Gut jedes zweite Industrieunternehmen in Deutschland setzt Industrie 4.0 mittlerweile operativ um. Allerdings gelingt laut dem aktuellen Deutschen Industrie 4. 0 Index nach wie vor nur wenigen Betrieben der Sprung von digitalen Einzelprojekten hin zur unternehmensübergreifenden Umsetzung. Auch bei den smarten Geschäftsmodellen bleiben die digitalen Vorreiter weiter unter sich.
Trotz der enormen Entwicklung seit der ersten Erhebung des Deutschen Industrie 4.0 Index durch die Unternehmensberatung Staufen vor nunmehr fünf Jahren – 2014 waren erst 15 Prozent der Unternehmen in der Industrie 4.0 aktiv – bleibt also der Wermutstropfen, dass die Zahl der Unternehmen, die Industrie 4.0 wirklich umfassend operativ umsetzen, nur sehr langsam steigt.
Die Unternehmen optimieren offensichtlich also vor allem innerhalb der gewachsenen Systemgrenzen von Unternehmensbereichen und verschenken damit das Potenzial unternehmensübergreifender Digitalisierungsinitiativen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit.
Die größten Fortschritte bei der Digitalisierung hat die Elektroindustrie gemacht: Mehr als zwei Drittel der Unternehmen setzen auf die Smart Factory. Der Maschinenbau ist nur wenig zögerlicher. Schlusslicht ist die Automobilindustrie, in der weniger als jedes zweite Unternehmen Industrie 4.0 umsetzt. Dieser Wert ist gegenüber der Untersuchung von 2018 sogar zurückgegangen. Auch hier wird also die Krisenstimmung deutlich, die aktuell in der Automotive-Branche herrscht.
Wie die Studie weiter zeigt, sieht ein Großteil der befragten Fach- und Führungskräfte die Smart Factory offenbar nur als ein Mittel zur Kostensenkung. Und das, obwohl die meisten Unternehmen oft gar nicht als Kostenführer am Markt positioniert sind. Zudem wirkt sich die Smart Factory vor allem dann nachhaltig auf die Kostenstrukturen aus, wenn sie umfassend umgesetzt wird. Einzelprojekte sind aber häufig ein Flickwerk von Insellösungen. Sie benötigen eine klare Strategie, um sich in den Kostenstrukturen positiv abzubilden.
Weniger smarte Produkte und Services als im Vorjahr
Neben der umfassenden Umsetzung einer Smart-Factory-Strategie treten die meisten Unternehmen auch beim Thema Smart Business auf der Stelle. Die letztjährige Untersuchung konnte feststellen, dass rund ein Viertel aller Unternehmen bereits digitale Produkte, Dienstleistungen oder sogar komplette Geschäftsmodelle im Angebot hatte.
Diese Zahl gilt auch für die 2019er-Untersuchung. In Summe ist der Index in diesem Bereich sogar leicht rückläufig.
Quer durch alle Branchen haben die Unternehmen demnach weniger smarte Produkte und Services in der Entwicklung oder im Kundentest. Da zudem auch die Zahl der Unternehmen gestiegen ist, die keine digitalen Produkte oder Dienstleistungen anbieten, haben offensichtlich einige der Neuentwicklungen ihre Versprechen nicht erfüllen können und mussten zurückgezogen oder überarbeitet werden.
Horizontale Vernetzung statt Silodenken
Während Digitalisierung vor allem eine Kultur der horizontalen Vernetzung mit sich bringt, scheint die deutsche Industrie nach wie vor eher dem Silodenken verhaftet. Hier ist vor allem die Offenheit in der oberen Führungsetage gefragt.
Befähigung, horizontale Vernetzung und Innovationswille sind die Schlüssel, um mit der Digitalisierung das gesamte Geschäftsmodell eines Unternehmens zu optimieren, das Kerngeschäft auch in der Top Line zu erweitern sowie neue Märkte, Vertriebskanäle und Kundennutzen zu schaffen. Der reine Fokus auf Transparenz, Effizienz und Kosten ist beim Thema Smart Factory zu kurz gedacht.
Zum Autor:
Willhelm Goschy ist Vorstand der Staufen AG. Seine Beratungsschwerpunkte liegen auf wertstromorientierten Fabrikkonzepten, der Implementierung von Wertschöpfungssystemen und dem Coaching von Führungskräften. Goschy studierte Betriebswirtschaftslehre in Deutschland und Großbritannien. Bei der Dr. Ing. h.c. Porsche AG sammelte er anschließend in der Funktion als Projektcontroller und Projektleiter profunde Kenntnisse in Fertigung und Montage. Seit 1999 in der Unternehmensberatung Staufen entwickelte Wilhelm Goschy als Senior Partner und Business Unit Leiter Führungskräfte, leitete Großprojekte, konzipierte die Ausbildung von Lean Experten und ist heute unter anderem verantwortlich für die Entwicklung des internationalen Beratungsgeschäfts.
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