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© Arpad Benedek/Getty Images

Solide Maschinen und Anlagen können jahrzehntelang präzise arbeiten. Um sie für die Zukunft zu rüsten und ihre Produktivität zu steigern, statten mehr und mehr Firmen sie mit Sensoren aus. Der Trend zum sogenannten Retrofit hat viele Vorteile.

 

Die Drehbank stammt noch aus der Zeit, als Otto von Bismarck das Deutsche Reich regierte. 1887 wurde sie gebaut, schon Robert Bosch soll an ihr gearbeitet haben. Jener Bosch, der durch seine Ideen und Ingenieurskunst den Grundstein für die heutige Bosch-Unternehmensgruppe legte.

Robert Bosch starb 1942. Die 300 Kilo schwere, pedalbetriebene Drehbank funktioniert bis heute einwandfrei – und hat jüngst sogar den Sprung ins Automatisierungs- und Digitalisierungszeitalter geschafft.

Dazu haben Ingenieure der Bosch-Tochterfirma Bosch Rexroth die Drehbank mit Sensoren versehen und sie befähigt, mit Computersystemen zu kommunizieren. Ganz so, wie es fabrikneue Maschinen und Anlagen inzwischen können, um sie im Internet der Dinge (Internet of Things – IoT) mit anderen Maschinen und Systemen zu vernetzen und zusammenarbeiten zu lassen.

Eine alte, aber immer noch voll funktionsfähige Maschine mit IT-Technik nachzurüsten, wird Retrofit genannt. Diese Art der Modernisierung wird für viele Industrieunternehmen immer bedeutender.

„Die durchschnittliche Nutzungsdauer von Fabrikausrüstung beträgt 20 Jahre“, sagt Florian Löber, Referent für Elektrische Automation beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). „Die meisten Anlagen müssen so lange laufen, damit sie sich rentieren.“

Auf der anderen Seite haben die Unternehmen immer größere Anforderungen an Energieeffizienz und eine flächendeckende Vernetzung der Maschinen, um Taktzeiten zu minimieren.

 

Anlageninvestitionen bleiben aus

Gerade kleinen Unternehmen aus der produzierenden Industrie aber fehlt oft das Kapital, um ihren Anlagenpark stetig oder gar von jetzt auf gleich zu erneuern. Die KfW-Bank hat erst jüngst wieder darauf hingewiesen, dass vor allem bei kleinen und mittleren Firmen der längerfristige Trend einer gedämpften Investitionsneigung anhält.

So habe in den Jahren 2006 bis 2008 noch mehr als jedes zweite Unternehmen Investitionen getätigt, ähnliche Werte seien seitdem unerreicht, so die Forscher der Förderbank. „Da klafft eine große Lücke und die ist ganz klar die Achillesferse der mittelständischen Unternehmen“, sagt KfW-Chefvolkswirtin Friederike Köhler-Geib.

Das Problem: Wenn immer weniger investiert wird, kann die Produktivität auch kaum steigen. Köhler-Geib weist darauf hin, dass die Gesamtwirtschaft dem Mittelstand in Sachen Produktivität um das Vierfache voraus sei.

„Die Arbeitsproduktivität im Mittelstand bewegt sich seit annähernd zehn Jahren, abgesehen von leichten Schwankungen, seitwärts.“ Vor allem in jüngster Vergangenheit hätten Unternehmen der wissensintensiven Dienstleistungen und kleine Mittelständler keine nennenswerten Produktivitätsfortschritte aufweisen können.

Wer also nicht in neue Maschinen investieren kann und damit in eine höhere Produktivität, kann zumindest die alten Maschinen aufrüsten und IoT-fähig machen. Im Idealfall entsteht auf diese Weise eine nahtlose Verschmelzung von Techniktradition und moderner Industrietechnik.

 

Die Retrofit-Rechnung

Meist ist die Mechanik bei Retrofit-Anlagen durch regelmäßige Wartung noch völlig in Ordnung, aber die Steuerung sowie elektronische Bauteile sind überholt. Zudem fehlt die Konnektivität, also die Möglichkeit, Daten mit anderen Systemen auszutauschen. Retrofit ermöglicht, diese Maschinen nachträglich zu vernetzen und in IoT-Produktionsprozesse zu integrieren, ohne in teure Neuanlagen zu investieren.

