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Platooning ist ein heißes Eisen. Wenn 40-Tonner völlig automatisch im Verbund fahren, weckt dies bei vielen Autofahrern Ängste und bei Transport- und Logistikunternehmern Hoffnung auf die Erschließung neuer Sparpotenziale. Bei der European Truck Platooning Challenge wird das Konzept bereits in der Praxis getestet.

Was Tesla und Co. können, beherrschen moderne Lkws schon lange. Seit mehr als 20 Jahren entwickeln die Hersteller für Nutzfahrzeuge Fahrassistenten, Abstandwarner und Spurhaltesysteme. 1996 ging es mit dem ersten Actros von Mercedes-Benz los. Damals hielt der Bordcomputer in den Lkw Einzug. Durch den von Bosch entwickelten CAN-Bus wurden alle Komponenten im Lkw vernetzt. Elektronisch gesteuert wird seither nicht nur der Motor, sondern auch das Getriebe und die Bremsen. Nächster Schritt war die Entwicklung eines Abstandsregeltempomats für schwere Nutzfahrzeuge, der ein Fahrzeug in einem bestimmten Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug fahren lässt, indem er völlig autonom die Motorleistung regelt und bei Bedarf auch die Bremsen ansteuert. Weitere Schritte in Richtung autonomes Fahren waren die standardmäßige Ausstattung von Lkws mit automatisierten Schaltgetrieben und die Einführung eines Spurhalteassistenten. Dieser erkennt über ein Kamerasystem die Fahrspur und warnt den Fahrer, wenn er sie verlässt, beziehungsweise korrigiert selbsttätig die Richtung des Fahrzeugs. Alle elektronischen Heinzelmännchen wurden zunächst belächelt, dann aber von immer mehr Betrieben in ihren Fahrzeugen eingesetzt und so ausgiebig in der Praxis getestet.

Heute bilden diese Fahrassistenten die Grundlage für Autopiloten, die zum Beispiel bereits in den Fahrzeugen des amerikanischen Elektroautomobilherstellers Tesla zum Einsatz kommt – und eben auch beim Platooning, bei dem mehrere Sattelzüge extrem dicht hintereinanderfahren und ihr Verhalten automatisch an dem vorausfahrenden Fahrzeug orientieren. Die Vision: Alle im sogenannten Platoon (Englisch für Trupp) fahrenden Fahrzeuge sind durch WLAN miteinander vernetzt. Diese automatisierte Car-to-Car-Kommunikation wird auch als elektronische Deichsel bezeichnet. Das führende Fahrzeug gibt in der Kolonne Geschwindigkeit und Richtung vor. Größter Vorteil ist der geringere Abstand, in dem die Sattelzüge einander folgen können. Statt 150 Meter benötigen drei Züge nur noch 80 Meter. Die Fahrbahnbelegung einer solchen Dreierkombination ist also nur noch etwas mehr als halb so groß wie bei normalen Lkws – angesichts der von Experten bis 2050 erwarteten Verdreifachung des transportierten Volumens im Straßengüterverkehr ein überzeugendes Argument.

