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Immer mehr Mittelständler gehen dazu über, Spielkonzepte fürs Business zu adaptieren. Gamification heißt der Trend, mit dem sie neue Kunden gewinnen, Probleme lösen oder Mitarbeiter motivieren wollen.

Wenn ein Bagger der Firma Zeppelin Baumaschinen GmbH streikt, kann der Stillstand für das jeweilige Unternehmen teuer werden. Zeppelin schickt daher einen Servicetechniker mit seinem Diagnosegerät so schnell wie möglich vor Ort, um die Ursache zu finden und die Maschine zu reparieren. Bei komplizierteren Fällen wäre für die Lösung des Problems ein Austausch mit den rund 650 Technikern von Zeppelin hilfreich, denn nicht jeder kann alles über die mehr als 200 verschiedenen Baumaschinentypen wissen. Hier setzt das Konzept von Horst Wildemann an: Der Geschäftsführer der TCW Transfer-Centrum GmbH & Co. KG und sein Team arbeiten in einem Pilotprojekt daran, wie sich in Betrieben wie Zeppelin das Wissen des Einzelnen für alle zugänglich machen lässt.

Für Zeppelin haben sie eine Onlineplattform erstellt, auf der jeder Servicetechniker wie bei Facebook ein Profil hat und mit seinen Einträgen zum gemeinsamen Wissen beiträgt. Wer eine Frage stellt, bekommt aus der Community schnell eine Antwort. Um die Plattform zu befeuern, erhalten sowohl der Fragensteller als auch die Antwortgeber eine Belohnung in Form von Punkten, die sie später gegen Prämien einlösen können. Spielerisch können sich die Kollegen so miteinander messen. Aber bei dem Belohnungssystem gehe es nicht nur um materielle Anreize, wie Wildemann betont: „Mitarbeiter wollen in erster Linie Anerkennung für ihre Lösung und eine positive Wertschätzung durch die Unternehmensleitung erfahren.“ An seinem Projekt nehmen 18 Unternehmen teil, darunter zwölf Mittelständler. Ihr gemeinsames Ziel: „Durch Spielifizierung Prozesse zu optimieren, neue Ideen auf den Weg zu bringen und ihre Mitarbeiter zu motivieren“, so Wildemann. Bewusst benutzt er nicht den englischen Begriff „Gamification“, um den Unterschied des praktischen Unternehmenseinsatzes zu den bunt animierten Computerspielen zu unterstreichen.

Spielifizierung ist vor allem bei eher monotonen Tätigkeiten sinnvoll. Wettbewerbe, in denen man sich messen kann, Ranglisten, welche die eigene Leistung im Vergleich zu anderen zeigen, oder spielerische Ansätze, die Mitarbeiter in den gesamten Prozess einbeziehen, fördern die Motivation. „Wenn die Arbeit Spaß macht, führt das auch zu guten Ergebnissen“, sagt Wildemann. Jedoch stünden auch hier die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen im Vordergrund, es dürften keine leistungsbezogenen Rückschlüsse gezogen werden. So sollte es aus datenschutzrechtlichen Gründen auch möglich sein, anonym teilzunehmen – aber wo bleibt da der Spaß des gegenseitigen Messens?

Motivation durch Aktion

Wissenschaftlich gesehen bedient sich Gamification bei Konzepten und Methoden aus den Bereichen Verhaltens- und Motivationspsychologie, User Interface Design sowie Game Design und beruht auf der sogenannten intrinsischen Motivation, was so viel bedeutet, wie dass die Motivation durch die Aktion ausgelöst wird. Der Spieler vergisst Raum und Zeit dabei und gerät in den sogenannten Flow. Im Gegensatz zu „Serious Games“, die Mehrwerte über ein ganzes Spiel vermitteln, konzentriert sich Gamification auf den gezielten Einsatz einzelner, spielerischer Elemente, die in spielfremdem Kontext – wie etwa dem Lösen eines technischen Problems bei der Firma Zeppelin – angewandt werden.

