arbeitgeber? Welche Sorgen haben sie?

Aber auch: Welche Chancen sehen sie selbst vielleicht in dieser Krise? Rekrutierer können aktuell noch viel mehr über und von ihren Kandidatinnen und Kandidaten lernen, als jemals zuvor – und vice versa.

Sie können zudem das Angebot machen, Kandidatinnen und Kandidaten permanent über die Entwicklungen beim potenziellen neuen Arbeitgeber auf dem Laufenden zu halten.

Warum wurde ein Einstellungsstopp verhängt? Wie lange soll dieser gelten? Welche Maßnahmen hat das Unternehmen getroffen, um die Krise kurz- und langfristig zu überstehen?

Es kann sich auch anbieten, Möglichkeiten zu schaffen mit potenziellen Kolleginnen und Kollegen in Videokonferenzen einen – zumindest – virtuellen Austausch zu schaffen, um Nähe herzustellen.

All dies sollten Rekrutierer als Chance begreifen: Wenn sie jetzt eine größtmögliche Nähe aufbauen, ihre Kandidatinnen und Kandidaten durch diesen Prozess der Krise begleiten, authentisch sind und dialogisch kommunizieren – dann werden sie die besten Voraussetzungen haben, nach einem Neuanlauf der Konjunktur diejenigen zur Unterschrift zu bewegen, die sie wirklich haben wollen.

 

Szenario 2: Kandidaten zögern mit der Unterschrift

Dieses Szenario sehen wir aktuell genauso häufig wie das zuerst beschriebene. Insbesondere bei längeren Kündigungsfristen, bei Fach- und Führungskräften fast immer vorliegend, steigt die Besorgnis heute zu kündigen und vom vermeintlich neuen Job direkt ins Karriere-Aus, im schlimmsten Fall in die kurzfristige Arbeitslosigkeit zu wechseln.

Verständlich, denn in der Tat ist eine exakte Prognose für die nächsten drei bis sechs Monate schwierig. Und wer will schon ‚Head of Digital‘ werden, wenn es eine mögliche Abteilung im Herbst vielleicht schon gar nicht mehr gibt, weil die Wirtschaftskrise tiefgreifender wird als erwartet?

Auch hier hilft es zunächst die Kommunikation zu intensivieren und die genaue emotionale Lage der Kandidatin oder des Kandidaten zu verstehen.

Ebenso kann es helfen, ihn bereits mit potenziellen Kolleginnen und Kollegen virtuell zu vernetzen, damit er sich abseits des Formellen ein Bild über die Lage im Unternehmen verschaffen kann – am Ende natürlich stets über einen Filter, aber immer noch persönlicher als nur über die Personalabteilung.

Auch ein persönlicher Anruf aus der Geschäftsführung kann als vertrauensbildende Maßnahme manchmal Wunder bewirken. Insbesondere dann, wenn ein Berichtsweg in die Geschäftsführung eigentlich nicht vorgesehen ist.

Die damit zuteilwerdende Wertschätzung noch vor einem möglichen Eintritt ins Unternehmen ist nicht zu unterschätzen.

Unternehmen können abseits der kommunikativen Möglichkeiten aber auch ganz konkrete Dinge tun, um Kandidatinnen und Kandidaten von einer Unterschrift zu überzeugen.

Ob eine Verkürzung, ein Wegfall der Probezeit sowie Verzicht auf die Wartezeit gemäß des Kündigungsschutzgesetzes, ein sofort fälliger ‚Signing Bonus‘ (also eine Eintrittszahlung bei Unterschrift) oder eine garantierte Bonuszahlung für das laufende Geschäftsjahr unabhängig von KPIs drücken Vertrauen des potenziellen neuen Arbeitgebers nicht nur in Worten, sondern in Taten aus.

Ein großes Problem ist übrigens für viele, dass man sich aktuell nicht persönlich in die Augen schauen und die Hand geben kann.

Wir haben aber bereits gute Erfahrungen mit einer Besetzung auf Basis von Online-Assessments und Videokonferenzen gemacht. Es mag sich aus Gewohnheit seltsam für beide Seiten anfühlen – aber es ermöglicht doch, Rekrutierungen abzuschließen.