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Der Vertrieb kann über Wohl und Wehe eines Unternehmens entscheiden. Doch stehen Verkäufer vor gewaltigen Herausforderungen. Die Digitalisierung könnte auch ihren Berufsstand durcheinanderwirbeln. Welche Wege gehen Mittelständler, um weiterhin gut zu verkaufen?

 

© Dave and Les Jacobs/Blend Images/Getty Images

Wenn Andreas Fuchs im Auto sitzt, ist die Freisprechanlage im Dauerbetrieb. Der Geschäftsführer der August Mink KG ist oft unterwegs, genau wie viele seiner Vertriebsmitarbeiter. „Ich versuche, sehr viel mit unseren Vertrieblern zu telefonieren, und will nicht nur über Reports mit ihnen kommunizieren“, sagt er. Auto und Telefon – diese zwei Hilfsmittel gehören zum Vertrieb wie der Kaffee zum Frühstück. Aber wie lange noch?

Andreas Fuchs ist einer von drei Geschäftsführern der August Mink KG, besser bekannt als Mink Bürsten. Mink ist ein klassischer Familienbetrieb aus dem Wirtschaftswunderland Baden-Württemberg. Die Göppinger stellen seit 1845 technische Bürsten her, mit denen man Oberflächen reinigt, Maschinen abdichtet oder Möbel transportiert.

Da gibt es Leistenbürsten, Tellerbürsten, Antistatik-Bürsten, Schutz- und Stützbürsten. Die Abnehmer findet man quer durch alle Branchen, von der Automobilindustrie bis zum Handwerksbetrieb. „Wir sind breit aufgestellt und nicht von einer Industrie, einem Kunden oder einem Produkt abhängig“, sagt Fuchs.

Ein ganz neues Geschäftsfeld entstehe gerade in der Windkraft. Dort würden die herkömmlichen Gummidichtungen zunehmend durch Spezialbürsten ersetzt.

 

Einheit: Vertrieb und Entwicklung

Um die Windanlagenbauer von den eigenen Produkten zu überzeugen, braucht es Know-how, Qualität – und einen durchschlagenden Vertrieb. „Unsere Mitarbeiter im Vertrieb müssen technisches Verständnis haben und Empathie mitbringen“, sagt Fuchs. Insgesamt arbeiten 390 Beschäftigte für Mink, davon 60 im Innen- und Außendienst.

Nahezu alle Vertriebler sind Ingenieure oder Techniker, wissen also genau, wovon sie reden. Vor allem mit der Fertigung stehen die Vertriebler in engem Kontakt, um die Lieferzeiten gering zu halten. „Eine schnelle und gute Abstimmung mit der Produktion ist da das A und O“, so Fuchs.

Bei Mink verschmelzen sogar Vertrieb und Entwicklung zu einer Einheit. „Die Entwicklung ist bei uns direkt im Vertrieb angesiedelt. Das ermöglicht uns, Vertriebsthemen schnell zu setzen“, erläutert Fuchs. „Wir sind daher auch häufig mit der Technik des Kunden im Gespräch.“ Folgt man der Analyse von A.T. Kearney, dann ist das tatsächlich ein Erfolgsrezept.

„Erfolgreiche B2B-Unternehmen schaffen es, gemeinsam mit ihren Kunden Innovationen zu entwickeln und sich und ihre Kunden dabei einen Schritt nach vorne zu bringen“, schreiben die Unternehmensberater in einer Studie von 2016.

„Hersteller haben die Expertise, aber häufig nicht die Kontakte zu den Handelsvertretern und das Netzwerk.“

Julian Haas, Mawosa

Mink Bürsten hat stabile Kundenbeziehungen, gehört zu Deutschlands Hidden Champions, ist in einer Nische unterwegs. Dadurch hat der Mittelständler Vorteile, die andere Unternehmen so nicht haben. „Neue Wettbewerber drängen in den Markt und stellen mit neuen Angeboten und unkonventionellen Geschäftsmodellen eine ernstzunehmende Konkurrenz dar“, schreibt A.T. Kearney. Die Digitalisierung macht es möglich – und hat Folgen für den Vertrieb.

