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Grüner Wasserstoff ist eine der wichtigsten Alternativen zu fossilen Ressourcen – das sehen nicht nur Politik und Wissenschaft so. Zahlreiche Initiativen arbeiten daran, eine funktionierende Wasserstoffwirtschaft zu fördern, von der auch kleinere und mittlere Unternehmen profitieren.
So verschieden die Positionen von Annalena Baerbock, Olaf Scholz, Armin Laschet oder Christian Lindner im Bundestagswahlkampf auf vielen Gebieten rund um das Thema Energie und Klimaschutz auch waren, herrschte bei einem Punkt doch Einigkeit: Im Mix der Energieträger soll grüner Wasserstoff in Zukunft eine bedeutende Rolle spielen.
Nun sind die Stimmen ausgezählt, und es wird spannend, zu erfahren, was von den Ankündigun-gen der Parteien in den Koalitionsvertrag einer neuen Regierung einfließt und welche Schubkraft die bereits im vergangenen Jahr verabschiedete Wasserstoffstrategie des Bundes haben kann.
Wer sich im Land umschaut, sieht, dass bereits jetzt eine starke Dynamik herrscht: Es gibt viele lokale und regionale Initiativen, Projekte, Vereine und Zusammenschlüsse, in denen kleinere und größere Unternehmen, Kommunen, Verbände und Privatpersonen daran arbeiten, einen Wasserstoffmarkt zu entwickeln, Forschung voranzutreiben, konkrete Projekte umzusetzen und die Öffentlichkeit über Wasserstoff zu informieren.
Einer dieser Schrittmacher ist die Wasserstoffinitiative Hy.Region.Rhein.Ruhr in Duisburg. Das Bundesverkehrsministerium hatte die Stadt Anfang September zu einem der vier Standorte für ein nationales Innovations- und Technologiezentrum Wasserstoff (ITZ) erkoren hat, neben Chemnitz, Pfeffenhausen in Bayern sowie einem Cluster, gebildet aus Hamburg, Bremerhaven und Stade.
Der Aufbau des ITZ wird von Bund und Land mit bis zu 100 Millionen Euro gefördert. „Diese Nachricht hat uns natürlich noch mehr angespornt“, sagt Thomas Patermann, Chef der Wirtschaftsbetriebe Duisburg und Vorstand des im März 2021 gegründeten Wasserstoff-vereins Hy.Region.Rhein.Ruhr.
Er will in Duisburg und Umgebung, einer Region, deren Geschichte geprägt ist von Kohle und Stahl, die Etablierung einer grünen Wasserstoffwirtschaft fördern. Der Verein versteht sich als Scharnier für seine Mitglieder, zu denen unter anderen Thyssenkrupp, Siemens Energy, die Universität Duisburg-Essen, die Duisburger Hafen AG, das Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme sowie die IHK gehören.
Patermann sagt: „Wir haben analysiert, wer im industriellen Sektor die Erzeugung und Abnahme von Wasserstoff plant, welche Rolle die Leitungsnetze, der Hafen und die Logistik insgesamt spielen können – jetzt vernetzen wir die verschiedenen Akteure, die natürlich alle autonom handeln, aber voneinander profitieren können.“
Wie KMU von der Wasserstoffwirtschaft profitieren können
Auch kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) stehen dabei im Fokus, trotz des bisherigen Übergewichts der Großindustrie bei den Mitgliedsfirmen. „Es gibt hier viele Mittelständler, die sich mit Wasserstoff beschäftigen, beispielsweise Produzenten mobiler Containerlösungen für den Transport oder Spezialisten, die Messeinrichtungen im Zusammenhang mit der Wasserstoffkette entwickeln“, sagt Patermann.
Um sie gezielt ansprechen und unterstützen zu können, ist die Initiative in mehrere Cluster zu den Feldern Erzeugung, Logistik und Lobbyarbeit aufgeteilt, innerhalb derer es jeweils Andockmöglichkeiten für KMU geben soll.
Noch stärker der Förderung einzelner Projekte hat sich der in Starnberg ansässige Verein H2 Süd verschrieben, der sich als Wasserstoff-Initiative für Bayern und Baden-Württemberg versteht. Gegründet wurde H2 Süd im Juli 2020 von zehn Firmen aus Süddeutschland – unter anderem aus den Bereichen Baustoffe, Wasserstoffkomponenten für Motoren und Hausanlagen sowie Transport –, um Energieversorger, Mittelständler, Familienunternehmen und Startups miteinander zu vernetzen.
Norbert Unterharnscheidt, Vorstandsmitglied des Vereins, sagt: „Im Kern geht es uns um die Beschleunigung der Wasserstoffwirtschaft durch die Lösung des Henne-Ei-Problems, das beispielsweise so aussehen kann:
Eine Firma rüstet Lkw mit Wasserstoffantrieb aus, wenn sie genügend Käufer hat. Die kaufen einen Truck nur, wenn es eine Wasserstofftankstelle in der Nähe gibt, deren Betreiber wiederum ausreichend Lkw als Kunden braucht.“
Gemeinsame Pilotprojekte umsetzen
Die Initiative bringt die jeweiligen Firmen zusammen, hilft beim Beantragen von Fördergeldern, entwirft Skizzen für Projekte und trägt deren Ergebnisse in die Öffentlichkeit. Eines dieser Projekte ist das Wasserstoffhaus im bayerischen Irschenhausen. Es zeigt, wie die Energieversorgung eines Gebäudes von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien und Wasserstoff umgestellt werden kann und das Haus so komplett CO2-frei wird.
