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IT-Fachkräfte sind rar, während die Digitalisierungsanforderungen in Unternehmen steigen. Eine Lösung sind sogenannte No-Code-Plattformen. Damit können auch IT-Laien Business-Apps zusammenstellen.
Händeringend suchte Philipp Friedmann, Geschäftsführer der Friedmann Print Data Solutions GmbH im schwäbischen Gomaringen, einen IT-Mitarbeiter. Jahrelang. Gegen die großen Arbeitgeber Daimler und Bosch in seiner Region zwischen Reutlingen und Tübingen hatte die kleine Druckerei mit ihren rund 35 Mitarbeitern keine Chance.
„Mit dem Programmieren unserer Anwendungen mussten wir externe Dienstleister beauftragen“, erklärt Friedmann. Das war nicht nur teuer, sondern auch zeitaufwendig. Dann kam die Lösung: Die sogenannte No-Code-Plattform Saas.do des Anbieters Necara.
Das Besondere: Mit Entwicklungsplattformen wie dieser können auch Nicht-Programmierer Anwendungssoftware über grafische Benutzeroberflächen und Konfigurationen erstellen, anstatt herkömmliche Computerprogramme zu verwenden.
„Nach dem Baukastenprinzip kann ich auf der No-Code-Plattform aus vorgefertigten Modulen Anwendungen selbst zusammenklicken“, sagt der gelernte Drucker.
Seine Druckerei ist direkt an verschiedene Bestellsysteme der Kunden angebunden und übernimmt von dort die Aufträge und verarbeitet sie. „Das Problem ist, dass jeder Kunde ein anderes Dateiformat nutzt, sodass wir ein riesiges Datenwirrwarr hatten“, sagt Friedmann.
„Jetzt nutzen wir Saas.do sozusagen als Transmitter, um die Bestellsysteme unserer Kunden in einem einheitlichen Format anzubinden, sie mit anderen Daten, wie dem jeweiligen Bestellstatus, anzureichern und sie automatisiert zu verarbeiten“, erklärt er.
Auch das Abrechnungssystem und die Sammelrechnung am Ende des Monats für jeden Kunden, die genau auflistet, wer was wann bestellt hat und geliefert bekam, hat er selbst nach dem Baukastenprinzip erstellt. „Eine riesige Erleichterung“, sagt Friedmann.
Zwei Fliegen mit einer Klappe
Mit der No-Code-Plattform löst der mittelständische Unternehmer gleich zwei Probleme: die digitale Transformation und den IT-Fachkräftemangel. Dieser erreicht nach der neuesten Erhebung des Digitalverbands Bitkom einen Spitzenstand von 124.000 offenen Arbeitsplätzen.
Das entspricht einem Anstieg um 51 Prozent verglichen mit dem Vorjahr (82.000 offene IT-Stellen). Innerhalb von zwei Jahren hat sich damit die Zahl der unbesetzten IT-Stellen mehr als verdoppelt.
Für die Erhebung hatte Bitkom Research 856 Geschäftsführer und Personalleiter von Unternehmen ab drei Mitarbeitern aller Branchen befragt. „Jede unbesetzte IT-Stelle kostet Umsatz, belastet die Innovationsfähigkeit der Unternehmen und bremst die nötige digitale Transformation“, erklärt Bitkom-Präsident Achim Berg.
„Der Mangel an IT-Experten bedroht die Wettbewerbsfähigkeit unserer gesamten Wirtschaft.“
Klar ist: Die rasant fortschreitende Digitalisierung verlangt nach immer mehr Softwarelösungen. „Fachabteilungen werden häufig durch begrenzte Ressourcen von IT-Abteilungen ausgebremst“, sagt Markus Bernhart, Sales and Marketing Manager der Necara GmbH.
Plattformen wie Saas.do ermöglichen es jeder Fachabteilung, eigenständig hochwertige Software zu erstellen. „Programmieren im Unternehmen wird dank No-Code-Plattformen in Zukunft kein Job, sondern ein Arbeitsschritt sein“, ist er überzeugt.
IT für jedermann
„Mitarbeiter können die Lösung ihrer Probleme selbst in die Hand nehmen, ohne erst lange Briefings an die IT-Abteilungen aufsetzen zu müssen“, sagt Frank Böhmer, Gründer der Plattform Ninox. Auf ihr können sich User ebenfalls nach dem No-Code-Prinzip Datenbank-Apps zusammenstellen.
„Mithilfe einfacher Vorlagen kann jeder Nutzer ohne jegliche Programmierkenntnisse selbst personalisierte Business-Apps bauen und so Workflows und Prozesse automatisieren“, sagt Böhmer.
Das nutzte beispielsweise Josef Haas, geschäftsführender Gesellschafter des Fertighausherstellers Kampa im schwäbischen Aalen-Waldhausen. Die Techniker des Herstellers inspizieren alle Häuser am Ende des Konstruktionsprozeses.
Mögliche Mängel und daraus resultierende Aufgaben für Facharbeiter wurden früher auf Papier verwaltet. „Das Ergebnis waren mangelnde Transparenz, unklare Verantwortlichkeiten und ineffiziente Prozesse, die zu Verzögerungen und Mehrausgaben führten“, erklärt Haas.
