
© Volvo Trucks
Moderne Lkw sind schon heute mit unterschiedlichsten Fahrassistenten ausgestattet. Aber es geht noch mehr. Um die Logistik sicherer und effizienter zu machen, sollen Trucks künftig voll autonom fahren. Hersteller wie Volvo, MAN oder Einride bringen ihre Prototypen in Position.
Die Vision ist ziemlich verlockend. Sowohl für Logistikunternehmen als auch für deren Kunden. Würden Nutzfahrzeuge fahrerlos ihre Arbeit verrichten, könnten sie rund um die Uhr im Einsatz sein. Denn keine Fahrer bedeutet: keine Ruhezeiten, keine Müdigkeit, keine menschlichen Fehler.
Stattdessen steuern Software und Algorithmen den effizienten Einsatz, verbessern die Routenwahl und minimieren Unfallgefahren. Auch der Fahrermangel, der sich angesichts der demografischen Entwicklung noch zu verschärfen droht, wäre kein Thema mehr.
Bei einer aktuellen Umfrage des Weltdachverbands der Straßentransportwirtschaft IRU (International Road Transport Union) gehen denn auch mehr als zwei Drittel von 175 befragten europäischen Transportunternehmen davon aus, dass vollkommen autonom fahrende Lkw schon im Laufe der nächsten Dekade zu einer realisierbaren Option werden. Die entscheidende Frage ist: Wird es schon 2020 so weit sein oder erst 2028. Wie groß ist die Chance tatsächlich, dass demnächst auf den Straßen fahrerlose Lkw en masse unterwegs sind?
Enorme Kosteneinsparung möglich
Generell sind Nutzfahrzeuge aufgrund ihrer hohen Fahrleistung prädestiniert für automatisiertes Fahren. Und die Automatisierung in den höchsten Stufen 4 und 5 (siehe Kasten), die ganz ohne Fahrer auskommt, hält für Flottenbetreiber verheißungsvolle Aussichten bereit. Laut der „Truck Study 2018“ von Strategy&, der Strategieberatung von PwC, könnten autonome Lkw die Kosten für standardisierte Transporte bis 2030 um 47 Prozent senken.
Rund 80 Prozent dieser Ersparnisse seien auf die Reduktion von Personal zurückzuführen. Hinzu kämen enorme Effizienzsteigerungen: So würden autonom fahrende Lkw statt aktuell 29 Prozent der Zeit ab 2030 bereits 78 Prozent der Zeit unterwegs sein können, weil Ruhepausen für Fahrer entfallen und Leerlaufzeiten sinken.
Wenn kein Fahrer mehr gebraucht werde, verbilligten sich zudem die Lkw-Preise. Ein Serien-Truck ohne Fahrerkabine kostet laut Kalkulation von Strategy& rund 30.000 Euro weniger. Dem stehen höhere Kosten für die Automatisierung in Höhe von etwa 23.000 Euro gegenüber. Dennoch werden Lkw 2030 rund sieben Prozent weniger kosten, heißt es.
Keine Könige der Landstraße mehr?
Großes Einsparpotenzial wartet auch im Fahrerlager. Unter bestimmten Bedingungen „werden in zehn Jahren keine Lkw-Fahrer mehr für Langstrecken benötigt“, ist Gerhard Nowak von Strategy& überzeugt. Fahrer kämen in dieser Phase überwiegend nur noch im urbanen Gebiet zum Einsatz.
„Es wird weitere fünf Jahre dauern, bis in den Industrienationen flächendeckend, auch im Stadtverkehr, vollständig autonom fahrende Lkw eingesetzt werden können“, prophezeit Nowak das nahe Ende eines ganzen Berufsstandes, der in Deutschland etwa 500.000 Köpfe zählt.
Aber darf man wie Strategy& wirklich die Rechnung ohne Lkw-Fahrer machen? Tatsächlich hat die fahrerlose Lkw-Zukunft mancherorts bereits begonnen: So haben in Schweden die Unternehmen DB Schenker und Einride im November 2018 den ersten kommerziellen Einsatz des vollautonomen „T-Pod“ schon gestartet.
Volvo verfügt mit dem „Vera“ ebenfalls über einen vollautonomen Lkw, der für die Ausführung seiner Transportaufgaben mit einem Cloud-Dienst verbunden ist und von einer zentralen Leitstelle permanent überwacht wird. Daimler stellte mit dem „Future Truck 2025“ schon vor fünf Jahren einen Lkw vor, dem vollautonomes Fahren sogar ohne Leitzentrale möglich ist.
Hindernisse auf dem Weg zur Autonomie
Die Technologie für den Lkw-Autopilot ist also vorhanden – und sie ist vielfach erprobt. Aber wird sie auch schon bald im Verkehr realisierbar sein?