Heute gibt es kaum einen Unternehmensbereich, der sich nicht durch den spielerischen Ansatz verbessern ließe. Allzu offen kommunizieren Firmen ihre Einsätze jedoch nicht: „Das liegt meist daran, dass es sich um unternehmensinterne Projekte handelt und Zahlen oder Entwicklungen nicht genannt werden dürfen“, erklärt Roman Rackwitz, Managing Director des Gamification-Anbieters Engaginglab GmbH & Racksocial. Neben Marketingeinsätzen, der Mitarbeiterrekrutierung und der Motivationssteigerung lassen sich damit auch neue Wege der Problemlösung finden, Prozesse optimieren, Kosten senken und neue Ideen gewinnen.

Vor allem die junge Generation ist verrückt nach Computerspielen: Rund 97 Prozent aller Jugendlichen zocken regelmäßig. Das machen sich findige Unternehmen zunutze: „Gamification lässt sich überall dort, wo Lernen, Können und Wissen unterstützt werden sollen, wo es um Motivation und Konzentration geht sowie an der Schnittstelle Mensch-Maschine zielführend einsetzen und stößt dabei weder an Alters- noch an Sozialgrenzen“, erklärt Maximilian Schenk, Geschäftsführer des BIU – Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware. Anwender haben durch die Spielmechaniken die Möglichkeit, schnell erste Erfolgserlebnisse und positives Feedback zu bekommen. So können beispielsweise Arbeitnehmer anhand von spielerisch vermittelten Szenarien lernen, wie sie Prozesse optimieren oder ihr Fachwissen aktiv in ihrer Firma einbringen. Dabei gehe es jedoch nicht nur darum, Punkte zu sammeln oder das nächste Level zu erreichen: „Das Wichtigste bei dem Thema ist zunächst einmal die Qualität der Anwendungen. Gamification soll mit einem ganzheitlichen, motivierenden Ansatz Wissen vermitteln, positive Verhaltensweisen fördern und dem Nutzer dabei helfen, sich selbst und seine Fähigkeiten weiterzuentwickeln“, sagt Schenk.

Wichtige Voraussetzung

Wie nehmen die Mitarbeiter und Kunden die Gamification überhaupt an? „Die Akzeptanz hängt unserer Erfahrung nach maßgeblich von der Art und Weise der Umsetzung ab“, sagt Rackwitz: „Passt sie zur Firmenkultur, steigt die Akzeptanz.“ Im Klartext: Zum Scheitern verurteilt sind Verhaltensweisen, die eher fremd für das Unternehmen sind – wie etwa Kollaborationsmechaniken in einem sehr wettbewerbsorientierten Arbeitsklima. Oder Regeln, die Kollegialität fördern, aber ein Bonussystem, das Einzelleistungen honoriert. Oder eine Gamification-Software, die auf übertriebene Grafiken und spielähnliche Animationen zurückgreift, während die Mitarbeiter im Geschäftsalltag mit simplen Excel-Sheets, Powerpoint-Grafiken oder klassischen CAD-Programmen hantieren. „Dann wird das Projekt mit großer Wahrscheinlichkeit von den Mitarbeitern als das enttarnt werden, was es meist auch ist: der Versuch, durch ‚Entertainment‘ attraktiv wirken zu wollen“, warnt Roman Rackwitz.

Auch wenn alle diese Punkte beachtet werden, ist das Konzept kein Selbstläufer: „Es stößt schnell an seine Grenzen, wenn die Bedürfnisse der Anwender nicht ausreichend berücksichtigt werden und Mitarbeitern ein Spiel aufgezwungen wird, das ihnen nicht zusagt“, weiß Jörg Niesenhaus, Computerwissenschaftler und Standortleiter der Softwareschmiede Centigrade. „Aus diesem Grund ist es unseres Erachtens von großer Bedeutung, Repräsentanten aller beteiligten Gruppen – Mitarbeiter, Betriebsräte, Management – an der Konzeption der spielerischen Anwendung gebührend teilhaben zu lassen.“

Und ein weiterer Punkt entscheidet darüber, ob Gamification – oder Spielifizierung – ein Erfolg wird: „Im Gegensatz zu herkömmlichen Spielen darf es hier keine Verlierer geben“, betont Horst Wildemann. Am Ende sollen alle gewinnen: Mitarbeiter, Kunden und natürlich auch das Unternehmen.

In diesem Video erfahren Sie mehr über die Funktionsweise von Gamification.

