In einem schwungvollen Artikel „Setzt endlich wieder auf die Leistungs- und Leidenswilligen!“ hat der geschätzte Mit-Mittelstandsbotschafter Stephan Penning ein flammendes Plädoyer für – mit Verlaub – die Steinzeit gehalten.
Hier eine Erwiderung. Etwas weiter ausgeholt und anhand 5 populärer Irrtümer abgearbeitet.
Populärer Irrtum 1: Die protestantische Arbeitsethik
Kern dieser Philosophie, ist die nicht in Frage zu stellende Pflicht. Gepaart mit der Behauptung, dass – etwas zugespitzt – ehrliche Arbeit nicht nur mit Anstrengung verbunden ist, sondern erst durch das Leid zu einer solchen wird. An anderer Stelle wird dieser Anspruch häufig in gedanklicher Nähe zum Liberalismus geäußert. Wie ein devoter Anspruch, der in despotischem Gewandt daherkommt, mit einem freiheitlichen Menschenbild zusammenpasst, bleibt offen.
Motivation funktioniert so, wie Menschen funktionieren. Und nicht so, wie einige BWLer dies ob der Ästhetik ihrer Prozessvisionen willen gern hätten. Wahre Motivation liegt nicht im Haben, sondern im Sein. In der Identifikation mit einer Lebensart, einer Unternehmenskultur, einem gelebten Markenverständnis und nicht zu letzt: In Transparenz und Verlässlichkeit. Sie entsteht in einem Moment einer Selbstwirksamkeitserfahrung. Dies gelingt aber nur, wenn die Mittel der Motivation einem Zweck dienen, der nicht in sich selbst oder gar in einem destruktiven Wert begründet ist.
Populärer Irrtum 2: Zuckerbrot und Peitsche
Nachhaltige Motivation entsteht nicht durch das Hamsterrad und sich immer weiter übertreffenden Boni. Am oberen Ende der Nahrungskette wird schnell deutlich, in welch absurde Zwickmühle („Nash Equilibrium“ für die Profis), sich Unternehmen und Manager bringen. Von Leitungsgerechtigkeit oder angemessener Risikoentschädigung kann da nur schwer noch die Rede sein, wenn Investmentmanager im finalen Bonus-Battle das Wohl ganzer Volkswirtschaften riskieren.
Zugegeben, viele Behauptungen im Kontext „Motivation“ im Sinne des hier im Bezug stehenden Artikels von Herrn Penning, sind weit vor den modernen bildgebenden Verfahren der Neurobiologie aufgestellt worden und konnten daher nur eines sein: Vermutungen.

Etwas vereinfachend, aber auf den Punkt: Was trägt weiter: extrinsisch oder intrinsisch?
Populärer Irrtum 3: Spiel ist das Gegenteil von Arbeit
Denn bestens belegte Forschung zeigt etwas ganz Anderes: Boni sind, wenn sie an eine konkrete (halbwegs anspruchsvolle) Aufgabe gebunden sind nur eines: Produktivitätssenkend. Genau. Sie haben sich nicht verlesen. Gerade bei anspruchsvollen, kreativen, gestalterischen Aufgaben sind es die scheinbar „weichen“ motivatorischen Faktoren, die aus einer gearbeiteten Stunde, eine produktive Stunde machen. Das gilt für Arm- und Reich, für europäisch, amerikanisch und indisch (…).
Im Spiel funktionieren einige Dinge besonders gut, die häufig für die Arbeit gewünscht werden. Das sind insbesondere: Teamfähigkeit, Konzentration, Training (sich verbessern wollen), Regelkonformität und Loyalität. Warum ist das im Spiel so leicht und im Job so schwer? (sehen Sie dazu meinen Artikel „Gamification? Was ist denn das?„) Gallup beweist es uns Jahr für Jahr: Unsere alte Methodik ist dem Wohl der Volkswirtschaft nur wenig zuträglich.
Sehen Sie dazu auch diese lesenswerten Artikel:
– Havard Business Review: Does Money Really Affect Motivation?
