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Abschwung: Die Wirtschaft in Deutschland stagniert. Nachdem die Stimmung in den Industriekonzernen schon im Frühjahr gekippt ist, blickt nun auch der Mittelstand pessimistischer in die Zukunft. Viele sehen sich zwar besser gerüstet als bei der letzten Rezession. Eine Personalstrategie für den Abschwung brauchen sie dennoch.
Wer in Krisen etwas Gutes sehen möchte, erkennt darin die Chance, sich neu zu erfinden – um für den Abschwung besser gewappnet zu sein. So wie Stefan Munsch. Der geschäftsführende Gesellschafter der Munsch Chemie-Pumpen GmbH stellt in Ransbach-Baumbach, nördlich von Koblenz, Spezialpumpen für aggressive Medien her. „Mit der Finanzkrise von 2009 hat sich unsere Welt komplett verändert.“ Aufträge brachen weg; bis dahin erzielte der Mittelständler 70 Prozent seines Umsatzes mit einer einzigen Branche und hatte nur ein begrenztes Portfolio.
Munsch-Pumpen bestehen aus Kunststoff. Anders als Systeme aus Metall, sind sie deshalb widerstandsfähig gegen chemisch belastete Flüssigkeiten und wurden entsprechend in der Metallurgie und Chemieindustrie verwendet. Viel mehr als das Material- und das Konstruktions-Know-how sind nach der Krise vor zehn Jahren nicht geblieben.
Während der Auftragsflaute gelang es der Firma mithilfe von Produktinnovationen, neue Branchen als Abnehmer zu gewinnen. Munsch nutzte die Phase des Abschwungs, um seine Produktion komplett neu aufzustellen, sie flexibler zu gestalten und die Durchlaufzeit in der Fertigung um rund 20 Prozent zu verringern. Die Produktvielfalt stieg enorm.
Neben den Kernbranchen adressieren die Pumpenspezialisten inzwischen auch Bereiche wie Umwelttechnik, Meerwasserentsalzungsanlagen und sogar Aquaristik. Obwohl sich die Zahl der Mitarbeiter mit 125 nicht verändert hat, ist der Umsatz von 2015 bis 2017 von 22,8 auf 27,5 Millionen Euro gestiegen. Der krisenbedingte Strategiewechsel erweist sich heute somit als Glücksfall.
Nicht vom Abschwung überraschen lassen
Damit taugt die Munsch Chemie-Pumpen GmbH zum Vorbild für andere kleine und mittlere Unternehmen. „Geprägt durch volatile Märkte, aggressive Wettbewerber, agile Arbeitsformen und digitalen Wandel, vollziehen sich Veränderungen immer schneller“, sagt Wilhelm Goschy, Vorstandsmitglied der Unternehmensberatung Staufen, die regelmäßig den Deutschen Change Readiness Index (CRI) ermittelt.
Dieser zeigt an, wie gut Unternehmen für Veränderungen gerüstet sind – und stellt ihnen aktuell in den Bereichen Strukturen und Prozesse ein schlechtes Zeugnis aus. „Viele Unternehmen haben in der Boomphase ihre Hausaufgaben nicht gemacht und sich zu wenig Zeit dafür genommen, sich wetterfest zu machen“, sagt Goschy.
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind für den Berater mit denen vor zehn Jahren aber nicht ganz vergleichbar. So erwartet er trotz einer zuletzt rückläufigen Wirtschaftsleistung keine Krise wie 2009.
Nachdem die exportorientierte Industrie bereits seit dem Jahresanfang ahnt, dass sich der Aufschwung der vergangenen Jahre dem Ende entgegen neigt, bestätigen es inzwischen sämtliche Vorhersagen schwarz auf weiß. Die Konjunkturforscher des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel überschrieben ihre im September erschienene Herbstprognose mit dem Titel „Deutsche Wirtschaft im Abwärtssog“.
Brexit und Handelskrieg belasten den Export, die Automobilindustrie muss sich neu erfinden. Für das gesamte Jahr 2019 rechnen die Experten deshalb nur noch mit einem Wachstum von 0,4 Prozentpunkten. Allerdings schreiben sie auch, dass die Abschwächung bisher noch eine Normalisierung des vorangegangenen Booms sei.
