Wachstumsstrategie-Themen sind bei Vorträgen für Unternehmer und Entscheider nur selten anzutreffen. Häufig dominieren operative Themen, wie z.B. der Vertrieb, da es einfacher ist, Tipps für die Kundenansprache zu geben als einen Schlüssel zu einem neuen Markt. Doch der Nutzen einer Wachstumsstrategie liegt in der Regel um Faktor 100 höher als die Anwendung neuen Verkäuferwissens.
Wie viel Erfolg eine einfache Wachstumsstrategie haben kann, zeigt die folgende Geschichte aus dem wahren Leben: Vor gut 30 Jahren war der Markt zwischen Coca-Cola und Pepsi klar verteilt. Pepsi hatte, grob gesagt, einen Marktanteil von 35 %, Marktführer Coca-Cola 65 %. Je nach Geschick der Werbeagenturen und der Verkäufer schwankten die Marktanteile um ein oder zwei Prozentpunkte. In absoluten Umsatzzahlen natürlich beachtliche Mengen, aber strukturell ohne nennenswerte Veränderung. Dieser Zustand änderte sich erst, als bei Coca-Cola ein neuer CEO an Bord kam.
Dieser analysierte zunächst die Situation und brachte sie dann in der Montags-Führungsrunde sinngemäß auf den Punkt: „Meine Damen und Herren. Coca-Cola ist ein großartiges Unternehmen und Sie alle haben dazu beigetragen, dass wir heute hier stehen und stolz auf einen Marktanteil von 65 % bei koffeinhaltigen Softdrinks blicken. Doch gemessen am Durst der Welt beträgt unser Marktanteil gerade einmal drei Prozent. Und niemand wird mir erzählen können, dass wir es nicht schaffen, diesen Marktanteil in den nächsten zehn Jahren zu verdoppeln!“
Nach diesem Statement war zunächst Schweigen in der Runde. Denn es war klar, was er meinte. Allein es fehlte die Lösung. Urplötzlich hatte der CEO die Messlatte verschoben. Statt wie bislang nur die Softdrinks als Wettbewerber zu betrachten, vergrößerte er den Markt um ein Vielfaches. Mit einem Mal waren Wasser, Tee, Kaffee, Milch und Säfte ebenfalls als Wettbewerber im Rennen. Diesen sollte Coca-Cola zukünftig Marktanteile abringen, ohne bereits passende Getränke-Alternativen im Sortiment zu haben.
Doch mit seiner Sicht der Dinge, die aus einer klaren Wachstumsstrategie bestand, hatte der CEO den Startschuss gegeben. Das zog die Notwendigkeit nach sich, über andere Getränke nachzudenken. So wurden die Weichen gestellt, die zu Coca-Cola Light und weiteren, neuen Getränken im Sortiment führten. Sein Ziel, den Marktanteil von drei Prozent zu verdoppeln, erreichte das Unternehmen nicht erst nach zehn, sondern bereits nach sechs bis sieben Jahren.
Ein Ziel, das er mit einer noch so intensiven Schulung der Verkaufsargumentation sicher nicht erreicht hätte, selbst wenn er Millionen von Dollars in Trainings investiert hätte.
Die Basis einer Wachstumsstrategie
Was hat der CEO gemacht? Was lässt sich von ihm lernen?
Schritt 1: Er abstrahierte die Existenzgrundlage des Unternehmens und baute ein menschliches Grundbedürfnis, den Durst ein. Statt Getränkehersteller oder Live-Style-Produzent sah er das Unternehmen als „Durstlöscher“.
Schritt 2: Er erweiterte die Zielgruppe dramatisch auf alle Menschen dieser Welt in all ihren täglichen Situationen: vor, während und nach dem Essen, Sport, TV, Theater etc.
Schritt 3: Mit Schritt 2 entwarf er zugleich eine Entscheidungsmatrix, welche Kriterien die neuen Produkte zu erfüllen hatten und welche Wettbewerbs-Produkte sie wann substituieren müssen.
Schritt 4: Er rechnete den Marktanteil so klein, dass das neue Ziel „Verdoppelung“ immer noch klein und fast bescheiden anmutete.
Schritt 5: Mit der „Anteil am … – Frage“ konkretisierte er den Markt als Kuchen. Dabei zeichnete er das Bild des heutigen Kuchenstücks und des zukünftigen, ohne den Weg konkret zu benennen. Für diese Aufgabe hatte er genügend clevere Mitstreiter im Unternehmen.
Mit diesem einfachen Bild, den neuen Leitplanken und dem Ziel der Verdoppelung des Marktanteils ließ er eine Woge der Begeisterung entstehen. Seine einfache Wachstumsstrategie bewirkte eine Aufbruchstimmung, die das ganze Unternehmen erfasste. Sie animierte sogar Warren Buffet, in Coca-Cola zu investieren; eine Entscheidung die maßgeblich zur Mehrung seines Reichtums in den darauffolgenden Jahrzehnten beitrug.
Fazit
Bevor Sie also Ihre Verkäufer das nächste Mal auf Schulung schicken, halten Sie inne, überdenken Sie die eigene Marktsituation und verzehnfachen Sie Ihren Markt. Wenn Sie Ihre „Anteil am… – Frage“ mit den oben aufgeführten fünf Schritten formulieren, kommen Sie vermutlich zu neuen Erkenntnissen, die Sie deutlich voranbringen.
Nur Mut & viel Erfolg
Ihr Christian Kalkbrenner
Das Buch zum Thema Wachstumsstrategie:
Christian Kalkbrenner: „Der Markt hat uns verdient – Mit dem Bambus-Code zu neuen Kunden und mehr Nachfrage“, Göttingen 2012, Preis: 29,80 Euro.