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Creditreform

Ob man nun Apple-Fan ist oder nicht: Das iPhone hat Maßstäbe gesetzt. Smartphones verdrängen klassische Mobiltelefone vom Markt, die Steuerung über Touchscreens ist mittlerweile Standard. „Mit dem ersten iPhone hat sich Gestensteuerung zu einer salonfähigen Interaktionsform und zu einer wichtigen Etappe in der Mensch-Computer-Interface-Entwicklung etabliert“, sagt Ivon Brandão, Geschäftsführer der auf digitale Nutzererlebnisse spezialisierten Agentur BippesBrandão GmbH. Im Design werden diese Interaktionsformen immer stärker berücksichtigt – sowohl für mobile Endgeräte als auch für klassische Webseiten am Desktop-PC. Ein Beispiel ist das automatische Nachladen von Seiteninhalten via Ajax beim Scrollen. „Das hat sich durch Google und Facebook in kürzester Zeit zu einem gelernten Navigationsverhalten entwickelt“, so Brandão.

Und das ist erst der Anfang, sagt der Diplom-Designer: „Wir erleben die Entwicklung von einer grafischen Benutzungsoberfläche hin zu einer natürlichen Benutzungsoberfläche.“ Microsoft hat jüngst in Windows 8 die Gestensteuerung in die PC-Welt überführt (mehr dazu in „Creditreform“ 11/12). Und auch die nächste TV-Generation, die mit dem Internet vernetzt ist, lässt sich schon über Gesten und Sprache steuern. „Für welche Anwendungsszenarien sich gestenbasierte Bedienkonzepte letztendlich durchsetzen, wird sich jedoch erst noch zeigen“, so Brandão.

CMS unterstützt Gestensteuerung

Fest steht: Bereits im Jahr 2011 wurden laut Marktforscher Canalys weltweit erstmals mehr Smartphones als PCs verkauft – und der Trend hält an. Durch den mobilen Zugriff auf Produktinformationen, Preisvergleiche, Erfahrungsberichte und Barcodes verändert sich das Kaufverhalten. Unternehmen werden im Mobile Commerce deutliche Zuwachsraten erzielen. Bei Webseiten wird daher künftig die Devise „Mobile First“ gelten, sagt Nikolai Shulgin, Regional Director beim Software-Haus Bitrix. „Aber es geht noch weiter: Durch die Verwendung mobiler Devices ändert sich die Art des Informationskonsums“, so Shulgin. „Man liest weniger Texte, man scrollt sich meist durch die Überschriften.“ Die Steuerung über Bewegungen werde daher Standard. Content-Management-Systeme müssen künftig solche Gesten unterstützen – „wenn sie das noch nicht tun“, sagt Shulgin. „Verschiedene Funktionen werden auf Gesten angepasst. So gibt es beispielsweise in unserem Bitrix Site Manager vier verschiedene Mechanismen für das Blättern von Bildern. Eine davon ist das Blättern mit Fingern.“
<BR/> Auch am Desktop- und Laptop-PC bekomme diese Steuerung eine größere Bedeutung, prophezeit Shulgin. „Dass die Tage der Computermaus gezählt sind, zeigt Apple mit seinen Notebooks. Seit ich auf MacBook umgestiegen bin, habe ich die Maus kein einziges Mal angefasst.“ Die überdurchschnittliche Größe und die Gestenfähigkeit machen das Touchpad zu einem bequemen und handlichen Tool. „Ich bin mir sicher, dass andere Hersteller nachziehen werden. Zumal Windows 8 ja auch für die Fingersteuerung konzipiert ist.“ Auf der anderen Seite kommt aber kein Nutzer um die Eingabe der Texte herum. Das werde man in absehbarer Zeit mit der Tastatur machen, so Shulgin. „Egal ob ganz klassisch als Hardware-Teil oder virtuell auf einem Bildschirm oder auf den Tisch projiziert – Tastatur bleibt Tastatur.“

Anwender wünschen All-in-One-PCs

Auch die Hardware-Hersteller unterstützen diesen Weg hin zur Gestensteuerung. „Der Markt in diesem Segment wächst sehr dynamisch, denn Konsumenten wünschen sich Geräte, die kompakt und vielseitig sind und durch elegantes Design überzeugen“, sagt Jens Böcking, Manager Product Marketing bei der IT Solutions Mobile Computing Samsung Electronics GmbH. Einfache Handhabung und intuitive Bedienung seien dabei entscheidend. „Nicht zuletzt legen Nutzer auch Wert darauf, dass neue Lösungen die ihrer bisherigen stationären PCs ergänzen und erweitern“, so Böcking.

