Zur Upper Eastside Berlin gehört Mercedes-Benz: im Nobelviertel die Nobelautos. Und damit die ausgestellten Karossen von außen besser zu sehen sind und die Wärme vor allem in der Galerie verbleibt, entschieden sich Architekten und Autohersteller für das Isolierglas TG-Proview des Familienunternehmens Thiele Glas. „Solche multifunktionalen Gläser sind schwer im Kommen, schließlich genügen sie zugleich energetischen und ästhetischen Ansprüchen“, trommelt Hugo Siebenhaller von der Konstanzer Glashandel GmbH. Zu den Ansprüchen seitens Bauherren, Architekten oder Planer gehören je nach Zielsetzung Wärme-, Sonnen-, Schall-, Sicht-, Blend-, Brand-, Splitter-, Vogel- und Einbruchschutz sowie Designlösungen mit Ätzungen, Sandstrahl- und Siebdruckdekore. Darüber hinaus die Selbstreinigung: Die UV-Strahlung des Tageslichts zersetzt den organischen Schmutz, der sich auf der Verglasung angesetzt hat, bevor der Regen ihn wegspült.
Die Zahl der Kombinationsmöglichkeiten wächst, da sich je nach Kundenwunsch im Glas für Fenster, Fassade, fürs Dach oder den Innenraumausbau gleich mehrere Schutzfunktionen bündeln lassen. Ebenso die Liste der Baumaterialien – denn darauf stehen Spiegel-, Guss-, Profilbau-, Sicherheitsglas, luft- oder gasgefülltes sowie Verbund-Sicherheitsglas (VSG) mit PVB-Folie. Mehrscheibenisolierglas gibt es zudem noch ohne oder mit Beschichtung. Weiter Materialkombinationen kreuzen Glas mit Aluminium, Blech oder Holz. Sogar Glasbalken als Trägerelemente, runde oder eckige Glasprofilrohre und Glasdämmpaneelen gibt es inzwischen. Was früher noch als zerbrechlich und fragil galt, hat sich heute zu einem stabilen, zukunftsweisenden, energetischen Baustoff entwickelt.
Die Vakuumdämmpanelle Vacurex von Arnold Glas etwa weist im Vergleich zu herkömmlichen Gläsern eine um das Vierfache reduzierte Wärmeleitfähigkeit auf. Beim Thiele-Verbundglas Varioview ist zwischen den Gläsern ein Flüssigkristall-Film eingebracht, der mittels Strom auf Knopfdruck das matte Glas transparent macht – geeignet unter anderem als energiearme Riesenpräsentationsfläche an Fassaden. Beim Produkt Varioled sind Glas und sparsame LED-Dioden vereint, Ergebnis: farbige Leucht-Szenarien für Schaufenster. In Sachen Verschattung bietet Sprinz mit Spritherm Screen den Vorhang im Innern des Isolierglases: Lamellen oder Folien, die manuell oder elektronisch auf- oder zugezogen werden und sich je nach Sonnenstand in ihrem Neigungswinkel verstellen lassen. Jalousien und Klimaanlage erübrigen sich. Laut Alexander Schröter vom Ingenieurbüro Müller-BBM wird Glas auch schon wegen den gesetzlichen Anforderungen an die Energieeffizienz von Gebäuden, die in der Energieeinsparverordnung (EnEV) geregelt sind, an Bedeutung gewinnen. Die novellierte EnEV dürfte von Mai 2014 an gelten. Sie enthält unter anderem eine Verschärfung der Neubau-Standards von 2016 an. Was nicht von ungefähr kommt: Rund 40 Prozent der gesamten Nutzenergie werden in Deutschland heute in Gebäuden verbraucht.
Glas als Wärmespeicher
„Dank moderner Beschichtungstechniken und der Weiterentwicklung von Isolierglaskonstruktionen lassen sich auch großzügig verglaste Gebäude mit den Zielen des energiesparenden Bauens vereinbaren“, stellt Schröter klar. Hans-Joachim Arnold von Arnold Glas ergänzt: „Glas ist ein wesentliches Gestaltungsmittel in der modernen Architektur und ein wichtiger Faktor grünen Bauens.“ Und der Chef des Konstanzer Glashandels meint: „Die Frage ist dabei nicht, wie viel Glas zum Einsatz kommt – sondern welche Funktionen es übernimmt.“ Diesem Gedanken folgend erwartet Ingenieur Schröter, dass die Glasfassade künftig nicht nur möglichst gute Wärmedämmeigenschaften aufweist, sondern auch Energie liefert. Laut Peter Fromhold von Saint Gobain Glass lässt sie sich durchaus zur Abdeckung des Strombedarfs oder zur Warmwassererzeugung nutzen. „Intelligente Gebäudefassaden“ nennt Elmar Jochheim vom AMP Ingenieurbüro für Fassadentechnik und Angewandte Bauphysik das.