So geht der Trend in nahezu allen Branchen dahin, den Endverbraucher ohne Umwege direkt anzusprechen. Das trifft sogar auf Banken und Finanzdienstleister zu oder auf die Automobilhersteller, die sich mehr und mehr als Mobilitätsdienstleister verstehen und ihre Flotten via Carsharing direkt an den Endkunden vertreiben. Viele neue Geschäftsideen basieren auf dem Prinzip: Cut out the middleman. Schalte den Mittelsmann aus.

 

Mittelsmann: Altes Konzept, neuer Erfolg?

Middleman – entgegen allen Trends ist genau das die Rolle, die die jungen Gründer von Mawosa ausfüllen wollen. Die Regensburger vertreiben seit 2015 außergewöhnliche Lebensmittel von Food-Startups, platzieren sie über Handelsvertreter in Feinkostläden, Cafés oder Bio-Höfen.

Im Sortiment finden sich zum Beispiel laktosefreie Schokolade, kaltgepresstes Senföl oder Kraftfleisch von „grasgefütterten Rindern aus Irland“. Acht Hersteller hat man schon als Kunden gewinnen können, mit 20 ist man nach eigenen Angaben derzeit in Gesprächen.

„Wir sind die Schaltstelle zwischen Handel und Hersteller“, so Julian Haas, der bei Mawosa für das Marketing zuständig ist. „Hersteller haben die Expertise, aber häufig nicht die Kontakte zu den Handelsvertretern und das Netzwerk.“ Hier setzt das Konzept der Food-Verkäufer an, die bereits sechs selbstständige Handelsvertreter an Bord geholt haben.

„Wir wollen nicht, dass die in ganz Deutschland herumfahren“, erklärt Haas. „Wir geben ihnen kleine Gebiete.“ Jeder Vertreter deckt Gebiete von bis zu einer Million Einwohner ab, vor allem in Norddeutschland sind die Mawosa-Repräsentanten schon unterwegs. Ja, schon das Wort Handelsvertreter klinge altbacken, gibt Haas zu, nach jemandem, der mit Koffer unterm Arm von Tür zu Tür tingelt.

Wahrscheinlich schreibt Mawosa deshalb online von Sortimentsberatern. Außerdem wolle man das Prinzip Handelsvertretung weiterentwickeln, in die digitale Welt transferieren. Gemeinsam mit den Außendienstlern habe man etwa die Mawosa-Trainingsseite entwickelt, in die sich die Sortimentsberater im Netz einloggen können.

Der Vertreter zückt dann vor Ort sein Tablet und hat so Zugriff auf eine Vielzahl an Informationen zu Kunden und Produkten. Welchen Mehrwert könnte das native Olivenöl diesem speziellen Kunden bieten? Welche Rezepte könnte man damit zubereiten? Mit welchen Lebensmitteln kann man es gut kombinieren? Erwünschter Effekt: Bessere Verkaufsargumente vor Ort und ein Mehrwert für den Abnehmer.

Mit Tablets und darauf vorinstallierten Apps arbeiten, um so einen für Massen ausgerichteten personalisierten Verkauf zu ermöglichen – auch das zeichnet laut A.T. Kearney-Studie vertriebsstarke Unternehmen aus. Sogar selbst gedrehte Videos gibt Mawosa seinen Sortimentsberatern mit auf den Weg. Die Hersteller selbst preisen dort ihre Produkte an, wollen die Vorzüge ihrer kulinarischen Innovationen glaubwürdig und authentisch vermitteln.

So gelangen die persönlichen Empfehlungen aus erster Hand über Mawosa zu den Handelsvertretern und von dort zu den potenziellen Kunden. „Wir wollen nicht, dass nur die Produkte im Vordergrund stehen, sondern auch die Gründerpersönlichkeiten mehr ins Rampenlicht bringen“, sagt Haas.