Gamification: Einsatzgebiete und Beispiele

Gamification hat seine Wurzeln im Marketing und in der Kundenbindung. Mittlerweile wird in fast allen Unternehmensbereichen und Branchen gespielt:

Marketing. Der US-Sportartikelhersteller Nike hat eine eigene Community in der App mit Nike Plus vereint. Dort treten die Nutzer spielerisch gegeneinander an und messen ihre Leistungen. Es gibt Trainingsaufgaben, Bestenlisten und Wettbewerbe.

Kundenbindung. Gäste des Wellnesshotels Prinz-Luitpold-Bad im Allgäu werden beim Spiel „Ritter der Prinz-Luitpold Tafelrunde“ nach 21 Übernachtungen zum „Knappen der Prinz-Luitpold Tafelrunde“ ernannt und erfahren, wie viele Nächte ihnen zur Beförderung zum Sergeant fehlen und welche gute Tat sie noch vollbringen müssen. Ein Viertel der Gäste macht dabei tatsächlich mit. Der Gewinn: mehrere Tausend Euro für wohltätige Zwecke und eine außergewöhnliche Art der Kundenbindung. Das Besondere: Dieses Spiel kommt fast ohne Technik aus.

Aus- und Weiterbildung. Per Computerspiel können Mitarabeiter verschiedene Szenarien durchspielen – und aus ihren Fehlern lernen. Bei Siemens etwa trainieren Mitarbeiter in „Plantville“, Industrieanlagen zu managen. Wie gut sie darin sind, sehen sie an Ranglisten. Belohnt werden sie mit Punkten und Gewinnen.

Verhaltensbeeinflussung. Das Carsharing-Unternehmen Car2Go beispielsweise will Fahrer zum Energiesparen animieren. Sobald der Fahrer im Wagen die App aktiviert, sieht er auf dem Display jeweils einen Baum für Beschleunigung, Beständigkeit und Bremsen. Bei sparsamer Fahrt wachsen die Bäume, wer viel Gas gibt, lässt sie elendig verkümmern.

Motivation. Vor allem bei monotonen Fließband- oder Industrie-4.0-Arbeiten im Team mit Maschinen ist Gamification eine Lösung, um die Mitarbeiter aktiv einzubinden und sie zu Verbesserungsvorschlägen zu ermutigen. Das nutzt beispielsweise der Antriebsspezialist Sew-Eurodrive aus Bruchsal : Im Mittelpunkt steht dabei der Mitarbeiter mit seinen individuellen Bedürfnissen und Interessen. Eine Kombination aus attraktiver Gestaltung der Benutzeroberfläche und Interaktionsmechanik unterstützt ihn in seinen täglichen Arbeitsroutinen.

Recruiting. Spielerisch werden Bewerber über die Abläufe in Unternehmen informiert. Die Hotelkette Marriott International veranschaulicht Job-Bewerbern die Herausforderungen der Hotellerie und schickt Bewerber als Spieler von „My Marriott Hotel“ als Verwalter in die Hotelküche. Je nachdem, wie sich der Kandidat schlägt, heimst er Punkte und Gewinne ein. Ranglisten spornen die Bewerber zusätzlich an.

Vertrieb. Auch kleine Leistungen werden mit Auswertungen und Ranglisten registriert und anerkannt. Bei der Softwareschmiede SAP etwa trainieren die Vertriebler die Kundengewinnung anhand eines Videospiels. Darin durchlaufen sie ein Verkaufsgespräch mit verschiedenen Antwortmöglichkeiten. Ein Farbbalken zeigt ihnen, wie ihr Gespräch verläuft: Grün bedeutet „Abschluss in Sicht“, Rot dagegen „Abschluss gefährdet“. Eine Rangliste vergleicht die Leistungen der einzelnen Kollegen untereinander.

Crowdsourcing. Spielerisch wird durch Auslagern einer Problemstellung die Kreativität der Masse genutzt. Ein Beispiel ist das experimentelle Computerspiel Foldit, entwickelt an der University of Washington. Damit konnten die Teilnehmer innerhalb von nur zehn Tagen spielerisch die Proteinstruktur eines Aids-Virus entdecken, die den Wissenschaftlern in ihrem Elfenbeinturm über Jahre verborgen geblieben war.