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Die postalische Adresse hat ausgedient. Mehrere Startups und Unternehmen arbeiten an der Neuvermessung der Welt. Ihr Ziel: Koordinatensysteme zu etablieren, die Roboter und Drohnen, aber auch Lieferanten und Kunden metergenau ans Ziel führen.
Clare Jones ist ein gern gesehener Gast auf Kongressen und Konferenzen, auf denen es um Logistik, Smart Cities und die Mobilität der Zukunft geht. Und überall, wo sie hinreist, versucht die Britin, nicht nur dem Publikum den Service ihres Unternehmens schmackhaft zu machen, sondern auch dem Taxifahrer, der sie zum Event bringt, oder dem Hotel, in dem sie übernachtet.
Jones ist Chief Commercial Officer von What3Words, einem Londoner Startup, das sich nicht weniger vorgenommen hat als die Neuvermessung der Welt. Präziser als die Kombination aus Straßenname und Hausnummer soll das System sein, unverwechselbarer und dabei genauso einfach zu merken.
„Eine Studie hat gezeigt, dass es in Deutschland bei 73 Prozent aller Paketsendungen Probleme beim Auffinden der richtigen Privat- oder Geschäftsadresse gibt. In über einem Viertel aller Fälle müssen die Fahrer auf zusätzliche Informationen zurückgreifen, um den genauen Zustellungsort zu finden“, sagt Jones.
Ihr Taxifahrer könnte mit What3Words jede Adresse auf drei Meter genau finden. Das Hotel wiederum könnte nicht nur dem Haupteingang eine Adresse zuweisen, sondern auch dem Personal- und dem Lieferanteneingang, im Prinzip sogar jedem einzelnen Zimmer.
Und das funktioniert so: What3Words-Gründer Chris Sheldrick teilte die Welt in gedachte drei mal drei Meter große Quadrate ein – und ordnete jedem Quadrat eine zufällig erstellte, aber einmalige Kombination aus drei Wörtern zu.
Das Brandenburger Tor etwa trägt die Dreiwortadresse achtung.ehefrau.gebieten. Die Redaktion des Creditreform-Magazins sitzt im Gebäude La Tête an der Toulouser Allee 27 in Düsseldorf – oder präziser: im zweiten Stock im What3Words-Quadrat angeregte.zuschlag.neigen.
Dreiwortadressen in 26 Sprachen
Inzwischen existieren für die weltweit 57 Billionen Quadrate individuelle Dreiwortadressen in 26 Sprachen. Zu finden sind sie in einer Online-Weltkarte oder in der kostenlosen App, die ähnlich funktioniert wie Google Maps.
Der entscheidende Vorteil, so Jones: Dreiwortadressen sind alltagstauglich. Denn natürlich gibt es GPS und das ebenso präzise und etablierte Koordinatensystem aus Längen- und Breitengraden. Wer damit bis auf die geografische Dezimalsekunde genau einen Ort finden möchte, muss sich eine lange Zahlenkombination merken.
Beim Brandenburger Tor wäre es beispielsweise 52° 30‘ 58,6“ N und 13° 22‘ 39,7“ E. Das ist wenig praktikabel – und leicht durcheinanderzubringen. Adressen aus Straßen- und Ortsname wiederum sind nicht sehr eindeutig.
Viele Städte in Deutschland haben einen oder mehrere Zwillinge. Frankfurt am Main und Frankfurt an der Oder sind noch das bekannteste Paar. Den Ortsnamen Hagen gibt es ganze 29-mal.
Deshalb ist What3Words nicht das einzige Unternehmen, das an einem eindeutigeren und einfach zu nutzenden neuen Adresssystem tüftelt. Ein Fahrer des Speditionskonzerns UPS etwa macht täglich rund 100 Lieferstopps.
Das Unternehmen schätzt, dass es seine Kosten um bis zu 50 Millionen Dollar pro Jahr senken kann, wenn jeder Fahrer dabei nur eine Meile weniger auf Irr- und Umwegen unterwegs ist. UPS arbeitet daher bereits seit 2013 mit der eigenen Navi-Software Orion und entwickelt sie laufend weiter.
Inzwischen optimiert die „On-Road Integrated Optimization and Navigation“ nicht nur die Routen, sondern führt auch zuverlässig zur Laderampe oder Hintertür, die Kunden als Lieferadresse angegeben haben.
Noch augenscheinlicher wird die Schwäche postalischer Anschriften, wenn künftig Drohnen Pakete ausliefern und selbstfahrende Autos ihre Insassen auch dort einsammeln oder absetzen sollen, wo es keine Adresse gibt, etwa in Parks, in ländlichen Regionen oder auf unerschlossenem Bauland. Mehr noch: Die UN schätzt, dass gut zwei Drittel der Weltbevölkerung darunter leiden, dass es in ihrer Heimat kein adäquates Adresssystem gibt.
Gut vier Milliarden Menschen sind nicht in der Lage, den Standort ihrer Wohnung so anzugeben – und im Notfall einen Krankenwagen zu rufen.
Eine niederländische Stiftung versucht seit mehr als zehn Jahren, mit den kostenlosen vier- bis sechsstelligen Mapcodes das Leben dieser vier Milliarden zu verbessern.
Sie sollen helfen, in abgelegenen Regionen die Post zuzustellen oder Infrastrukturen zu warten. In Kenia, Uganda und Nigeria etwa besitzen Strom- und Wasserzähler einen Mapcode. Die Kombinationen wie 8S.Q9TH helfen nicht nur, den Zähler eindeutig zuzuordnen, sondern fungieren gleichzeitig als Adresse des Hauses.
Die Adresse zum Mitnehmen
Ginge es nach Christian Horn, hieße die Lösung Cito Code. Das von ihm gegründete Berliner Unternehmen Cito System verfolgt einen ähnlichen Ansatz wie Mapcode und setzt ebenfalls auf eine sechsstellige Buchstaben- und Zahlenkombination, die jeder beliebigen Geokoordinate zugeordnet werden kann. Das Besondere daran: Der Code ist individuell konfigurierbar.
Eine Autovermietung könnte AUTO24 wählen, wenn dieser Code noch nicht anderweitig vergeben ist. Ähnlich wie bei What3Words sind die Nutzung der Cito-Code-App und das Erstellen eines einfachen Codes kostenlos. Premium-Nutzer können hinter ihrem Code weitere relevante Informationen hinterlegen, wie eine Telefonnummer, E-Mail- und Internetadresse und einen kurzen Infotext. Außerdem können sie ihre erstellten Cito Codes mitnehmen, wenn sie umziehen. So bleiben bei Restaurants etwa einmal gemachte Angaben in Reiseführern aktuell.
Während Cito noch mit potenziellen Geschäftskunden verhandelt, ist What3Words schon weiter. Die Deutsche Bahn etwa ist bereits seit 2016 über die DB Digital Ventures GmbH an What3Words beteiligt. Mit DB Schenker erfolgt nun die erste konkrete Praxisanwendung.
Seit wenigen Monaten können mehr als 100.000 Kunden des Logistikers über ein Online-Portal ihre Abhol- und Lieferorte durch die Dreiwortadresse online buchen. Auch der Autobauer Daimler hat sich an einer Finanzierungsrunde von What3Words beteiligt und das System bereits in erste Modelle integriert.
Künftig soll die gesamte Flotte damit ausgestattet werden. Hätte ihr Taxifahrer einen Mercedes, könnte Clare Jones beim nächsten Konferenzbesuch – am 13. Mai spricht sie beim Global Female Leaders Summit im Berliner Hotel Adlon – dann einfach selbst das Navi programmieren: verspielt.irgendein.viele.