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Die Virtual-Reality-Technologie wird den Online-Handel verändern. Darüber sind sich Experten einig. Doch noch ist die Zielgruppe klein, der Preis für die Ausrüstung hoch – und die Unternehmen sind verunsichert.

Es gibt Phasen im Leben, da muss Veränderung her – und sei es nur in der Wohnung. Neue Farbe, neue Möbel, alles anders. Dabei kommen dann Fragen auf wie: Passt die graue Wandfarbe zur neuen Couch? Und wie macht sich der blaue Teppich auf einem hellen Laminat? Stilfragen wie diese lassen sich bei einem Besuch im Einrichtungshaus nicht direkt beantworten.

Die Lösung soll im Virtuellen liegen, zumindest nach der Vorstellung von Branchenprimus Ikea. Der Konzern entwickelte gemeinsam mit der Digitalagentur Demodern eine Anwendung, mit der Kunden vor dem Möbelkauf einen Raum nach ihren Wünschen gestalten und anschließend aus allen Winkeln und Perspektiven betrachten können. Alles, was sie dazu brauchen, ist eine Virtual-Reality-Brille, kurz: VR-Brille. Der Blick durch das Hilfsmittel versetzt sie in eine dreidimensionale Welt, die vom Computer berechnet wird und doch täuschend echt aussieht. Mehrere Sensoren verfolgen die Position des Nutzers. Macht er in der realen Welt einen Schritt nach vorn, bewegt er sich auch in der virtuellen. Mithilfe zweier Fernbedienungen kann er die künstliche Umgebung gestalten. Bei Ikea heißt das: Möbel auswählen, Fußboden ändern, Wandfarbe, Tageszeit oder Lichtstimmung anpassen. Allerdings schränkt der Konzern ein: „Wir befinden uns im Hinblick auf VR noch in der Erkundungsphase.“ Wer die Anwendung testen will, braucht dafür eine eigene Brille des Herstellers Oculus oder muss ins Einrichtungs­haus nach Berlin-Lichtenberg fahren. Dort steht der Prototyp des Systems. Und egal ob daheim oder vor Ort – bisher können Ikea-Kunden lediglich ein Wohnzimmer mit vorgegebenen Maßen konfigurieren.

Den großen Durchbruch hat die Technologie noch nicht geschafft. Erste VR-Projekte nutzten bislang fast nur die Marketingabteilungen der Unternehmen, um sich innovativ zu zeigen. Das ist gut fürs Image, einen direkten Mehrwert im Vertrieb brachten die vorsichtigen Anfänge aber selten. Doch Experten sind sich einig: Die Technologie wird langfristig auch den Online-Handel revolutionieren. „Der große Nachteil im E-Commerce ist derzeit, dass man Produkte nicht live erleben kann“, sagt Marcus Braun, Head of Business Unit Reports beim Marktforschungsinstitut Yougov. Für diese Herausforderungen könnte VR eine Lösung sein, zumal die Bevölkerung gerade freiwillig aufrüstet. Schon heute besitzen immerhin 16 Prozent der Deutschen eine VR-Brille oder planen, demnächst eine zu kaufen.

Raus aus dem Versuchslabor

Und dennoch: Die Unternehmen kommunizieren ihre VR-Projekte nur verhalten. Der Automobilhersteller Mazda etwa arbeitet an einem virtuellen Autokonfigurator. Damit können Nutzer Dinge wie Felgen, Farbe und Ausstattung ihres Fahrzeugs variieren und ein erstes Gefühl für ihr Traumauto bekommen. Es sei jedoch offen, ob der Konfigurator jemals offiziell gelauncht werde, sagt eine Sprecherin. Der Rewe-Konzern hat einen Prototypen für ein virtuelles Reisebüro entwickelt. Reiselustige können mithilfe einer VR-Brille ihr potenzielles Urlaubsziel schon vor der Reise begutachten. Doch das Unternehmen hält die Anwendung in seinem Showroom versteckt. Öffentlich vorstellen möchten die Verantwortlichen sie – noch – nicht.

Für Marcus Braun ist diese Haltung keine Überraschung: „Unternehmen stochern derzeit noch vielfach im Nebel“, sagt er, „insbesondere, was sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten beim Verbraucher angeht.“ Ein großes Hemmnis für die Firmen: Die Zielgruppe, die heute schon mit der VR-Technologie erreichbar ist, sei noch vergleichsweise klein. So falle es einigen Unternehmen schwer, größere Budgets für derartige Angebote freizumachen. „Es wird noch etwas dauern, bis sich die Technologie durchsetzt“, sagt Braun.