Auch der Creditreform Geschäftsklimaindex, Indikator für die Stimmungslage explizit für den Mittelstand, befindet sich im Abwärtstrend. Gegenüber dem Vorjahr verringerte sich der Indexwert von 27,6 Punkten auf 17,1 Punkte – den niedrigsten Stand seit dem Herbst 2012. Er wird berechnet aus den Antworten von mehr als 1.000 befragten Mittelständlern zu Auftragseingängen und Umsätzen, zur Ertragslage und zur Personalsituation.
Auch bei Abschwung: Personal ist kostbar
Hannspeter Schubert führt nicht eins, sondern gleich zwölf mittelständische Unternehmen. Er ist Vorstand von Blue Cap, einer Holding, die sich mehrheitlich an „Firmen in Umbruchsituationen“ beteiligt, wie es auf der Blue-Cap-Website heißt.
„Das sind vor allem Situationen, in denen die Nachfolge nicht geklärt ist, aber auch Firmen mit strukturellen oder operativen Defiziten“, sagt Schubert. Er weiß also was Mittelständler plagt. „Der Unternehmenserfolg hängt mehr und mehr von der Personalsituation ab“, so seine Erfahrung.
„Wir beobachten zwar, dass die Kunden unserer Unternehmen Aufträge zögerlicher vergeben. Aber deshalb nun Personal abzubauen, das wir in den vergangenen Monaten mühsam gefunden und qualifiziert haben, wäre ein großer Fehler.“
Mit dieser Einschätzung ist Schubert nicht allein. Während fast täglich neue Zahlen über Sparprogramme und Stellenabbau bei Großunternehmen wie Bosch, Continental oder der Deutschen Bank durch die Medien gehen, reagiert der Mittelstand noch sehr verhalten.
Aus gutem Grund, sagt Enzo Weber, Forschungsbereichsleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg: „Mittelständler haben größere Rekrutierungsschwierigkeiten als die Konzerne. Dementsprechend sind sie auch vorsichtiger, sich von Leuten zu trennen.
Sie wissen ganz genau, dass Fachkräfte knapp und im nächsten Aufschwung umso schwieriger zu finden sind.“ Schon während der weltweiten Finanzkrise vor zehn Jahren wurden einige Unternehmen sehr kreativ, um ihre Belegschaft zu halten. Kärcher, der Weltmarktführer für Hochdruckreiniger etwa, shuttelte im Jahr 2008 Mitarbeiter mit Bussen von nicht ausgelasteten Werken zu Standorten mit hoher Auslastung, um Entlassungen zu vermeiden.
Beschäftigungszahlen wachsen weiter
Aktuell beobachtet Arbeitsmarktforscher Weber, dass die Beschäftigungszahlen trotz der negativen Konjunkturentwicklung sogar weiter wachsen. Für die kommenden Monate seien konjunkturbedingt zwar steigende Arbeitslosenzahlen zu erwarten.
Mittelfristig werde sich der Rückgang der Arbeitslosigkeit aber fortsetzen – begünstigt von der zunehmenden Knappheit von Arbeitskräften, schreibt er in der aktuellen Herbstprognose des IAB. „Generell ist die Wirkung der Konjunktur auf den Arbeitsmarkt viel kleiner geworden“, stellt Weber fest.
Neben der Knappheit sei ein Grund, dass viele Jobs in konjunkturunabhängigen Branchen entstanden seien, etwa in der IT, im Gesundheitsbereich und in der Pflege. Aber auch Bereiche wie die Bau- und Immobilienwirtschaft spüren derzeit noch keinerlei negative Auswirkungen.
Auf alles vorbereitet sein
Die Unternehmen im Portfolio von Blue Cap arbeiten im Maschinenbau, in der Klebstoff- und Beschichtungstechnik und in der Medizin- und Messtechnik. Schubert sieht sie trotz konjunktureller Delle gut gerüstet.
„Wir optimieren laufend die Finanzierung, investieren in Systeme und Anlagen, die für eine bessere Wertschöpfung dienlich sind“, sagt er. Damit gehen die Blue-Cap-Unternehmen sehr viel strategischer vor, als viele andere.