 

Wirtschaftliche Vorteile:

  • Upgrade von gegebenenfalls komplett abgeschriebenen Anlagen
  • Investitionskosten amortisieren sich nach Anbieterangaben in der Regel nach rund eineinhalb Jahren
  • Vermeidung der bei einem Maschinenwechsel entstehenden Nebenkosten, etwa für Werkzeuge, Fundamente, Veränderungen der Prozessabläufe sowie Personalschulungen
  • Verbesserung der Gesamtanlageneffektivität um bis zu fünf Prozent
  • Aber Achtung: Diese Vorteile kommen nur zum Tragen, wenn die Maschinen grundsätzlich noch sehr gut funktionieren. Bei völlig überalterten Anlagen lohnt sich ein Retrofit in der Regel nicht.

 

Den Leistungsgrad von Maschinen ermitteln

Björn Schuster hat mit dem Retrofit-Trend jeden Tag zu tun. Der studierte Maschinenbauingenieur ist Leiter Business Development des IT-Systemhauses N+P Informationssysteme mit Hauptsitz im sächsischen Meerane.

Schuster sagt: „In der Regel hat der jeweilige Produktionsleiter eines Mittelständlers nur ein Bauchgefühl, wie produktiv eine Maschine läuft.“

Weil eine subjektive Einschätzung immer weniger zu den Effizienzerfordernissen der Unternehmenswelt passe, gebe es bei seiner Firma immer mehr Anfragen von Kunden, die sich eine objektive und mit realen Produktionskennzahlen untermauerte Einschätzung wünschen.

„Mittelständler fragen sich im ersten Schritt zumeist, woher sie schnell Informationen über den Leistungsgrad ihrer Maschinen bekommen“, sagt der 43-Jährige. Da gehe es etwa um Parameter wie die Stückzahlen, die Ausschussrate, die Temperaturwerte oder auch Energieverläufe.

Als Beispiel nennt Schuster die Beschichtung von Glaskörpern eines Autozulieferers. Je nach Auftraggeber seien die Glaskörper von unterschiedlicher Qualität und Farbgebung. Die Produktionsanlagen müssten deshalb – je nach Anforderung – bei unterschiedlicher Temperatur laufen.

Dank der Ausstattung der Maschinen mit Sensoren können die Parameter des Produktionsprozesses zu jeder Zeit in eine IoT-Plattform überspielt und dort überwacht werden.

„Als dann bei dem Unternehmen sichtbar wurde, dass die Maschine 20 Prozent ihrer Zeit stillsteht, war die Verblüffung groß“, erzählt Schuster, dessen Firma Kunden bei der Digitalisierung entlang der kompletten Wertschöpfungskette unterstützt.

 

Retrofit: Günstige Alternative zum Neukauf

Wie bedeutsam die Sensorik in manch einem Unternehmen ist, belegt Schuster anhand der Fertigung von Elektronikbauteilen. „Bekannterweise haben diese Firmen einen hohen Anspruch an die Luftqualität, weil es sonst zu fehlerhaften Produkten kommt“, sagt Schuster.

Wie hoch der Anteil der Staubpartikel in der Luft ist, sei ein wichtiger Parameter für den reibungslosen Herstellungsprozess.

Fragt man Experten zu den Vorteilen von Retrofit, dann nennen alle zumeist die geringen Kosten im Vergleich zu einer Neuanschaffung. Zudem müssen die Mitarbeiter nicht zeit- und kostenaufwendig für eine neue Maschine geschult werden.

Auch Umbauten in der Produktionshalle oder Platzprobleme entfallen. Alles bleibt wie bisher, der Grundaufbau der Produktion ist derselbe.

Die Optimierung der Herstellungsprozesse gilt als ein weiterer Vorteil. So wachen an zahlreichen Knotenpunkten der Fertigung zusätzliche Sensoren darüber, welches Produkt sich gerade in welchem Produktionsstadium befindet.