Sicherheitsabstand schrumpft auf 15 Meter

Nun halten sich zwar auch heute die meisten Fahrer nicht an den vorgeschriebenen Abstand von 50 Metern, doch geht das nur so lange gut, wie der vorausfahrende Lkw nicht zu einer Notbremsung gezwungen wird. Denn die Gefahr eines Auffahrunfalls erhöht sich dadurch beträchtlich. Selbst ein aufmerksamer Fahrer hat eine Reaktionszeit von 1,4 Sekunden. In dieser Zeit legt sein Fahrzeug ungebremst 35 Meter zurück. Zweiter Vorteil der per WLAN gekoppelten Kolonne: Die Elektronik des vorausfahrenden Fahrzeugs im Platoon benötigt nur 0,1 Sekunden, um den Bremsbefehl an alle folgenden Fahrzeuge weiterzuleiten. So kann der Sicherheitsabstand auf 15 Meter verringert werden, was wiederum den Luftwiderstand der folgenden Fahrzeuge erheblich verringert. Bei Feldversuchen auf der A52 bei Düsseldorf ermittelte Mercedes-Benz eine Kraftstoffersparnis von sieben Prozent. Jeder der 40-Tonnen-Züge kam dabei auf einen Durchschnittsverbrauch von 25 l/100 km. Um eine Tonne Gewicht über 100 Kilometer zu transportieren sind, folglich gerade einmal 0,66 Liter Diesel nötig. Das schafft kein Pkw mit Verbrennungsmotor.
Dass Platooning bereits heute recht sicher ist, zeigte die von der niederländischen EU-Ratspräsidentschaft organisierte European Truck Platooning Challenge, an der sechs Lkw-Hersteller – DAF Trucks, Daimler Trucks, Iveco, MAN Truck & Bus, Scania und Volvo Group – teilnahmen. Die Fahrzeugkolonnen fuhren dabei in Deutschland, Schweden, Dänemark, Belgien und den Niederlanden und schwammen dabei im normalen Verkehr mit. Dies war insofern gefahrlos möglich, als in jedem Fahrzeug des Test-Platoon gleichzeitig auch ein Fahrer jederzeit die Kontrolle übernehmen konnte. Dank der Fahrassistenten konnte außerdem jeder Sattelzug unabhängig vom vorausfahrenden Fahrzeug auf unerwartete Situationen reagieren wie etwa das Ein- und Ausscheren anderer Fahrzeuge in die Kolonne.

» Truck Platooning kann den Verkehr tatsächlich sauberer und effizienter machen. «
Melanie Schultz van Haegen, niederländische Ministerin für Infrastruktur und Umwelt

„Die Ergebnisse dieses ersten großen Feldversuchs in Europa sind vielversprechend“, resümiert die niederländische Ministerin für Infrastruktur und Umwelt, Melanie Schultz van Haegen. „Truck Platooning kann den Verkehr tatsächlich sauberer und effizienter machen.“ Während die Technik sich bewährt hat, wurden vor allem Probleme rechtlicher und menschlicher Natur sichtbar. So waren etwa die Auflagen, die die Behörden der einzelnen Länder für die Straßenzulassung machten, noch sehr unterschiedlich. In Schleswig-Holstein durfte der Konvoi keine Bundes- oder Landstraßen nutzen, die belgischen und niederländischen Behörden untersagten der Fahrzeugkolonne das Überholen anderer Fahrzeuge. Und in Deutschland mussten alle Fahrzeuge mit Warnschildern und gelben Drehlichtern ausgestattet werden. Die Höchstgeschwindigkeiten der Fahrzeugkolonnen waren wie für alle schweren Nutzfahrzeuge in den meisten Ländern bis auf Belgien, wo Lkws 90 km/h fahren dürfen, auf 80 km/h beschränkt. Die Geschwindigkeit von Fernverkehrs-Lkws liegt in der Praxis aber häufig darüber. Dies führte zu zahlreichen Überholmanövern anderer Lkws, deren Fahrer dann von der Länge der Platooning-Kolonne überrascht wurden und den Überholvorgang teilweise wieder abbrachen. Auch die Fahrer an Bord der Platoon-Fahrzeuge reagierten unterschiedlich – etwa bei starken Gefällestrecken oder in komplexen Verkehrssituationen wie Autobahnab- oder -auffahrten, wo sie sich ohne Not aus dem Platoon ausklinkten.

Fazit: Alle Praxiserfahrungen zeigen zahlreiche Problemfelder auf, die noch bearbeitet werden müssen. Hinzu kommt: Zwischen Fahrzeugen verschiedener Hersteller ist Platooning zurzeit noch nicht möglich. Hier müssen gemeinsame technische Standards entwickelt werden. Und schließlich sind die Sozialvorschriften bisher nicht für Platooning optimiert, was es für Transportunternehmen zurzeit wenig attraktiv macht, überhaupt derartige Fahrzeugkolonnen zu organisieren. Auch wenn in heutigen Lkws bis zu 400 Sensoren Daten abgreifen, die bereits für proaktive Wartung oder zur Optimierung von Transporten genutzt werden, steht die Vernetzung des Lkw mit anderen Fahrzeugen sowie auch mit der Logistikkette oder dem Verkehrsmanagement – noch – ganz am Anfang.