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Angesichts des rasanten technologischen Wandels sind Unternehmen darauf angewiesen, sich selbst „digital zu transformieren“, d. h. alle Wertschöpfungsaktivitäten auf technologisch und ökonomisch sinnvolle Digitalisierungsnotwendigkeiten zu prüfen. Wie das Führungskonzept des „Servant Leadership“ sie dabei unterstützen kann, habe ich in meinem vorherigen Blogbeitrag erläutert. Das Konzept, das die Mitarbeiter mit ihren spezifischen Fähigkeiten und Bedürfnissen in den Mittelpunkt stellt, trägt aber auch dazu bei, eine der wesentlichen Folgen von Globalisierung und ständigem Veränderungsdruck zu bewältigen: die ständig steigende Komplexität (allgemein: Vielfalt, Vielschichtigkeit) im Unternehmens- und Arbeitsalltag.

Komplexität, der wir von außen ausgesetzt sind, ist nicht reduzierbar. Aber es liegt an uns, Mittel und Wege zu finden, mit dieser Situation produktiv umzugehen. „Only variety can destroy variety“ (Ashby´s law), oder anders ausgedrückt: Komplexe Systeme benötigen komplexe Mittel. Um ein System willentlich gestalten zu können, benötigt man mindestens so viel Varietät (oder Komplexität), wie das System selbst hat (einschließlich seiner Außenbeziehungen). Starre, wenig flexible Führungssysteme führen daher in hochvolatilen Situationen nicht zum Erfolg, sie zerbrechen. Es geht also in den meisten Fällen nicht um die Frage der Komplexitätsreduzierung, sondern um die Umsetzung der Erkenntnis „je komplexer ein System ist, umso größer ist sein Verhaltens- und Möglichkeitenraum“, umso variantenreicher kann es grundsätzlich auf Umwelt- und Marktveränderungen bei Kunden, Lieferanten, gegenüber Konkurrenten, Mitarbeitern oder im politischen Bereich reagieren.
Außenkomplexität  ist mittlerweile in vielen Bereichen wahrzunehmen: Unternehmen müssen sich heute wesentlich stärker auf die spezifischen Wünsche und Anforderungen ihrer Kunden einstellen. Die Kundenerfahrung steht im Mittelpunkt; „Communities“ können auf eine Vielzahl von Inhalten zugreifen und auch unmittelbares Feedback geben, Dienstleistungen und Produkte werden von ihren Nutzern permanent öffentlich bewertet. Mitarbeiter müssen lernen, mit immer mehr Informationen, Instrumenten und Kommunikationskanälen umzugehen. Viele Strukturen und Prozesse, die sich in der Vergangenheit als richtig erwiesen haben, funktionieren in diesem Umfeld nicht mehr. Entscheidungen, die sich an alten Erfolgen orientieren, werden plötzlich vom Markt infrage gestellt. Das führt zu zunehmender Unsicherheit, die Welt wird weniger berechenbar.

Für Unternehmen ist der erfolgreiche Umgang mit laufenden Veränderungen und permanenter Innovation zu einer Grundvoraussetzung für ihr erfolgreiches Überleben geworden. Ein häufig unterschätzter Aspekt ist dabei, den Mitarbeitern ihre persönliche Unsicherheit zu nehmen und ihren Arbeitsalltag transparenter, berechenbarer zu machen. Klassische Führungsinstrumente greifen hier nicht mehr. Eine zeitgemäß agierende Führungspersönlichkeit ist in der Lage, die komplexen (vielfältigen) Zusammenhänge zu erkennen und die kollektive Kompetenz seiner Mitarbeiter zu nutzen. Im Idealfall ist er ihr Coach, ein „Servant Leader“, ein dienender Befähiger der ihnen zuhört, durch Fragen führt, „die Weisheit des Ameisenhaufens“ nutzt, sich aber auch nicht um die letztliche Entscheidung drückt, wenn das Team nicht entscheiden kann oder will.  Der weiß, wo die individuellen Stärken, Schwächen, Interessen aber auch  Belastungsgrenzen liegen. Dadurch kann er die Teammitglieder so einsetzen, dass sie in hohem Maße selbstverantwortlich arbeiten und ihr Potenzial entfalten können. Das hilft, gegebene Komplexität zu „verdauen“. Führungskräfte, die sich in diesem Sinne um ihre Mitarbeiter kümmern, schaffen Vertrauen. Dadurch entsteht gefühlte Sicherheit. Empathie und Intuition sind zunehmend wichtige Management-Kompetenzen in einer Welt, in der „klassische“ Lösungen immer weniger funktionieren. Und letztlich geht es um Vertrauen. Um mit Niklas Luhmann zu sprechen: „Vertrauen ist eine riskante Vorleistung zur Reduzierung sozialer Komplexität“.

„Servant-Leadership“ in voller Anwendung auf allen hierarchischen Ebenen fördert Selbstorganisation und Selbstverantwortung, reduziert Hierarchien und Schnittstellen und hilft beim Abbau der „Elfenbeintürme“ und „Funktionssilos“. Statt einzelner Bereiche lässt sich das Gesamtsystem mit Blick auf die übergeordneten Ziele optimieren. Der Informationsfluss zwischen den Beteiligten wird beschleunigt, die Zusammenarbeit verbessert – entscheidende Voraussetzungen für das Gelingen komplexer Projekte. Der Servant Leader kennt und wertschätzt seine Mitarbeiter. Und die Mitarbeiter identifizieren sich stärker mit ihren Aufgaben, weil sie vertrauensvoll behandelt werden und weitgehend eigenständig agieren können.

Ein an den Servant Leadership-Prinzipien  ausgerichtetes Führungsverhalten unterstützt − oder ist gar die Grundlage − für die erfolgreiche Umsetzung agiler Unternehmensführung und Projektmanagement-Methoden. Wir beobachten leider ein häufiges Scheitern, weil „altes Denken und Verhalten“ sich nur schwer verheiraten lässt mit zeitgemäßen Methoden und den marktlichen Erfordernissen. Erfolgreiche Transformation ist machbar. Sie benötigt den Mut, auch mit unvollkommenem Konzept zu starten, gibt den Betroffenen Sinn und Richtung und hält Kurs auch bei Gegenwind.