Während die Marktforscher noch auf die Zukunft verweisen, feilen IT-Spezialisten weiter an den Produkten. Etwa Marc Heineking von Heineking Innovation, einem Startup für VR-Anwendungen aus Hannover. „Aus technischer Sicht ist vieles heute schon machbar“, sagt er. Im Einrichtungsbereich etwa lassen sich Wohnungsgrundrisse in spezielle VR-Dateien umwandeln. Anders als bei Ikea könnten Kunden statt eines vorgegebenen Raums die eigene Wohnung virtuell gestalten. Passt das Lieblingsregal in die eigenen vier Wände, kann der Nutzer es per Klick bestellen und nach Hause liefern lassen. Ein beliebiges Wohnzimmer zu virtualisieren, ist allerdings noch sehr kostspielig. Zwischen 900 und 1.500 Euro fallen dafür an – und das für jeden neuen Raum und Kunden.

Erweiterte Realität

Günstiger und somit auch für kleine und mittlere Unternehmen bezahlbar geht es mit der sogenannten Augmented-Reality-Technologie. Sie bildet die Realität nicht gänzlich virtuell nach, sondern erweitert sie lediglich. Dabei verbinden Apps wie „Tylko“ oder „Pair“ die reale Welt mit virtuellen Elementen. Im Einrichtungsbereich heißt das: Die Kamera des Smartphones filmt den Raum und die App projiziert die Lieblingsmöbel in das Wohnzimmerbild, das der Kunde auf seinem Bildschirm sehen kann. Das fühlt sich zwar etwas weniger realistisch an, der Nutzen bleibt allerdings der gleiche: Proportionen und Farben werden besser vorstellbar. Der Vorteil für den Anbieter: Er muss nur einmal in die Entwicklung der App investieren.

Wer die großen Investitionen vorerst scheue, der könne auch ganz klein anfangen, sagt Pionier Marc Heineking. Ein einfaches 360-Grad-Video genüge schon, um Produkte „erlebbar zu machen“. Dabei können Nutzer die virtuelle Umgebung zwar nicht nach ihren Wünschen anpassen, sich dafür aber immerhin in einer vorgegebenen 3D-Welt begeben. „Mit Virtual oder Augmented Reality haben die Videos aber nichts zu tun“, sagt Heineking. Die Technologien würden in der Öffentlichkeit jedoch häufig vermischt. Der Unterschied: Mit VR-Anwendungen kann der Nutzer in der computerberechneten Welt interagieren, 360-Grad-Filme werden nur abgespielt. Dafür ist die Video-Variante günstiger. Die Kosten dafür liegen im mittleren dreistelligen Bereich und sind einmalig – und 360-Grad-Videos lassen sich über nahezu jedes Smartphone abspielen. Der Kunde braucht zudem keine teure VR-Brille. Es genügt eine 3D-Pappbrille – und die kostet nur noch wenige Cent.

So machen Sie Ihre Produkte digital erlebbar

Virtual oder Augmented Reality muss nicht teuer sein. Schon mit vergleichsweise geringen Mitteln lassen sich, etwa für eine Messe oder für ausgewählte Produkte, tolle Effekte erzielen:

3D-Fotos: Mit Apps wie Fyuse lassen sich mit einem beliebigen Smartphone dreidimensional animierte Fotos erstellen. Kippt der Betrachter sein Handy oder bewegt er das Bild mit Mauszeiger oder Gesten, entsteht für ihn der Eindruck, als bewege er sich um das Objekt im Mittelpunkt herum.   fyu.se

 360-Grad-Videos: Mit kleinen Kameras wie etwa der Samsung Gear 360 können auch Laien 360-Grad-Videos in guter Qualität und mit wenig Aufwand erstellen. Die tennisballgroße Kamera besitzt zwei Linsen die um 180 Grad versetzt angeordnet sind, und steht auf einem kleinen Stativ. Mit ihr entstehen die Rundumaufnahmen – Fotos oder Videos –, die mit allen Endgeräten angeschaut werden können. samsung.com/de/gear-360/

Cardboards: Wer noch einen Schritt weiter gehen und seine Kunden schon nahe an ein Virtual-Reality-Erlebnis heranführen möchte, kann dafür Cardboards nutzen. Der Name ist Programm, denn dahinter verbergen sich aus Pappe zusammenfaltbare VR-Brillen, in die als Bildschirm so gut wie jedes Smartphone geschoben werden kann. Die Sensoren im Handy erkennen horizontale und vertikale Bewegungen des Kopfes. So entsteht in Verbindung mit einem 360-Grad-Video tatsächlich der Eindruck, den Blickwinkel zu verändern. Eine erste Übersicht über Cardboards und passende Apps gibt’s hier: vr.google.com/cardboard/