Auch die Personalsituation behält Schubert im Blick. „Wir pflegen eine enge Kommunikation mit den Betriebsräten, tauschen auch betriebswirtschaftliche Eckdaten mit ihnen aus. Das erhöht das Verständnis und die Bereitschaft, personelle Maßnahmen mitzutragen“, sagt er.
In Zeiten des Abschwungs: Boni aussetzen, Entlassungen verhindern
Etwa Gehaltserhöhungen und Boni auszusetzen, wenn die Auftragslage zurückgeht. Im besten Fall treffen Unternehmen solche Vereinbarungen schon in guten Zeiten unter Vorbehalt.
Auch andere kurzfristig mögliche Personalmaßnahmen kämen infrage, sagt Arbeitsmarktforscher Weber: „Viele Firmen setzen auf die vollen Arbeitszeitkonten, die sie nun abbauen können, oder auch auf Kurzarbeit.
Das sind gute Möglichkeiten, Auftragsdellen ohne Entlassungen zu überstehen.“ So beobachtet das IAB derzeit, dass die Zahl der Überstunden sinkt. Im ersten Quartal 2019 registrierten die Wissenschaftler nur noch knapp 261 Millionen bezahlte und 244 Millionen unbezahlte Überstunden.
Im selben Zeitraum im Vorjahr waren es noch 12,6 Millionen bezahlte und 12,8 Millionen unbezahlte Überstunden mehr. „Das wird sich fortsetzen und ist vorerst ein guter Puffer“, meint Weber. Immerhin verfügt laut IAB-Daten bereits mehr als die Hälfte der Beschäftigten über Arbeitszeitkonten.
Weitsichtige Unternehmer sollten Freiräumen und Minusstunden sogar etwas Positives abgewinnen, empfiehlt Berater Goschy: „Die verfügbare Zeit sollte für eine Qualifizierungsoffensive genutzt werden.“ Denn parallel zum Konjunkturabschwung dürfe der Mittelstand eine zweite Entwicklung nicht übersehen – den strukturellen
Wandel mit gravierenden Änderungen durch Digitalisierung, neue Mobilität und erneuerbare Energien, ergänzt Enzo Weber. „Man muss die Leute besser machen, die man hat“, sagt er und bringt es auf den Punkt:
„Wenn Mitarbeiter nicht mehr die richtigen Kompetenzen für die Arbeitswelt von morgen haben, dann kommen Unternehmen auch mit Kurzarbeit oder anderen Personalmaßnahmen nicht weiter. Dann haben sie eine richtige Krise, die existenzbedrohender ist als äußere Faktoren wie Brexit, Handelskrieg oder Wirtschaftsabschwung.“
Weiterbildung
Der Staat zahlt mit
Mit dem Qualifizierungschancengesetz hat die Bundesregierung Anfang 2019 neue Möglichkeiten zur innerbetrieblichen Weiterbildung geschaffen. Gerade wenn Mitarbeiter konjunkturbedingte Freiräume haben, sollten Unternehmen dies nutzen.
Was wird gefördert?
Die Arbeitsagenturen übernehmen nicht nur die Weiterbildungskosten für alle Beschäftigten, deren berufliche Tätigkeiten durch Technologien ersetzt oder vom Strukturwandel bedroht werden. Sondern sie zahlen auch einen Zuschuss zum Arbeitsentgelt für die Zeiten, in denen ein Mitarbeiter an der Qualifizierung teilnimmt.
Wie hoch ist die Förderung?
Die Kostenübernahme ist nach Betriebsgrößen gestaffelt. Je kleiner ein Unternehmen, desto höher ist die Förderung. Bei kleinen und mittleren Unternehmen mit zehn bis 250 Mitarbeitern etwa übernimmt die Arbeitsagentur 50 Prozent der Weiterbildungskosten und zahlt einen Zuschuss zum Arbeitsentgelt von ebenfalls 50 Prozent.
Welche Voraussetzungen sind zu erfüllen?
Wichtig ist, dass Weiterbildungsmaßnahmen und Bildungsträger zertifiziert sind und die Weiterbildung mehr als 160 Stunden umfasst. Auch muss die letzte Qualifizierung eines Mitarbeiters mindestens vier Jahre zurückliegen.