– Wikipedia: The Candle Problem (englisch)
– Seth Cooper – Play Games, Solve Disease
– Deutschlandradio: Kulturelle Bildung durch Computerspiele
Populärer Irrtum 4: Wohlstand für Alle
Ob man den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung oder den vielzitierten Piketty zu Rate nimmt: Ja, wir haben unfassbar viel Vermögen in Deutschland, in Europa und in der Welt. Doch noch nie wurde dieses Vermögen von so wenig Menschen besessen und die berühmte Schere zwischen Arm und Reich spreizt sich global. Der alte Glaube, dass jeder „es“ schaffen kann, muss durch die Empirie zumindest ergänzt werden: Jeder, aber nicht Alle. Egal wie fleissig oder gar leidenswillig der Einzelne ist.
Wer hier skeptisch ist, möge bei dieser unverdächtigen Quelle vorbei sehen: Havard Business Review: Income Inequality Is a Sustainability Issue. Und wer sich für wohlhabend hält, dem sei ein Besuch bei den Rich Kids of Instagram empfohlen. Völlig neidfrei. Der Unterscheid zwischen GKV und PKV ist aus anderer Perspektive nur eins: Peanuts.
Populärer Irrtum 5: Ohne utopisches Weltbild strategisch zu denken
Vollbeschäftigung! Vollbeschäftigung! So hallt es von den Wahlkampfbühnen. Doch auf welcher Grundlage basiert dieses Versprechen im 21. Jahrhundert noch? Unternehmer die von selbstfahrenden Autos, von IBMs Watson, von Beacons, von BigData, von Drohnen, von Robotern, 3D-Druckern, ja von einer Software, die einen Vorstandsposten übernommen hat noch nichts gehört haben, haben dringende Hausaufgaben zu tun.
Zu denken geben sollte eines: Selbst wenn nur 5% der hier zitierten Technologien in den nächsten Jahren im Massenmarkt ankommen, stehen bisher ungekannte Herausforderungen in vielen Branchen an.
Die Automatisierung greift schon lange nicht mehr nur nach den „einfachen“ Jobs (sehen Sie dazu auch eine Studie University of Oxford: „THE FUTURE OF EMPLOYMENT“ und einen Artikel bei McKinsey: Artificial intelligence meets the C-suite). Gerade hochkomplexe Dinge, wie z.B. eine medizinische Anamnese, kann eine Software besser als Menschen. Und das wird in absehbarer Zeit auf für viele – sehr viele anderen Berufe gelten. Auf diese neue Zeit muss eine Gesellschaft sich vorbereiten. Sie braucht ein lebenswertes und nachhaltiges Konzept für die nächste Epoche. Und, nicht zu vergessen, sie muss sich etwas für die Übergangsphasen überlegen. Ob das Vorbild Leid & Hartz 4 sein soll, ist eine sehr grundsätzliche, aber auch sehr konkrete Fragestellung.
Aus einem Unternehmen, was diesen Utopie-Anspruch verstanden zu haben scheint, schreibt eine andere Mit-Mittelstandsbotschafterin Martina Fiddrich in ihrem Artikel „Vom Sehen zum Verstehen„. Wer etwas stürmischer in das Thema einsteigen möchte, dem sei die Eröffnungsveranstaltung der Veranstaltungsreihe „K-Camp“, die ich gemeinsam mit der Kunstsammlung NRW im letzten Jahr durchgeführt habe, empfohlen.
Fazit: Ein Plädoyer für mehr Unernsthaftigkeit
Nicht nur im Unternehmen, auch außerhalb des Unternehmens ist es die – grob zusammengefasst – Unernsthaftigkeit, die den wahren Unterschied zwischen Gewinnern und Bemühern ausmacht. Darin verbirgt sich Leichtigkeit und Verlässlichkeit gleichermaßen. Das von dem Gefühl (neudeutsch Customer Experience) maßgeblich der Umsatz abhängig ist, verrät uns nicht zu letzt die „Customer Experience ROI Study„.
Weitere Leseempfehlungen:
– Robot farmers are the future of agriculture, says government (Guardian)
– Irving Wladawsky-Berger: The Untethered, Hyperconnected Enterprise
– Nature.com: Abrupt rise of new machine ecology beyond human response time
– FAZ: Deutschbanker gehen, weil sie sich benehmen müssen