Das Thema Fahrsicherheit ist dank intelligenter redundanter Systeme, wie sie etwa Zulieferer Knorr-Bremse entwickelt, keine Hürde mehr. Denn übernimmt das Fahrzeug komplett selbstständig die Steuerung, müssen die Systeme so ausgelegt sein, dass es selbst dann nicht außer Kontrolle gerät, wenn kritische Komponenten wie Lenkung oder Bremse versagen.
Baustellen gibt es hingegen noch bei der sogenannten Car2X-Kommunikation, also den Möglichkeiten, wie fahrerlose Wagen mit ihrer Umwelt kommunizieren, etwa mit Signal- und Schrankenanlagen, Einsatzfahrzeugen von Polizei und Co.
Auch ist das verfügbare Kartenmaterial vielfach zu ungenau. Eine weitere elementare Voraussetzung ist die Datensicherheit.
Zur Abwehr von Cyberattacken müssen vor allem auf internationaler Ebene geeignete Standards entwickelt werden. Und last but not least muss die Gesetzgebung angepasst werden.
So gestattet etwa die für viele Länder verpflichtende UN/ECE-Regelung R 79 für Lenkanlagen nur korrigierende Lenkeingriffe. Hierzulande und andernorts gibt es keine rechtliche Basis für die Legalisierung des autonomen Fahrens.
Auf öffentlichen Straßen sind automatisierte Systeme nur dann zulässig, wenn sie jederzeit vom Fahrer abgeschaltet oder übersteuert werden können. Ein Fahrer muss demnach immer an Bord sein.
Autonomiezonen und Platooning
Auf abgegrenzten Arealen wie Werksgeländen, Speditionen oder Flug- und Seehäfen ist die fahrerlose Logistik dagegen schon auf dem besten Weg zur Wirklichkeit. „Die Kosten-, Sicherheits- und Effizienzvorteile für den Kunden machen hier den Unterschied“, ist Wolf-Henning Scheider, Vorstandsvorsitzender von ZF Friedrichshafen sicher, so dass der Markt die neue Technik zügig annehmen werde.
Sein Unternehmen hat mit dem „ZF Innovation Truck“ und dem „ZF Terminal Yard Tractor“ Fahrzeuge entwickelt, die das Rangieren von Wechselbrücken oder Trailern und Containern vollständig autonom übernehmen.
Räumlich abgegrenzte Gebiete wie Betriebsgelände sind ideal geeignet für das autonome Fahren: Die Fahrzeuge benötigen keine Straßenzulassung und der Verkehr ist überschaubar. Das Fraunhofer-Institut entwickelt im Verbundprojekt „AutoTruck“ derzeit Technologien für autonom fahrende Lkw in Logistikzentren. Sie werden auf einem Betriebshof des Partners Emons Spedition erprobt.
Michael Wolf, Speditionsleiter der Emons-Niederlassung in Dresden, knüpft hohe Erwartungen an dieses Projekt: „Mit dem autonomen Lkw, gesteuert auf Betriebshöfen über einen Leitstand, verbinden wir die Hoffnung, die wertvolle Arbeitszeit von Kraftfahrern effizienter einzusetzen.“ Ein Beispiel: Die Phasen der Be- und Entladung sind oftmals mit Wartezeiten der Fahrer auf einen freien Rampenplatz verbunden.
Dank „AutoTruck“ kann der Fahrer den Lkw nach seiner Tour in einer Bereitstellungszone abstellen, Feierabend machen oder bereits wieder zu einer neuen Tour aufbrechen. Der abgestellte Lkw steuert autonom, von einem Leitstand überwacht, bei Bedarf eine freie Rampe zur Be- und Entladung an. „Hier sehen wir ein merkliches Einsparungspotenzial bei gleichzeitiger Entlastung der Fahrer.“
DB Schenker führt seit Juli 2018 einen ähnlichen Praxis-Dauertest mit einem Lkw namens „Wiesel“ der Firma Kamag durch. Der Wiesel ist für den Transport von Wechselbrücken auf Logistikhöfen bestimmt und kann diese autonom bewegen.
Auch auf anderem abgegrenzten Terrain stellen vollkommen autonom fahrende Lkw ihr großes Potenzial schon heute unter Beweis: So ist seit Herbst 2016 der selbstfahrende „Volvo FMX“ unter realen Bedingungen in einer Erzmine im Einsatz. Aktuell in der Erprobung befinden sich autonome Müllabfuhr- und Baustellenfahrzeuge sowie fahrerlose Systeme in der Landwirtschaft.
Die Kolonne wird kommen
Das Fahren im Verbund (Platoon) ist eine realitätsnahe Option, die zeigt, wie sich mit vernetzten Lkw die Leistungsfähigkeit des Warentransports auf Autobahnen und Bundesstraßen steigern lässt. Und so funktioniert’s: Elektronisch gekoppelt, reihen sich mehrere Lkw in einen Zug (Platoon) ein, in dem die Fahraufgaben und der Abstand per Vernetzung reguliert werden.