Auf Basis der aktuellen Ist-Informationen kann die Software mittels Automatismen neue Aufträge bestmöglich verteilen, sodass die Maschinen seltener umgerüstet werden müssen – und somit seltener stillstehen.

Retrofit-Experte Björn Schuster warnt allerdings davor, wahllos alle Anlagen anzubinden und alle möglichen Daten zu erfassen. Unternehmen sollten immer hinterfragen, welche Daten sie wirklich benötigen, um daraus Rückschlüsse auf den Produktionsprozess zu ziehen.

Im zweiten Schritt stellt sich die Frage, welche Daten die Maschine direkt liefern kann oder welche zusätzliche Sensorik benötigt wird. Die Auswahl der erfassten Daten sollte natürlich für das Unternehmen beeinflussbar sein.

Als Einstieg in das Thema Retrofit empfiehlt Schuster, zunächst eine Maschine mit Sensoren auszustatten und diese Daten zu erfassen. „Ein Zeitraum von circa einem Monat reicht meist schon aus, um erste sinnvolle Datenmengen zu analysieren“, sagt Schuster.

 

Alte Maschine wird IoT-fähig

Eine naheliegende Auswertungsmöglichkeit der Daten ergibt sich oft in der Instandhaltung. Das demonstriert auch Bosch Rexroth in seinem Werk im Saarland. Dort werden unter anderem Hydraulikventile produziert, die zum Beispiel in Traktoren eingebaut werden.

Bei der Fertigung bohren und fräsen Mitarbeiter Kanäle und Bohrungen in die Gussrohlinge. Nach der Reinigung und der Montage der einzelnen Komponenten werden alle Ventile auf Prüfständen mit einer Funktionsprüfung auf die Elektronik abgestimmt sowie auf Dichtigkeit geprüft.

Dazu schließen Mitarbeiter sie an den Hydraulikkreislauf der Prüfstände an und testen die Ventile mit dem spezifizierten Arbeitsdruck. „Obwohl die Ventile zuvor gereinigt wurden, ist nicht auszuschließen, dass sich noch Metallpartikel und Späne sowie Wasserreste darin befinden“, sagt Werner Struth, in der Bosch-Geschäftsführung unter anderem für die Industrietechnik und die Fertigungskoordination verantwortlich.

Die Partikel und Späne können während des Testzyklus ins Hydrauliköl gelangen und bei den Folgezyklen Schäden an dem Prüfstand oder den Prüfteilen hervorrufen. Anlagenstillstand durch verunreinigtes Hydrauliköl verursachte an den Prüfständen im langfristigen Mittel rund 25 Prozent der Ausfallkosten.

Daher wurden die Filtermedien bislang – unabhängig vom Verschmutzungsgrad – in festen Intervallen ausgetauscht und dieser Vorgang per Hand dokumentiert. Nun kann das Unternehmen mit Sensorik den Zustand der Filter kontinuierlich überwachen und die Instandhaltung automatisch beauftragen.

Zurück zur Drehbank. An dem Urzeitteil haben Bosch-Rexroth-Techniker Sensoren angebracht. Diese erfassen nun unter anderem die Drehzahl des Werkstücks: Zu hohe oder zu niedrige Geschwindigkeiten verschlechtern die Qualität des Ergebnisses und können das Werkzeug beschädigen.

Dank der Sensorik erkennt der Bediener jederzeit auf einem Monitor, ob er langsamer oder schneller auf das Fußpedal treten muss, um die optimale Drehzahl einzuhalten. Natürlich dient die Drehbank vor allem als Demonstrationsobjekt dafür, dass selbst eine mehr als 130 Jahre alte Maschine mit vergleichsweise einfachen Mitteln IoT-fähig gemacht werden kann.

Eine Anlage, die zuverlässig funktioniert, muss nicht durch eine neue Maschine ersetzt werden, wenn sie mit Sensoren, Schnittstellen und einem Bildschirm modernisiert werden kann.

Denn an einer Sache habe sich bis heute nichts geändert, sagt Bosch-Manager Struth. „Maschinen sind teuer. Wir müssen sie so effizient wie möglich nutzen.“ Und das gelingt umso besser, je vernetzter sie sind.