Eine Photovoltaikanlage erzeugt lokal Strom. Der Überschuss wird per Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt und in Tanks gespeichert. Über eine Brennstoffzelle kann er nachts oder im Winter wieder in Strom umgewandelt werden und so das Haus versorgen. Zusätzlich geht Strom an batteriebetriebene Fahrzeuge, um die Verknüpfung der Sektoren Elektrizität, Wärme und Mobilität zu erproben. Umgesetzt wird das Projekt von Mitgliedern der Initiative.
Darüber hinaus unterstützt H2 Süd kleinere Firmen durch Informationen zu alltäglichen Fragen. „Wir bekommen immer wieder Anfragen von Handwerkern, Ausbildungsbetrieben oder Speditionen, die wissen wollen, wie sie ihren CO2-Abdruck verkleinern können. Wir empfehlen ihnen, darüber nachzudenken, möglichst viel Erdgas durch Wasserstoff zu ersetzen oder überhaupt ihren Energiebedarf durch Wasserstoff zu decken, etwa mittels Brennstoffzellen“, sagt Unterharnscheidt.
In größerem Maßstab treibt H2 Süd diesen Wandel als einer der Akteure im Projekt Reallabor Burghausen/Chemdelta Bavaria voran. Die Region Burghausen ist der größte Standort der chemischen Industrie in Bayern. Das Projekt verfolgt mehrere Ziele: Die Unternehmen sollen ihre Energieversorgung weitgehend auf Wasserstoff umstellen, dazu soll die entsprechende Logistik für den Transport per Schiene und Straße entstehen, inklusive wasserstoffbetriebenen Loks und Druckcontainern, und schließlich ist der Aufbau einer dezentralen Wasserstoffversorgung mit einem Netz an Tankstellen geplant.
H2 Süd spielt dabei den Vermittler zwischen den Unternehmen und deren Interessen, „darunter sind viele ganz gewöhnliche Mittelständler, die darin eine Chance sehen, ihre Emissionen zu verringern“, sagt Unterharnscheidt.
15-Tonner mit Wasserstoffantrieb
Von Oberbayern nach Niederbayern: Im Landkreis Passau, genauer gesagt in Vilshofen an der Donau, haben drei Partner im vergangenen Jahr eine Allianz geschmiedet, um die Verbreitung von Wasserstoff als Antrieb in Lkw und Bussen voranzubringen.
Unter dem Namen Next Mobility Accelerator Consortium kooperieren die Vilshofener Firmen Josef Paul und Maier-Korduletsch mit dem Shell-Konzern. Die Idee: Shell Deutschland Oil liefert grünen Wasserstoff, hergestellt aus erneuerbaren Energien im Werk Köln-Wesseling.
Der Kraftstoff- und Schmiermittelvertrieb Maier-Korduletsch bringt Tankstellennetz und Transportlogistik ein. Und Josef Paul, eines der führenden deutschen Unternehmen im Sonderfahrzeugbau, übernimmt Herstellung, Wartung, Service und Vermarktung der Lkw und Busse auf Wasserstoffantriebsbasis, die anschließend in Transportunternehmen und im öffentlichen Nahverkehr zum Einsatz kommen sollen. Modellregion für die Initiative wird der Landkreis Passau sein.
Die Projektphase, in der zunächst vier Lkw gebaut werden, hat bereits begonnen – mit einem beeindruckenden Zwischenergebnis: Das Next Mobility Accelerator Consortium hat auf dem ITS World Congress in Hamburg, der weltweit größten Veranstaltung zur Smart Mobility und der Digitalisierung des Transports, den ersten eigenen Lkw mit Brennstoffzellentechnik vorgestellt.
Der emissionsfrei fahrende 15-Tonner kann zusätzlich bis zu 24 Tonnen Last ziehen und soll mit seinem Tank für 30 Kilogramm Wasserstoff eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern haben. Ob sich der Wasserstofflaster bewährt, wird sich im kommenden Jahr zeigen: Dann sollen die ersten 25 Prototypen von unterschiedlichen Kunden getestet werden, die Serienproduktion ist für 2023 geplant.
Grüner Wasserstoff aus Deutschland
Turbo für Klimaschutz und Volkswirtschaft
Deutschlands Klimaschutzstrategie baut auf grünen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien. Doch wo soll er herkommen? Aus heimischer Produktion oder importiert aus dem Ausland? Eine Studie des Wuppertal Instituts und von DIW Econ rät zur Selbstversorgung:
Bei einem Anteil von 90 Prozent heimischer Wasserstoffproduktion im Jahr 2050 prognostizieren die Ökonomen 800.000 zusätzliche Arbeitsplätze und Wertschöpfungseffekte von bis zu 30 Milliarden Euro pro Jahr.
Bei einem Anteil von 45 Prozent heimischer Wasserstoffproduktion entstünden lediglich 300.000 zusätzliche Arbeitsplätze und eine Wertschöpfung von bis zu 12 Milliarden Euro pro Jahr.
Große Synergien sollen sich vor allem dort ergeben, wo mit zunehmendem Einsatz fluktuierender Energieträger wie Wind- und Sonnenenergie Überschussmengen in Wasserstoff umgewandelt werden.