Auf der Ninox-Plattform hat er eine Anwendung zusammengestellt, die automatisch Mängel und Aufgaben dokumentiert und zuordnet. Die Belegschaft ist jetzt immer auf dem Laufenden über den aktuellen Status. „Damit lösen wir das Problem fehlender IT-Spezialisten für die Entwicklung und unsere Fachanwender können die Prozessschritte eigenständig erstellen und anpassen“, so Haas.
Keine Frage: No Code steht für einen Paradigmenwechsel in der IT und für eine Lösung im sich verschärfenden Fachkräftemangel. Die Erstellung von Webseiten, Apps und Geschäftsanwendungen wird damit für Menschen möglich, die vorher kaum oder keine Berührungspunkte mit der IT-Welt hatten.
Anders als bei Low-Code-Plattformen, die noch ein gewisses Programmierverständnis erfordern, können Nutzer mit No-Code ohne jegliche technische Kenntnisse – Experten sprechen hier von Citizen Developern – eine Anwendung erstellen.
Das funktioniert so: Nutzer registrieren sich bei einem entsprechenden Anbieter ihrer Wahl, bezahlen je nach individueller Anforderung und Anzahl der zu entwickelnden Apps eine Lizenzgebühr und können sich mit dem Browser eine Anwendung auf einer Cockpit-ähnlichen Entwicklungsplattform interaktiv zusammenklicken.
Auch die Datenanbindung an Cloud- oder Vorort-Systeme erfolgt zumeist automatisch.
„Dank der visuellen Oberfläche können auch Neulinge schnell zu ersten Ergebnissen kommen. Die Plattform ermöglicht das Testen und die Vorschau der App während des Entwicklungsprozesses, sodass das gesamte Team frühzeitig und häufig Feedback geben kann“, sagt Hans de Visser, Vice President Product Management bei Low- und No-Code-Anbieter Mendix weitere Vorteile. Damit entfallen auch kostspielige und zeitaufwendige Nacharbeiten.
Einen kleine Haken hat die Sache dennoch: Die Individualisierungsmöglichkeiten sind bei No-Code-Plattformen eingeschränkt. „Wer in der Anwendungsentwicklung mehr gestalterischen Freiraum möchte, ist mit Low-Code-Lösungen besser beraten“, sagt Martin Otten, Regional Vice President Central Europe bei Outsystems.
No-Code oder Low-Code?
Beide Plattform-Arten bieten eine visuelle Zusammenstellung von Apps nach dem Drag-and-Drop-Prinzip. Doch sie unterscheiden sich in der Art und im Umfang der Anwendung. Hauptunterschiede sind die Zielgruppe und die Herangehensweise: Während Low-Code Entwicklungsprozesse in der IT-Abteilung beschleunigen kann, befähigt No-Code die Mitarbeiter in den Fachabteilungen, sich aktiv in die Lösungsfindung einzubringen.
No-Code-Plattformen
Typische Anwender
Kleine und mittelständische Unternehmen, die kleinere Anwendungen ohne Entwickler realisieren wollen und wenig bis keine Komplexität in ihren Unternehmensanforderungen haben.
Vorteile
No-Code-Anwendungen erfordern praktisch keine Programmierkenntnisse.
Neue mobile oder Web-Anwendungen lassen sich in einem Bruchteil der Zeit entwickeln.
Nachteil
Einen eigenen Code hinzuzufügen, ist bei No-Code-Plattformen nicht oder nur eingeschränkt möglich.
Low-Code-Plattformen
Typische Anwender
Professionelle Entwickler, erfahrene Systemintegratoren und Unternehmensarchitekten, die technische Fertigkeiten mitbringen.
Vorteile
Nutzer können die Programme selber weiterentwickeln und flexibel an ihre Bedürfnisse anpassen. Entlastet die Entwicklungsabteilung im Unternehmen.
Nachteile
Deutlich komplexer in der Handhabung und eher Werkzeug für IT-Mitarbeiter. IT-Know-how für die Benutzung der Plattform erforderlich.
Fünf No-Code-Plattformen im Überblick
Mendix Studio
Mit dem No-Code-Tool können auch Laien, sogenannte Citizen Developer, Anwendungen über einen intuitiven „What you see is what you get“-Seiteneditor erstellen. Mendix Studio bietet einen visuell basierten Microflow-Editor, der dabei hilft, ohne Programmierung Geschäftslogiken zu Apps hinzuzufügen.
Saas.do
Die Plattform von Necara ermöglicht es, mithilfe des Baukasten-Systems Applikationen in einer wesentlich kürzeren Zeit zu erstellen und an individuelle Bedürfnisse anzupassen. Die Applikationen können vollständig per Drag-and-Drop beziehungsweise durch Klicken erstellt werden.
Ninox
Mit überschaubarem Aufwand entstehen Anwendungen, die ein spezifisches Problem lösen. Ninox hält etwa Vorlagen für die Warenwirtschaft, das Kundenbeziehungsmanagement (CRM) oder die Rechnungslegung bereit.
Outsystems
OutSystems, einer der führenden Low-Code-Plattform-Anbieter, bietet nun auch sogenannten Citizen Developern die Möglichkeit, Anwendungen mit der Plattform zu erstellen.
Appsheet
Das kürzlich von Google aufgekaufte Unternehmens Appsheet bietet die Integrationen mit Datenangeboten wie Salesforce, Dropbox, Office 365 und Google Cloud. Zu den Beispiel-Apps zählen Umsetzungen für das Managen von Lagerbeständen und Budgetplaner.