Ein klarer Hinweis darauf, wie eng die Junggründer auch Vertrieb und Marketing verzahnen wollen. „Das bauen wir jetzt als zweiten Schritt mit aus“, kündigt Haas an. Man arbeite vermehrt mit externen Dienstleistern, Grafikern und Fotografen, um insbesondere die Webseiten der Food-Startups professionell zu gestalten.

Ganz neu ist auch die Kooperation mit Foodbloggerin Catrin Neumayer. Die Österreicherin stellt Rezepte unter ihrem Netz-Pseudonym „Coo­k­ingcatrin“ online, hat sich in der Szene längst einen Namen gemacht. Ziel von Mawosa: Über Influencer-Marketing Aufmerksamkeit für die Produkte der eigenen Klientel schaffen. Dabei wollte Mawosa am Anfang ausschließlich eine Vertriebsplattform sein, erinnert sich Haas, „aber jetzt haben wir gemerkt, dass die Startups Hilfe brauchen, und sehen uns immer mehr in der Beraterrolle.“

 

Vertrieb: Mehr als Verkaufstalent

Auch Daniel Tschentscher glaubt, dass die Disziplinen mehr und mehr zusammenfinden. „Marketing und Vertrieb wachsen digital zusammen“, so der Gründer der Mittelstandsberatung wdp in Köln. Das hat Auswirkungen auf die Arbeit der Verkäufer. „Früher haben Sie einen Kontakt generiert und sind dann auf denjenigen zugegangen.

Heute schalten sie eher eine Webkampagne und messen die gesamte Customer Journey vom ersten Keyword bis zur Leadgenerierung auf Ihrer Website bis zum Verkauf“, sagt der Strategieberater, der sich vor allem mit der digitalen Transformation beschäftigt, in gekonntem Denglisch. „Für den Vertrieb bedeutet das, den persönlichen Kontakt auf denjenigen zu konzentrieren, der am besten konvertiert.

Vertriebler werden sich daran gewöhnen müssen, neben Verkaufsfähigkeiten auch die entsprechenden Systeme zu bedienen, also zum Beispiel ein Customer-Relationship-Management-Programm zu führen.“

Als State of the Art lässt sich der Webauftritt von Mink Bürsten nicht unbedingt bezeichnen. Dennoch steckt auch der Mittelständler mitten in der digitalen Revolution. Denn die Ansprüche seiner Kunden wachsen; sie wollen sich Produkte online ansehen, Lieferbedingungen und Preise prüfen, um vorinformiert in ein Gespräch gehen zu können. Und auch intern passiert einiges im Hause Mink.

„Wir haben in den vergangenen Jahren viele Prozesse automatisiert“, sagt Andreas Fuchs. „Zum Beispiel haben wir die Bereiche Kundenklassifikation und Kundenbilanz vorangetrieben, sodass wir jetzt jederzeit im System sehen: Welche Kunden haben wir gewonnen? Wer hat schon länger nichts mehr bestellt? Man muss aus der Vielzahl der Daten die richtigen Schlüsse ziehen.“

Big Data, Online-Marketing, Digitalisierung – der Vertrieb steht vor tiefgreifenden Veränderungen. „Nach Jahren kontinuierlich gewachsener Komplexität in vielfältigen Dimensionen wie Angeboten, Kunden, Kundeninteraktionsmodellen etc. besteht hier bei vielen Unternehmen akuter Handlungsbedarf“, schreibt A.T. Kearney.

„Oftmals wirkt sich die übermächtig empfundene Komplexität als Motivations- und letztlich als Wachstumsbremse aus.“ Vielleicht sollte die Devise also doch eher lauten: Keep it simple. Zumindest im persönlichen Umgang scheint das weiterhin zu funktionieren. Viermal im Jahr gibt es bei Mink Bürsten ein großes Vertriebsmeeting, bei dem man sich persönlich austauscht, ansonsten wird miteinander telefoniert. Keep it simple. Freisprechanlage an, die Fahrt geht weiter.