Einer der führenden Stromglashersteller ist nach eigenen Angaben die Firma Arnold Glas. Mit Voltarlux hat sie ein Verbundprodukt für die Mehrfachnutzung im Angebot: Stromerzeugung, Wärmedämmung, Witterungsschutz, Sonnenschutz und Verschattung ohne zusätzliche Hilfsmittel. In das Glas einlaminiert sind ultradünne Solarzellen auf Basis von amorphem Silicium – 50 bis 100 Mal dünner als ein menschliches Haar – des Herstellers Schott Solar. Die Module liefern Strom auch bei Witterungsverhältnissen ohne Sonne. Möglich sind bis zu 60 Kilowattstunden elektrische Energie pro Quadratmeter und Jahr. Das Material eignet sich für Fassaden sowie für Überkopfverglasungen – energiespendendes Glas als Dachziegel. Solarglasanlagen gibt es am Tagungszentrum des Schlosses Montabaur, am Verwaltungs- und Sozialgebäude der Tönnies-Fleischwerke und an der Kreissparkasse Fellbach.
Gebäudefassaden mit eingebauten Klimaanlagen ermöglicht das gläserne Wärmespeichermodul GlassX crystal von Schott. Die vier integrierten Komponenten sind: Wärmedämmung, Überhitzungsschutz, Energieumwandlung und thermischer Energiespeicher. Es speichert die einfallende Sonnenenergie und gibt sie als Strahlungswärme während der kühleren Tages- und Nachtzeiten wieder ab.
Für Experte Fromhold vom Anbieter Saint-Gobain Glass wird aufgrund der schärferen EnEV sowie steigender Energiepreise auch die Verwendung von Dreifach-Wärmedämmgläsern wie SGG Climatop zunehmen. „Denn damit werden bisher nicht bekannte Wärmedämmwerte für transparente Bauteile erreicht.“ Maßgeblich hierfür seien die beiden mit Edelgas gefüllten Scheibenzwischenräume – meist wird das Gas Argon verwendet – sowie hauchdünne, metallische Beschichtungen der Glasoberflächen, die zu den Scheibenzwischenräumen hin liegen. Laut Jochen Grönegräs, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Flachglas, ist die Effizienz des Dreifachglases fast sechs Mal höher als bei der früheren Einfachverglasung. In Innenräumen sei dieser Fortschritt leicht zu erfühlen: „Die Innenscheibe wird nie richtig kalt.“ Und wie eine Fassade mit Dreifach-Wärmedämmisolierglas, das auch einen hohen Sicherheitsanspruch erfüllt, aussehen kann, zeigt das Domizil des Computersicherheitsspezialisten Avira: Dessen Spritherm Top S Ar-Glas der Firma Sprinz bedeckt stolze 1.750 Quadratmeter.
Gerd Zimmermann
Seilhinterspannte Fassade: Trag- und Spannseile aus Edelstahl sind die Hauptbestandteile der Tragkonstruktion. Tragseile halten das Gewicht des Glases, die Spannseile sorgen für den nötigen Zug, der die Fassade in einer stabilen Position hält. Vorteile: hohe Licht- und Sonnenenergieausbeute, hohe Stabilität.
Punktgelagerte Fassade: Senk- oder Tellerkopfhalter aus Edelstahl sind die einzigen von außen sichtbaren Befestigungselemente. Die punktgelagerte Fassade ist die zweite Haut vor der eigentlichen Fassade. Vorteile: einfachere Planung, guter Schallschutz, natürliche Lüftungsmöglichkeit, zusätzlicher Schutz für die Hauptfassade, einfache Reinigung.
Liniengelagerte Fassade: Kein sichtbares Befestigungsmaterial. Das Tragsystem besteht aus Riegeln und Zugstäben aus Stahl. Das Fassadeneigengewicht wird durch die Zugstäbe in das Bauwerk geleitet. Vorteile: besondere Formensprache, viele Anpassungs- und Designmöglichkeiten.
Structural Glazing Fassade: Die Glasscheiben werden auf einer Metallunterkonstruktion aufgebracht. Ein Silikonklebstoff hält das Glas in der Rahmenkonstruktion. Zudem ist eine mechanische Absicherung vorgeschrieben. Vorteile: Fassade wirkt leichter und schlanker als andere Glasfassaden, Kippfenster fügen sich im geschlossenen Zustand übergangslos in die Fassade ein, sie sind von außen nicht von den festen Glaselementen zu unterscheiden.