Ein unverkennbarer Trend sei das Thema Konvergenz: „Konsumenten fragen Plattformen nach, bei denen eine Eingabe sowohl über etablierte Geräte wie Maus oder Keyboard als auch durch innovative Lösungen wie Touchscreen oder Gestensteuerung möglich ist.“ Samsung bietet dafür All-in-One-PCs an, die in anderen Ländern schon länger nachgefragt werden. „In Korea beispielsweise sind diese PCs bereits etabliert und gehören zum Alltag“, weiß Böcking. Durch die Verbreitung dieser Geräte und den Trend zur mobilen Nutzung ist das Thema Responsive Webdesign in aller Munde. Dabei werden Inhalte und Design automatisch an das verwendete Gerät und dessen Displaygröße angepasst. Frank Schad, Art Director und Dozent an der Webmasters Akademie Nürnberg GmbH rät Unternehmen zu so einem Design. „Die Entwicklung von Websites nach dem Motto ‚Write once, run everywhere‘ ist effizient, elegant und zeitgemäß“, sagt Schad. Man müsse sich lediglich des erhöhten Konzeptionsaufwands bewusst sein: Bei der Optimierung des Designs für Mobilgeräte geht es nicht nur um den begrenzten Platz, sondern um ein völlig anderes Nutzerverhalten. „Hier ist ein gewisses Umdenken erforderlich, und der Konzepter muss klar die Ziele der Nutzer kennen“, sagt Schad. „Die Inhalte müssen sich auf das Wesentliche konzentrieren, Informationen sollten schnell und effizient erreichbar sein.“ Dieses Ziel sei am einfachsten durch das Prinzip „Mobile First“ erreichbar: Das Interface-Konzept werde zuerst für mobile Geräte entwickelt und erst anschließend für Desktop-Rechner weiter ausgebaut.

App ist die teuerste Lösung

In vielen Fällen kann auch die beste Lösung die Entwicklung einer nativen App sein – in der Regel ist dies auch die teuerste Variante. „Apps konzentrieren sich mehr als jede Website auf die spezifischen Anforderungen bestimmter Inhalte“, so Schad. „Zudem verfügen Apps nicht mehr über die überflüssigen Funktionen eines Webbrowsers.“ Dadurch sind sie am ehesten geeignet, auch umfangreichere und komplexere Funktionen – zum Beispiel einen Online-Shop – auf Touchscreens abzubilden. Jedes Unternehmen muss individuell entscheiden, ob und inwieweit die Produkte und Dienstleistungen für ein mobiles Publikum relevant sind.

Aber: „Man sollte nicht den Fehler begehen, nur noch auf mobile Websites zu setzen“, mahnt Schad. „Vor allem ältere Menschen haben häufig Probleme mit der Bedienung von Touchscreens und kleinen Displays.“

Michael Schlösser

Die Steuerung von Webseiten durch Sprache spielt derzeit noch eine untergeordnete Rolle. Nur wenige Benutzerkreise verwenden sie regelmäßig, etwa Menschen mit Sehbehinderung oder motorischen Behinderungen. Aber: Auch für Menschen ohne körperliche Einschränkungen gewinnt Sprachsteuerung zunehmend an Bedeutung. Anwendungen wie Siri auf Apple-Geräten haben enormes Potenzial. „Mittels Sprachsteuerung und Sprachausgaben könnten in Zukunft auch auf Webseiten interaktive und individuell auf den Besucher zugeschnittene Dialoge realisiert werden“, sagt Florian Köhler, Inhaber der Webdesign- und Werbeagentur Webtwist. „Langfristig kann dies zu einer verbesserten Kundenbindung und Identifikation mit dem Unternehmen beitragen.“

Der Informatiker hat in seiner Diplomarbeit untersucht, ob und inwieweit es möglich ist, Webseiten ohne zusätzliche Software oder Browser Plug-Ins mit Sprache zu steuern. „Das wird maßgeblich davon abhängen, ob sich eine einheitliche Technik mit einem einheitlichen Standard für die Beschreibung der Dialoge durchsetzten wird“, sagt Köhler. „Solange die für die Sprachsteuerung notwendigen Plug-Ins für alle gängigen Browser allerdings nicht existieren, ist man bei der Entwicklung einer sprachgesteuerten Webseite auf serverseitige Spracherkennung angewiesen.“

Neben einer leistungsstarken Infrastruktur, einem Voice-Server, bedarf es hierfür einer qualitativ hochwertigen und zuverlässigen Spracherkennungs-Software, die übertragene Spracheingaben in Textbausteine umwandelt. Bei der Weiterverarbeitung der Textdaten und der logischen Verknüpfung mit den Steuerungsbefehlen fällt einiges an Programmieraufwand an. Köhlers Urteil ist daher deutlich: „Sprachsteuerung für Webseiten, insbesondere für kleinere und mittlere Betriebe, ist derzeit noch relativ unrentabel.“

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