Das führende Fahrzeug gibt die Geschwindigkeit und die Richtung vor. In den dahinter fahrenden Lkw können die Fahrer sich anderen Aufgaben widmen oder ruhen. Wesentliche Ziele von Platooning sind eine Steigerung der Verkehrssicherheit sowie eine Kraftstoffeinsparung, die bis zu 15 Prozent für den gesamten Platoon betragen soll – weil die folgenden Fahrzeuge dichter auf- und deshalb im Windschatten fahren können.
Gegenwärtig wird Platooning im Logistikalltag getestet, zum Beispiel bei DB Schenker in Kooperation mit MAN Truck & Bus. Michael Wolf von der Spedition Emons sagt: „Platooning auf Autobahnen sehe ich vor allem für getaktete Linienverkehre, welche oft parallel von einem an der Autobahn liegenden Logistikzentrum zum anderen verkehren. Bis zum Alltagsbetrieb werden aber mindestens noch fünf Jahre ins Land gehen.“
Der Fahrerberuf wird nicht aussterben
Und das ist dann auch die gute Nachricht für Fahrer. Die Digitalisierung des Lkw-Verkehrs wird ihr Berufsbild verändern. Sie wird ihnen viele Fahraufgaben abnehmen, sodass sie sich derweil anderen Tätigkeiten wie etwa der Disposition von Touren zuwenden können. Die Technik kann viel, sie ist aber noch nicht so ausgereift, dass auf absehbare Zeit auf Fahrer verzichtet werden könnte.
„Es gibt Bereiche und Alltagsereignisse, wo die Technik an ihre Grenzen stößt“, sagt Michael Wolf. „Dann ist der Fahrer mit seinem Können und Geschick gefordert. Auch wird der Fahrer im lokalen Verteilerverkehr unersetzlich bleiben, da hier mindestens die Hälfte der Arbeitszeit für das Be- und Entladen beim Kunden vor Ort verwendet wird.“
Davon, dass noch viel Zeit vergeht, ehe autonome Lkw eine zuverlässige, sichere und nachhaltige Option auf allen Straßen darstellen, ist auch Boris Blanche, Managing Director der IRU, überzeugt: „Es steht außer Frage, dass autonome Lkw die Branche letztendlich transformieren werden. Aber trotzdem werden Fahrer in der Zukunft keinesfalls überflüssig. Und die Branche muss sogar weiterhin noch mehr Fahrer dazu ermutigen, den Beruf zu ergreifen.“
Autonomes Fahren: die fünf Stufen zum selbstfahrenden Kraftfahrzeug
Stufe 1: Assistiertes Fahren
Fahrassistenten unterstützten den Fahrer, sie übernehmen aber nicht das Steuer. Beispiele: Bremsassistent und Abstandshalteassistent.Stufe 2: Teilautomatisiertes Fahren
Assistenzsysteme können Fahrfunktionen übernehmen, etwa automatisch bremsen, beschleunigen und im Unterschied zu Stufe 1 auch steuern. Der Fahrer bleibt in der Verantwortung, er darf sich nicht vom Verkehrsgeschehen abwenden, muss die automatischen Funktionen ständig überwachen und darf keiner fahrfremden Tätigkeit nachgehen.Stufe 3: Hochautomatisiertes Fahren
Das Fahrzeug ist in der Lage, über längere Strecken und in bestimmten Verkehrssituationen komplett eigenständig zu fahren, etwa auf Fernstraßen. Der Fahrer kann sich unter gewissen Voraussetzungen dann auch dauerhaft vom Verkehrsgeschehen abwenden. Sind die Funktionsgrenzen des Systems erreicht, signalisiert das System, dass der Fahrer das Steuer wieder übernehmen muss.Stufe 4: Vollautomatisiertes Fahren
Das Fahrzeug bewältigt alle Fahraufgaben vollkommen selbstständig. Ein Eingreifen des Fahrers ist nicht erforderlich. Der Fahrer, der sich anderen Tätigkeiten widmen oder sogar schlafen darf, muss dennoch fahrtüchtig sein, um im Bedarfsfall nach einer entsprechenden Aufforderung des Wagens die Fahraufgaben übernehmen zu können.Stufe 5: Autonomes Fahren
Komplett fahrerloser Betrieb. Das Fahrzeug kann vollumfänglich auf allen Straßentypen, in allen Geschwindigkeitsbereichen und unter allen Umfeldbedingungen sämtliche Fahraufgaben selbstständig durchführen. Cockpit, Lenkrad und Pedalerie sind somit obsolet.
Nette Idee – aber nicht im Funklochland Deutschland!!